Klagen vor dem Schnellgericht: Der Fall Peter Leuschner vs. Anna Maria Schenkel und Edition Nautilus

von Albrecht Götz von Olenhusen, Freiburg i.Br.

Anna Maria Schenkels sensationeller blutrünstiger Kriminal-Roman „Tannöd“, mit dem Deutschen Krimipreis (1. Platz) und dem Glauser-Debut-Preis prämiert, wurde nach monatelangem Status auf Platz Eins von Bestseller-Listen aus heiterem Himmel des brachialen Plagiats verdächtigt. Der Journalist Peter Leuschner, vor Jahresfristen Verfasser von zwei äußerst wertvollen höchstselbstverlegten Sachbüchern über den seit 1922 nie gelösten Mordfall „Hinterkaifeck“, beansprucht, statt den Fall selbst zu lösen, Schadensersatz und Tantiemen. Von einer beim Landgericht München bevorstehenden Klage über Summen von mehr als einer halben Million Euro ist seit Wochen die Rede. In chronischen Pressemeldungen irgendwoher aus der Gegend von Ingolstadt. Gerade eben hat die Autorin einen neuen Krimi „Kalteis“ (vorgezogener Erscheinungstermin: 8. August) in der Hamburger Edition Nautilus veröffentlicht. Den Titel hat sie auf einem Grabstein gelesen und wird nun von der Horrorvorstellung geplagt, dass sie auch deswegen von bleichen Knochenhänden vor den Kadi gezerrt werden wird.

Zwei schriftliche Klageentwürfe der Anwaltsbüros, Ingolstadt und München, von Kläger Leuschner, rund 70 bis 80 Seiten lang, wurden in den letzten Wochen eingereicht: Man hörte es u.a. bei FAZ, FAZ am Sonntag, Süddeutsche Zeitung, Donaukurier, Münchner tz, Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Bayerischer Rundfunk, auch bei BILD. Das freut uns sehr.

Nachfragen beim bayerischen Justizminister und beim BJM in Berlin ergaben: Die Justizreform ist leider noch nicht so weit, bei den Medien gerichtskostenvorschussfreie Schnellgerichte zu installieren. Man arbeitet daran. Das werden uns die Herren Stoiber, Beckstein und Schäuble wohl bald sagen.

Als glühende Verfechter der Informations- und Kunstfreiheit begrüßen wir diese sorgfältige prophylaktische Information der Öffentlichkeit über den blutigen Kampf vor den Klagemauern aller wichtigen Feuilletons. Aufgrund einer unheilbaren Neigung zu gelegentlicher Nachdenklichkeit stellten wir uns, als derartige massierte Aussendungen an Medien und Presse rein quantitätsmäßig überhand nahmen und bei Autorin, Verlag und uns tägliche berechtigte Rückfragen nach originellen Informationen mit „newswert“ provozierten, philosophisch gesprochen die Sinnfrage: Was will der Kläger uns damit sagen ? Wir waren völlig ratlos. Bis wir uns an ein epochales historisches Beispiel der Symbiose von tiefer asiatischer Weisheit und unendlicher Schläue erinnerten:

Nr. 7 der altchinesischen Kriegslisten des ehrenwerten Herrn Tan , einige hundert Jahre v. Chr., lautet: „Aus einem Nichts etwas erzeugen“. Das historische Beispiel: Pan Con, Minister des Königs von Wei, nimmt an, dass er während einer Dienstreise beim König verleumdet werden wird. Er fragt ihn: „Wenn Euch jemand berichtet, in der Straße der Hauptstadt streife ein Tiger herum, würdet Ihr das glauben?“ – „Nein, wie könnte so etwas möglich sein.“ – „Wenn nun ein Zweiter mit der Behauptung käme…?“ „Nein, selbst zwei könnten mich nicht überzeugen.“ – „Und wenn nun ein Dritter käme…“ – Natürlich würde ich ihm glauben. Wenn drei Personen dasselbe sagen, muss es wahr sein.“

Die klare Antwort der Medienindustrie auf die alte Pilatusfrage! Die ewige Suche nach der Wahrheit vor dem untrüglichen Forum der Öffentlichkeit: Ist die Täterin öffentlich von der alleinseligmachenden Wahrheit des Klägers bei drei gut beleumundeten, glaubwürdigen und der Schriftsprache mächtigen Redakteuren mittels ca. 80 engbeschriebenen, paragraphenbestückten Seiten richtig namhaft gemacht, ist auch die grausige Untat der Täterin flugs entdeckt. Hat die Autorin des Kriminalromans beim Sachbuchautor mordsmäßig abgeschrieben ? Sich brutal und blutig mit fremden Federn geschmückt ? Die Frage wird, wenn der gramgebeugte Kläger den großen Häuptlingen auf dem Thingplatz alles haarklein erklärt hat, von zwölf eiskalten Geschworenen blitzschnell beantwortet. Und nun, Dr. Lynch, walte Deines Amtes.

Auch die staatlichen Gerichte profitieren. Sollte das schreckliche Unglück es mit sich bringen, dass die oft schwankende, unzuverlässige Öffentlichkeit die peinliche Halsgerichts-Entscheidung doch ihnen überantwortet, können die ehrwürdigen Richter sich schon mal anhand der gebildeten Presse eine treffende Meinung bilden und zur gerne begrüßten Arbeits- und Kostenersparnis die Urteilsgründe dort abkupfern. Wofür schickt der Kläger sie sonst auf eigene Kosten an die Presse? Damit sie leichter abgeschrieben werden können? Halt, nein, nicht abgeschrieben, umgeschrieben. Sonst droht wieder das scharfgeschliffene Damoklesschwert des Plagiats. Auch Anwaltsschriftsätze genießen Schutz nach UrhG.

Fragen über Fragen: Wird der Kläger Leuschner die Journalisten, die rücksichtslos und mit butalstmöglicher Offenheit abschrieben aus der Klageschrift, aus früheren Berichten, aus Lexika über den oder die Mörder von Hinterkaifeck, aus Presseartikeln, aus den Veröffentlichungen von Autor Hecker und anderen, gar von Leuschner, todesmutig um Tantiemen angehen? Aus seiner Sicht wäre das nur gerecht und billig. Aber vielleicht doch lieber: recht teuer. Wir sprechen nicht über peanuts, sondern von sechsstelligen Beträgen.

Aber darf er’s ? Der Verleger Lutz Schulenburg von Nautilus hat ehrlichen Herzens erklärt: „Ich bin grundsätzlich immer für Piraten und Räuber , aber nicht für neidische Beutelschneider, Wegelagerer oder grausame Raubritter, die von ihrer hohen Burg herab harmlosen Frauenzimmern und anderen Wandersleuten auf ihren freien Pfaden durch die Weltgeschichte mit Paragraphengewalt zu nahetreten und gierig danach trachten, sie ihrer Habseligkeiten zu berauben.“ Verleger sind kluge Leute.

Der Fall liegt nicht nur den „Schnellgerichten“ der Medien schwer im Magen. Gestern nacht träumte ich davon: Auf einer großen orangefarbenen Nebelwolke mit der Nummer Sieben lese ich die Aufschrift „Lasciate ogni speranza“, ein riesiger Finsterling ohne Gesicht tanzt dort ein Art Menuett und singt: „Auch wie gut, dass niemand weiß…“, und ruft klagend und mit bitter bösem Blick: „Eigentlich bin doch ich der Urheber von allem, wozu habe ich denn auf dem Einödhof in Hinterkaifeck alle Sechse kurzerhand hingemacht? Was ist mit meinen Tantiemen? Könnte sie gut gebrauchen für eine Klimaanlage. S‘ ist ziemlich heiß hier drunten.“

Und dann wache ich schweißgebadet auf, das Telefon klingelt, 11 Uhr morgens, und der Redakteur fragt: „Was gibt es Neues im Fall Leuschner gegen Schenkel ?“ Und ich muss mir die Antwort „Gengan’s doch zum Teifi“ verkneifen, sondern sage höflich und kleinlaut. „Wir wissen von nichts. Die Klage ist uns nicht zugestellt. Fragen Sie bei der Pressestelle in Ingolstadt.“

Die „Tannöd“-Affäre im Überblick:

– Edition Nautilus reagiert auf den Plagiatsvorwurf gegen Andrea Maria Schenkel [mehr…]

– „Tannöd“-Autorin Andrea M. Schenkel im FAZ-Interview zu Plagiats-Vorwürfen [mehr…]

– Presseerklärung zur Verleihung des „Glauser-Preises“ und zum Stand der Plagiatsvorwürfe sowie eine persönliche Erklärung von Andrea Maria Schenkel [mehr…]

– Autor Robert Hültner zu den Plagiatsvorwürfen gegen Andrea Maria Schenkel [mehr…]

– Anlässlich der angekündigten Klage gegen Andrea Maria Schenkels Buch „Tannöd“ ein „letztes Wort zu Leuschner & Co.“ von Andrea Maria Schenkel [mehr…]

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