Das Sonntagsgespräch Gerhard Beckmann über die Glücksmomente (s)eines Verlegerlebens

Gerhard Beckmann heute selbst einmal
Thema des Sonntagsgesprächs

Aus Anlass seines 70. Geburtstags [mehr…] das Sonntagsgespräch mit Gerhard Beckmann einmal umgekehrt: Christian von Zittwitz hat den BuchMarkt-Chefkolumnisten gefragt, was in seinem Leben prägend und wichtig war.

Gerhard Beckmann: Mein Leben war im Rückblick geprägt von vielen Glücksmomenten.

CvZ: Zum Beispiel?

Gerhard Beckmann: Das große Glück, nach dem Tode meiner Mutter, die bei meiner Geburt starb, bis Ende 1946 von einer englischen Tante aufgezogen zu werden, die bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges 1939 in Gütersloh weilte und den letzten Zug heim zu ihrem Mann nach England verpasste, den sie erst vier Wochen zuvor geheiratet hatte: Der Zug fuhr eine Stunde vor der planmäßigen Abfahrt, zum Glück wurde sie dann aber trotz laufender Pressalien durch die Gestapo nicht interniert.

CvZ: So wurdest Du schon in früher Kindheit auch mit dem Englischen vertraut, hast später sogar in England studiert.

Gerhard Beckmann: Ja, das war das große Glück, nach einem außergewöhnlich guten Gymnasium, der Friedrich von Bodelschwingh-Schule in Bethel bei Bielefeld, und einem fantastischen Studienbeginn in Göttingen vor allem in Geschichte und Philosophie bei den Professoren Hermann Heimpel, Percy E. Schramm, Richard Nürnberger, Reinhard Wittram, Alfred Heuss und Jochen Bleichen bzw. Fritz König, Hermann Wein und Günter Patzig, aber auch bei dem damals jungen anglistischen Privatdozenten Kurz Schlüter an der englischen Elite-Universität Cambridge studieren zu können und seither auch in England verwurzelt zu sein.

CvZ: Auch, dass Du Deine Dissertation nicht abgeschlossen hast, empfindest Du heute als Glück.

Gerhard Beckmann: Ja, weil ich die später an der Universität Erlangen in ihren Forschungsergebnissen bereits akzeptierte Dissertation am Ende nicht abschließen konnte, blieb mir die vorausgesagte wissenschaftliche Laufbahn verwehrt.

CvZ: Warum konntest Du die nicht abschließen?

Gerhard Beckmann: Wegen meiner Heirat, 1966, noch als Student, mit einer englischen Sängerin und Musikpädagogin, musste ich Geld verdienen und bin so zum Journalismus gekommen, zunächst als Redakteur beim „Erlanger Tagblatt“, das zu den „Nürnberger Nachrichten“ gehörte, und in Folge des Umzugs nach London, wo ich bei englischen Kulturzeitschriften arbeitete, vor allem aber als fester freier Mitarbeiter für Kultur und Kulturpolitik bei der BBC.

CvZ: Und die Folge …?

Gerhard Beckmann: … war wieder für mich das große Glück, 1970 im dynamischen jungen, sehr kommerziellen Londoner Verlag Hamlyn – der Inhaber und Leiter Paul Hamlyn war ein Bruder meines engen Freundes Michael Hamburger – als Lektor eingestellt zu werden und das Verlagsgeschäft zu lernen, und schon bald Senior Editor für Sachbuch und Belletristik im renommierten britischen Traditionsverlag Longmans Green zu werden.

CvZ: Es gab aber noch einen Wendepunkt in Deinem Leben, den Du zu Deinen großen Glücksmomenten zählst…

Gerhard Beckmann: Ja, mein größtes privates und berufliches Glück war, nach dem raschen Scheitern meiner ersten Ehe meine zweite, in Barcelona und Südfrankreich aufgewachsene italienische Frau Giuliana Broggi kennenzulernen.

CvZ: Früher habe ich mal gespottet, sie sei die wahre Verlegerin Deiner Programme.

Gerhard Beckmann: Sie hat zur Gründungsmannschaft von Feltrinelli gehört (dort Lampedusas „Der Leopard“ entdeckt) und war dann als rechte Hand des Mailänder Verlegers Bompiani zu einem Fixstern des internationalen Verlagswesens geworden, in das sie mich einführte. Durch Giuliana – sie war in ihrer eigenen Karriere abschließend Direktorin des Auslandslektors beim Pariser Verlag Grasset, der durch sie zuletzt Gabriel García Márquez als Autor gewann, bin ich auch im romanischen Kulturkreis heimisch geworden, und sie hat meine ganze Laufbahn bis zu ihrer Alzheimer-Erkrankung aktiv begleitet und unterstützt.

CvZ: Wir reden oft noch von ihr, auch wenn es sie nicht mehr erreicht. Deine Laufbahn nahm dann eine großartige Wendung.

Gerhard Beckmann: Ja, ich hatte dann das Glück, auch auf Grund des in den 1970er Jahren einsetzenden Strukturwandels, bei stetig wechselnden Stationen immer wieder neu anfangen zu müssen und auf diese Weise auch in der Schweiz und in Wien verlegerisch arbeiten zu können und gelebt zu haben. Das Glück der Zusammenarbeit und Freundschaft mit vielen Autoren, darunter Mario Vargas Llosa und Graham Greene und vielen Kollegen möchte ich mit niemandem tauschen.

CvZ: Selbst Deine letzte verlegerische Position zu verlieren, empfindest Du heute als Glück

Gerhard Beckmann: Ja, als Paul Zsolnay in Wien an Moewig und den Bauer-Konzern verkauft wurde, weil der von mir initiierte und favorisierte Versuch eines Verkaufs an den Carl Hanser Verlag 1990 an der Differenz von einer Million DM im Kaufangebot scheiterte …

CvZ: Wie wir wissen, gehört Zsolnay heute nun doch zu Hanser …

Gerhard Beckmann: … war ich mit eben noch 52 Jahren noch jung genug, freiberuflich wieder auf die Beine zu kommen.

[CvZ: Ein Glück für uns, die wir in Dir einen zwar nicht leicht abzukommandierenden ostwestfälischen Dickkopf haben, aber einen Branchenjournalisten mit eigener Meinung. Ich gratuliere Dir zum heutigen Geburtstag.

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