Wie war Ihr Jahr, Veit Heinichen?

Veit Heinichen
(rechts der Lyriker Umberto Saba)

Seit dem 06. Dezember (Nikolaustag) bis heute (Heilige Drei Könige) fragten wir wieder in der Buchbranche herum: „Wie war Ihr Jahr?“. Den vorerst letzten Fragebogen beantwortet heute der in Triest lebende Autor Veit Heinichen (vor seiner Schriftsteller-Karriere war er übrigens Mitbegründer des Berlin Verlages).

1

Welcher Tag war Ihr schönster im letzten Jahr?
Ehrlich gesagt gab es da einige. Ich denke noch immer an einen Bootsausflug in die herbstliche Lagune von Grado im Herbst mit einer unglaublich suggestiven Natur, Wildpferden, Büffeln, Kolonien von Zugvögeln etc. Aber der wichtigste Tag war vermutlich der Freispruch auch in der dritten Instanz vor dem Obersten Gerichtshof in Wien, bei dem drei – inzwischen definitiv verurteilte – Akteure eines der größten europäischen Wirtschaftsverbrechen der letzten Jahre mich verklagt hatten, weil ich in einem Buch die Dinge beim Namen nannte. Ein Sieg für die Pressefreiheit und die Gerechtigkeit – und eine Befreiung. Doch was mach ich jetzt bloß mit den Millionen, die ich jetzt nicht an Schmerzensgeld bezahlen muss???

2

Worüber haben Sie sich 2012 am meisten geärgert?
Über meinen Architekten. Ein Freund, der mich wegen seiner Nachlässigkeit in große Probleme gebracht hat. (Inzwischen gelöst, sowohl die Probleme als auch die Freundschaft.)

3

Was war 2012 Ihr schönster Erfolg?
Der „Gran Premio Noè“, der sechste Literaturpreis in Italien. Es sei daran erinnert, dass Noah sobald er wieder festen Fußes auf der Erde stand, einen Rebstock pflanzte… Wein und Literatur darf man beide lesen. Und fehlte eines von beiden, fiele mir das Leben schwer.

4

Und Ihr traurigster Misserfolg war…?
Auweia, da gab es auch einige. Bin ein Weltmeister im Verdrängen… Seit Jahrzehnten hilft mir ein Gedicht von Giuseppe Ungaretti mit dem Titel „Freude der Schiffbrüche“:
Und plötzlich nimmst du
die Fahrt wieder auf
wie nach dem Schiffbruch
ein überlebender Seebär

5

Ihre schönste Buchhandlung/Ihr liebster Verlag im letzten Jahr?
Wie immer mag ich keine Bestenlisten: Es gibt so viele Beste, die ich alle gerne auf Platz 1 setzen würde. Als Verlag würde ich sicher Antje Kunstmann alljährlich zur Nummer 1 machen. Aber auch von den kommentierten Klassiker-Neueditionen bei Hanser bin ich besessen. Und bei den Buchhandlungen will ich mal eine in Katalonien hervorheben: „Negra y Criminal“ in Barcelona – klein und fein, einzigartig in ganz Spanien und mit viel Engagement betrieben von Paco Camarasa und seiner Frau Montse, die auch die ganze Literaturszene in Barcelona führen.

6

Von welchem Thema wollen Sie (warum) im neuen Jahr nichts mehr lesen?
Schön wär’s: Krise. Von Utopien kann man leider nicht leben. Und Montaigne sagte: „Hoffnungen kaufe ich nicht.“

7

Und über welches Thema wollen Sie mehr lesen?
Selbstwahrnehmung und Wirklichkeit – vom Eigenbild der Deutschen. Und auch über die wahren Hintergründe der Krise, die Verflechtung von Politik, Medien, Wirtschaft und Organisierter Kriminalität in ihrem internationalen Zusammenhang. Die großen Leitmedien haben viele Gründe, dem Thema auszuweichen – hier ist das gute Buch unersetzlich, weil es weder Anzeigenträger ist, noch Wahrheit unterschlagen darf.

8

Welchen Fehler aus dem letzten Jahr möchten Sie in diesem Jahr vermeiden?
Auf dem Retina-Display des iPads die Salami aufzuschneiden.

9

Und welchen Fehler werden Sie trotzdem wiederholen?
Mir natürlich wieder einmal zuviel vorzunehmen.

10

Welches Buch hat Ihnen im letzten Jahr besonders viel Freude gemacht?
Ebenfalls einige: Michael Frayn „Willkommen auf Skios“, Ian McEwan „Solar“, Diego Zandel „Essere Bob Lang“, Sabine Gruber „Stillbach“ – und, ganz unbescheiden, mein neuer Roman „Im eigenen Schatten“. Vor allem nachdem ich ihn abgeliefert hatte und mich wieder ganz den Hauptfaktoren aus Frage 3 widmen konnte.

11

Welches wird Ihr wichtigstes Buch in diesem Jahr?
Zwei werden sich Konkurrenz machen: „Im eigenen Schatten“, das die nächsten Tage erscheint, sowie das nächste, an dem ich sitze und das noch keinen Titel hat. Und, wenn’s gut geht, dann eine neue literarische Überraschung, auf die ich hoffentlich bald stoßen werde. Diese Entdeckungen sind der wahre Reichtum unserer Branche, um die uns alle beneiden.

12

Von wem würden Sie auch gern mal die Antworten auf diesen Fragebogen lesen?
Von Jo Lendle natürlich – er wird mein neuer Verleger sein, da ist die Neugier groß.

13

Und welche Frage, die wir nicht gestellt haben, hätten Sie gern beantwortet?
Da dacht’ ich schon, ich käme so davon…
a) Wann werden Sie endlich Ihr Archiv aufräumen?
b) Wie wird Ihr Jahr?

14

Hier können Sie die auch beantworten:
a) Nächstes Jahr natürlich… versprochen.
b) Schrecklich schön.

Gestern beantwortete Alexandra Borisch unsere Fragen [mehr…].

Kommentare (0)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert