Das Autorengespräch Val McDermid: „Jane Austen und ich“

Künftig immer Freitags zum Wochenende hier ein Autoren-Gespräch; heute mit Val McDermid über ihren Roman Northanger Abbey, den sie für das von Harper Collins initiierte „Austen Project“ geschrieben hat.

Die schottische Thriller-Autorin erklärt hier, wie sich die Neubearbeitung des Buches von Jane Austen gestaltete [mehr…].

Was brachte Val McDermid, die Meisterin von düsteren, unheimlichen, psychologischen Krimigeschichten, dazu, einen Roman der Königin der englischen Romanze neu zu schreiben? Auf den ersten Blick scheint das kein – Pardon – besonders natürliches Amalgam zu sein.

Val McDermid

Val McDermid: Darauf gibt es eine einfache Antwort: Ich wurde gebeten, am „Austen Project“ teilzunehmen – und dieser Anfrage konnte ich nur schwer widerstehen. Seit meiner ersten Lektüre als Teenager bewundere ich Jane Austen. Und auch wenn ich etwas überrascht war, dass man mich gefragt hat, fühlte ich mich geehrt, dass man bei diesem Projekt gerade an mich gedacht hat. Northanger Abbey ist das einzige von Austens Büchern, das weit mehr ist als eine klassische Romanze, und genau das interessierte mich, weil es mir für meine Arbeit sehr viele Möglichkeiten eröffnete.

Es war sicher eine schockierende Erfahrung, das Angebot zu bekommen, sich in den Schuhen einer der Ikonen der Weltliteratur zu bewegen. Was finden Sie an Austens Literatur faszinierend?

Val McDermid: Die Bedingungen mögen sich verändern, aber die Natur des Menschen bleibt dieselbe. Es ist Austens Erkenntnis darüber, wie Menschen sich benehmen, die uns anspricht, unabhängig davon, wie alt wir sind, wenn wir ihre Literatur lesen. Jedesmal, wenn ich ihre Bücher wieder gelesen habe, habe ich für mich neue Bedeutungen darin entdeckt. Und das ist wirklich eine ganz außerordentliche Leistung.

Für Sie als versierte Autorin von fiktiven Geschichten: Ist es einfacher, sich eine Story komplett neu auszudenken, oder ist es vorteilhafter, wenn man – wie in diesem Fall – den Rahmen vorgegeben bekommt?

Val McDermid: Diese beiden Herangehensweisen sind sehr unterschiedlich, da sie von verschiedenen Prämissen ausgehen. In meiner frühen Zeit als Autorin habe ich alle meine Romane bis ins kleinste Detail vorausgeplant. Über die Jahre hat sich dieser Prozess dramatisch gewandelt. Heute beginne ich mit einer sehr vagen Idee davon, wie sich das Buch bis zum Ende hin entwickelt. In gewisser Weise war Northanger Abbey also eine Rückkehr zur Frühzeit meiner Schaffenskraft. Und tatsächlich habe ich es sehr genossen, diesen Arbeitsweg noch einmal erkunden zu können.

Northanger Abbey ist der erste Roman von Jane Austen, geschrieben in den Jahren 1798/99 und veröffentlicht post mortem im Jahr 1817. Er unterscheidet sich in einigen Punkten vom typischen Austen-Material, das von einer sehr klassenbezogenen und theokratischen englischen Gesellschaft und von Frauen handelt, die in dieser Gesellschaft ihren Platz und ihre Liebe finden müssen. Dieser Roman ist aber auch eine Satire über die Gothic-Geschichten, die zu jener Zeit populär waren. Wie groß war die Herausforderung, diese Idee in die moderne Welt zu überführen?

Val McDermid: Für die Gothic-Geschichten der damaligen Zeit musste ich ein modernes Äquivalent finden, das ich zum Ziel meiner Satire machen konnte. Glücklicherweise konnte ich die aktuelle Faszination für Vampirgeschichten als Gegenpart nutzen. Als ich das für mich klargemacht hatte, war der Rest ein Kinderspiel.

Die Heldin Ihrer Version, die 17-jährige Cat Morland, scheint ein bisschen cleverer und nicht mehr so naiv zu sein wie das Original. Warum haben Sie sich entschlossen, Cat mit ein wenig mehr Grips auszustatten

Val McDermid: Es hätte eine zu starke Dehnung der Glaubwürdigkeit bedeutet, wenn ich Cat zu einer ähnlich ahnungslosen Person wie Austens Catherine gemacht hätte. Ich wollte, dass sich der Charakter für den modernen Leser authentisch anfühlt. Ihre Naivität habe ich so weit ausgedehnt, wie es eben noch ging. Aber letztendlich ist sie aus Gründen der Glaubwürdigkeit eben etwas weiser geworden.

Cat befindet sich an der Schwelle zum Erwachsenwerden. Diese Thematik widerspiegelt sich in Cats Liebe für Fantasy-Geschichten und dem Umstand, dass die Bedeutung dieser Liebe zum Ende des Buches hin schwindet. Wie schwierig war es für Sie, die modernen Vampirgeschichten wie „Twilight“, die im Vergleich zu den alten Gothic-Romanen doch etwas simpel ausfallen, zu verwenden, ohne einen schlechten Klamauk auf Jane Austen zu fabrizieren?

Val McDermid: Also, soweit ich mich erinnere, sind diese alten Gothic-Schinken ähnlich stumpf und simpel gestrickt und melodramatisch wie die modernen Vampir-Geschichten. Als Teen habe ich einige von denen gelesen. Die spielten ganz bestimmt nicht in derselben Liga wie Jane Austen. Ich kann nur hoffen, dass ich in meinem Buch eine ähnliche Verbindung zu dem geschaffen habe, was ich satirisch beschreiben wollte.

Sie haben tatsächlich eine sehr gute Balance zwischen einem modernen, authentischen Ton für Ihre Erzählung und gleichzeitig eine Art austenhaften Sound in Ihrer Sprache gefunden. Mussten Sie lange experimentieren, um diese Balance herstellen zu können?

Val McDermid: Das war tatsächlich der härteste Teil in der Vorbereitung für dieses Buch. Ich wollte eine Erzählstimme finden, die keine Persiflage von Austen sein sollte, die sich aber
deutlich vom Ton meiner Krimi-Stories unterschied. Ich habe sehr viel Zeit darauf verwendet, unterschiedliche Rhythmen und Balancen in meinen Sätzen auszutesten, bevor ich schließlich einen Ton gefunden habe, der mir gefiel. Wenn ich die Stimme für einen Roman suche, spreche ich laut mit mir selbst. Das war diesmal nicht anders. Nur dass die Charaktere im Vergleich zu meinen üblichen Helden diesmal andere Ziele und Träume verfolgten.

Ein großer Teil der Geschichte spielt in Edinburgh, wobei sich der Originalplot in der englischen Provinzstadt Bath abspielt. Warum haben Sie sich für Edinburgh entschieden?

Val McDermid: Niemand fährt im Urlaub mehr nach Bath. Also musste ich einen Ersatz finden, wohin sich Menschen heutzutage en masse begeben. Ein Ort, der genügend Möglichkeiten bietet, um dort eine bestimmte Länge der Handlung auszurollen. Für die Zeit des August ist Edinburgh die perfekte Antwort, denn die zahlreichen Festivals ziehen Hunderttausende an. Die kommen, um zu sehen und gesehen zu werden – genauso wie Bath vor 200 Jahren. Es hat auch geholfen, dass ich die Stadt und ihr Innerstes sehr gut kenne.

Als stolze Schottin, die auch das Unabhängigkeitsreferendum unterstützt hat, müssen Sie sich geradezu gefreut haben, die Göttin der englischen Literatur in Ihr Heimatland entführen zu können. Hatten Sie eine Art ironischen Seitenhieb im Sinn, als Sie die Handlung von England nach Schottland verpflanzt haben?

Val McDermid: Das war ein Bonus! Ehrlich, ich habe Edinburgh nur gewählt, weil mir kein anderer Ort eingefallen ist, der in ähnlicher Weise funktioniert hätte. Im Werk von Austen
gibt es keinen einzigen schottischen Charakter. Und ich war der Meinung, dass man da etwas mehr Balance herstellen könnte. Aber ich denke auch, dass Austen das Edinburgh International Book Festival gefallen würde, wenn sie noch am Leben wäre.

In Ihren eigenen Geschichten haben Sie mit viel extremeren Charakteren und Situationen zu tun, in die Sie Menschen „werfen“, um zu sehen, wie sie damit klarkommen, wie sie kämpfen, überleben – und wie sie vom Leben herausgefordert werden. Sehen Sie in dieser Hinsicht eine Parallele zwischen Austens Literatur und Ihren eigenen Geschichten?

Val McDermid: Mir gefällt der Gedanke, dass wir beide Schriftstellerinnen sind, die ihre Charaktere ausloten und sie in bestimmten Zusammenhängen und Herausforderungen zeigen. Wir sind keine Autorinnen, die sich mit Schwarz-Weiß-Schablonen zufriedengeben, sondern die die komplexe, nuancierte Natur von Persönlichkeiten verstehen.

Hand aufs Herz: War die Arbeit an „Northanger Abbey“ in irgendeiner Weise eine Inspiration für die Bücher, die Sie nach dem „Austen Project“ beendet haben?

Val McDermid: Das kann ich wirklich nicht sagen. Aber vielleicht ist dies eher eine Frage, die Sie an meine Leser richten sollten und nicht an mich?

Der Roman erscheint in der deutschen Übersetzung bei HarperCollins Germany.

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