Gerhard Beckmann und Holger Ehling über den Sinn (und Unsinn) von Buchmessen

Holger Ehling

Messen sind in ihrem Ursprung Verkaufsveranstaltungen, und es ist im Falle Frankfurt und Leipzig der Effizienz der Branche zu verdanken, dass der Warenabsatz-Charakter in den Hintergrund getreten ist. Aber Messen sind auch Publikumsverführer.

Gerhard Beckmann im Gespräch mit Holger Ehling, dem langjährigen Pressechef der Frankfurter Buchmesse, der heute in Frankfurt als Journalist und Kulturmanager arbeitet.

Gerhard Beckmann: Überall entstehen neue Messen und Messezentren – auch Buchmessen. Die jüngste Großplanung läuft in Abu Dhabi. Was soll da eigentlich genau aufgebaut werden, mit welchen Erwartungen?
Holger Ehling:: Nun, die Buchmesse in Abu Dhabi gibt es schon seit fast 20 Jahren, und bis vor kurzem waren eigentlich alle Beteiligten zufrieden: Ein paar Großzelte in der Innenstadt, riesige Mengen an Büchern und viele tausend Besucher, die sich eindeckten. Seit dem vergangenen Jahr findet das alles in Kooperation mit der Frankfurter Buchmesse in einem hochmodernen Messezentrum statt, mit professionellem Rahmenprogramm und Standpreisen, die sich vervierfacht haben. Daraus soll die Leitmesse für den arabischen Buchmarkt entstehen. Die arabischen Verlage, die bislang in Abu Dhabi zu vernünftigen Konditionen ihre Bücher an den Leser gebracht haben, verfluchen diese Entwicklung mit Inbrunst.

Beckmann: Und welche Erfolgschancen räumen Sie Abu Dhabi ein?
Ehling: Die Chancen sind mäßig, weil schlichtweg der Markt fehlt. Alle sieben Emirate zusammen haben weniger Einwohner als der Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main, und deutlich weniger Leser. Klar ist: Buchmessen sind in der gesamten arabischen Welt ein Ersatz für das nicht existente Vertriebssystem – weshalb es sogar im Nordirak eine funktionierende Buchmesse gibt. Also: Bücher verkaufen geht auch in Abu Dhabi, allerdings nur in sehr übersichtlichem Rahmen. Das wird sich auch in absehbarer Zukunft nicht wesentlich ändern.

Aber: Die Buchmesse in Abu Dhabi spielt mit gezinkten Karten. Da werden besonders den potentiellen Ausstellern und Besuchern aus dem europäischen Ausland wirtschaftliche Möglichkeiten vorgegaukelt, die schlichtweg nicht existieren – man behauptet beispielsweise, die Emirate hätten einen Verlagsumsatz von 1,7 Milliarden Euro im Jahr, mit Steigerungsraten von 20 Prozent. Das ist natürlich gewaltiger Quatsch. Und es ist sehr zu hoffen, dass diese Märchengeschichten den Veranstaltern sehr schnell auf die Füße fallen werden. Mit falschen Versprechungen lässt sich dauerhaft kein Business bestreiten.

Beckmann:] Im deutschsprachigen Raum ist die buchhändlerische Infrastruktur, die Versorgung der Bevölkerung mit Büchern hervorragend. Als Verkaufs-messen haben Messen hierzulande kaum noch eine Funktion. Dennoch werden auch hier neue Messen geplant, den Anfang machte Basel, trotz Scheitern der BuchBasel soll bereits in diesem Herbst die erste BuchWien stattfinden, für Linz wird seit geraumer Zeit an Ähnlichem geschmiedet. Dabei existieren im deutschen Sprachraum bereits zwei etablierte Buchmesse, in Frankfurt am Main und in Leipzig. Warum?
Ehling: Messen sind in ihrem Ursprung Verkaufsveranstaltungen, und es ist im Falle Frankfurt und Leipzig der Effizienz der Branche zu verdanken, dass der Warenabsatz-Charakter in den Hintergrund getreten ist. Aber Messen sind eben auch Publikumsverführer, weshalb Konzepte wie in Wien durchaus auch im deutschsprachigen Bereich ihre Berechtigung haben. Letztlich geht es immer darum, dem Endkunden den Buchkauf schmackhaft zu machen – Frankfurt und Leipzig tun das mittelbar, durch die Marketing- und PR-Aktivitäten der Verlage, Wien und auch die leider dahingeschiedene BuchBasel beschreiten den Weg des Festivals, was legitim ist und durchaus den Zweck erfüllen kann. Zumal sicherlich der Marketingschub, den Leipzig und Frankfurt ausüben, in Österreich und in der Schweiz nicht so deutlich zu verspüren sein dürfte.

Beckmann: Weder BuchWien noch eine Linzer Buchmesse können freilich, weil die heimischen Verlage zu wenig, klein und schwach sind, ohne eine signifikante Teilnahme großer und mittlere deutsche Verlage existieren. An dem Problem ist ja wohl schon die BuchBasel gescheitert. Nun könnte man vielleicht behaupten: Für deutsche Verlage ist jede neue, weitere Buchmessen – nach Frankfurt, Leipzig, London,. Bologna, ABA, Jerusalem, Moskau. – einfach des Guten zu viel. Schon aus Gründen knapper Personal- und Zeitressourcen. Außerdem hört man immer wieder: Betriebswirtschaftlich zahlt die Teilnahme an Messen sich für Verlage nicht mehr aus. Sie kostet (viel) mehr als sie bringt. Sind, aus Verlagssicht, neue Messen also überflüssig?
Ehling:: Grundsätzlich sind Messen das effizienteste und kostengünstigste Marketinginstrument. Man muss es nur richtig einsetzen. Wer sich an seinen Messestand setzt wie ein Erdmännchen beim Gewitter und darauf wartet, dass das große Geschäft hereinbricht, der steht natürlich nicht so chancenreich da. Und wer seinen Messestand als Kopie von Raumschiff Enterprise aufbaut, der kann auch nicht davon ausgehen, dass Einnahmen und Ausgaben sich die Waage halten. Aber glaubt denn jemand, dass die Erbsenzähler in den großen Medienunternehmen tatsächlich ihr Placet geben würden für massive Messe-Investitionen, wenn nicht Kosten und Nutzen in sinnvoller Relation stünden?

Und auf diese Relation kommt es letztlich an bei allen Ausgaben für Marketing – der immaterielle Anteil in der Nutzen-Analyse muss stimmen. Und da bietet jede Messe unterschiedliche Aspekte: London ist aus anderen Gründen sinnvoll als Frankfurt oder Bologna, die BuchWien hat andere Aspekte aufzuweisen als Leipzig. Aber ich kann die Klagen der Verlage durchaus nachvollziehen, die sich gegen die kaninchenartige Vermehrung von Buchmessen – und auch von großen Literaturfestivals – wehren. Irgendwann ist halt auch das schönste Marketingbudget am Ende. Und bei den meisten Verlagen ist dieser Zeitpunkt relativ früh erreicht.

Beckmann:: Wir haben also drei unterschiedliche Messekonzepte: Fachmesse, Publikums- und Verkaufsmesse, Kultur- und Medienevent-Buchmesse. Letztes gewinnt zunehmend Bedeutung, so dass es die älteren Formen überlagert, in Mischformen. Die Frankfurter Buchmesse, ursprünglich eine reine Fachmesse (für Verlage und Buchhandel), hat sich auch zum größten öffentlichen Buchevent entwickelt. Ein Spagat: Sie will bleiben, was sie ist: die größte und bedeutendste internationale Verlags- und Rechtemesse, die wichtigste deutsche Messe für den Kontakt zwischen herstellendem und vertreibenden Buchhandel und der größte Buchmedienevent im deutschsprachigen Raum.
Ehling: Wir waren 2002 ja an einem Punkt angelangt, an dem sich die Frage stellte, ob die Frankfurter Buchmesse in dieser Form überhaupt noch durchführbar war. In den nächsten beiden Jahren haben wir dann das Konzept völlig erneuert, vitalisiert und zu einem Brummkreisel zur Vermarktung von Büchern gemacht. Das ist bisweilen laut und scheppernd, aber es hat der Veranstaltung ein Strahlen zurückgegeben, das vorher verloren gegangen war. Ich würde mich sehr freuen, wenn in dieser Richtung weiter gearbeitet würde.

Beckmann: Hat Frankfurt auch für die Zukunft das Erfolgsrezept? Von Seite der ausländischen Verlage ist in den letzten Jahren massive Kritik gekommen. Als internationale Lizenz- und Rechtemesse macht London inzwischen fast schon Frankfurt den Rang streitig. Ist das Frankfurter Mischkonzept überholt, veraltet – oder wird es falsch exekutiert?
Ehling: Der Frankfurter Spagat wird mit den Jahren immer schmerzhafter, aber es gibt wohl niemanden, der den Mut hätte, Publikums- und Fachmesse deutlich voneinander zu trennen. Vielleicht ist ja der Leidensdruck noch nicht hoch genug. Wenn man also beim bisherigen Prinzip bleiben will, dann gibt es nur eine Möglichkeit, den Besucheransturm an den Fachbesuchertagen zu begrenzen: Durch massive Erhöhung der Eintrittspreise. Will das jemand nicht nur theoretisch vorschlagen, sondern sich in der Praxis auch noch eine blutige Nase holen?

Beckmann: Irgendwie scheint Frankfurt diesen Spagat also immer noch zu schaffen.
Ehling: Grundsätzlich: Frankfurt funktioniert, so wie es ist, eigentlich gar nicht so schlecht. Es ist zwar mühsam und tut bisweilen richtig weh, und wir alle jammern ja immer wieder gerne.

Beckmann: Hat es einen besonderen Grund, gibt es da – im Vergleich zu anderen Buchmessen – ein spezielles, gewichtiges Moment, warum Frankfurt doch noch funktioniert?
Ehling: Ja. Frankfurt hat eine Identität, die zwar verwirrend ist, aber Frankfurt ist wenigstens noch nicht so glatt und belanglos wie irgendeine x-beliebige Konsumgütermesse. Frankfurt als coole Business-Veranstaltung, die geräuschlos vor sich hintickert – das wäre eine grauenhafte Vorstellung. Zu dieser Identität hat in der Vergangenheit immer eine klare politische Haltung der Frankfurter Buchmesse gehört, die sehr deutlich die Einhaltung der Menschenrechte insgesamt und die Freiheit des Wortes im Besonderen eingefordert hat.

Beckmann: Wenn Sie das so jetzt so sagen, klingt es ganz, als sei die klare politische Haltung, die ein wesentliches Moment dieser besonderen Identität der Frankfurter Buchmesse ausmacht, ein Ding der Vergangenheit. Sehen Sie ein Gefahrenmoment, dass sich hier etwas ändert?
Ehling: Ich bin skeptisch: 2008 kommen zunächst einmal die Freiheitsfreunde aus der Türkei als Gastland zur Buchmesse, und in 2009 präsentiert sich mit China ein Regime, das Millionen von Menschen auf dem Gewissen hat und dieser Tage wieder einmal besonders eifrig dabei ist, Dissidenten wegzusperren. Das finde ich dann doch nicht mehr allzu appetitanregend.

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