Unverhofft kommt oft: Amazons Search Inside the Book und wie das Projekt „Volltextsuche online“ des Börsenvereins vielleicht gelingen könnte

Kaum ist es dem Börsenverein http://www.boersenverein.de gelungen, einen ersten runden Tisch zum Thema Volltextsuche online zu initieren [mehr…], zeigt der Tiger seine Krallen: Die deutsche Variante von Amazon’s „Search Inside the Book!“ http://www.amazon.de ist seit Mittwoch letzter Woche online.

Obwohl viele Verlage immer wieder beteuert haben, daran gar nicht teilnehmen zu wollen, haben nun gut 120 deutsche Verlage die umstrittene Vereinbarung, die es Amazon erlaubt die Inhalte der Bücher digital abzubilden und es dem Nutzer ermöglicht diese Inhalte am Rechner zu durchsuchen, unterschrieben. Darunter finden finden sich so renommierte Häuser wie Oetinger, Beltz, MairDumont, das Verlagshaus Patmosmit dem Artemis & Winkler Verlag, der Springer und Birkhäuser Verlag, Hanser Fachbuch, Campus, Leske & Buderich, Gabler, Moewig Verlag u.a.

Aufällig ist, dass sich unter den „Search Inside!“-Titeln fast keine belletristischen Werke finden. Die klassischen belletristischen Verlage wie Diogenes, Suhrkamp, Hanser, Fischer und KiWi haben sich, mit Ausnahme der Europäischen Verlagsanstalt, offenbar zurückgehalten mit der Freigabe ihrer Bücher. Vielleicht weil sie am besten wissen, dass ihr eigentliches Kapital immer die Autoren und ihre Werke sind.

Insgesamt, so meldet es Amazon, sollen „über 100.00 Bücher bei Amazon.de im Volltext“ zu durchsuchen und auszugsweise zu lesen sein. In der Summe soll es sich um „34 Millionen Seiten durchsuchbaren Text“ handeln, was einem Durchschnitt von 340 Seiten pro Buch entspräche. So weit, so gut.

Was soll das Ganze, fragt der interessierte Beobachter und Amazon sagt: Damit steigern wir den Umsatz ihrer Bücher um bis zu 7 Prozent. Und die weitere Abhängigkeit vom inzwischen für viele Verlage größten Abnehmer, Amazon, ebenfalls.

Wie sich am Dienstag letzter Woche in Frankfurt/Main beim ersten Treffen von Bücher-Menschen (Verlage, Buchhandel, Bibliotheken, Universitäten, Schriftstellerverband, VG Wort, MVB und der Börsenverein waren vertreten) zum Thema „Volltextsuche Online“ herausstellte, ist das Projekt noch weit davon entfernt, in die erste Stufe der Realisierung zu treten. Zu viele rechtliche, technologische und organisatorische Fragen sind weiterhin offen. Mal ganz davon abgesehen, dass die momentane Vorstellung, die Verlage müssten nur kräftig in ihre Technologie investieren, um das Projekt so indirekt zu finanzieren, wohl kaum funktionieren wird.

Trotzdem ist alleine schon die Initiative und was sie vielleicht in der Branche auslöst, begrüßenswert. Die Zielsetzung, in ca. 3 Jahren ca. 100 000 – 120 000 Werke komplett digital auf einer „Branchenplattform“ vorrätig zu halten, offenbart, angesichts von Amazon’s Search Inside-Vorstoß, die grundsätzliche Problematik des Projekts: Zu langsam und viel zu wenig Inhalte. In 3 Jahren wird Amazon.de über gut eine halbe Million deutscher „Search Inside“-Titel verfügen, Google Print http://print.google.com hat bereits heute über 1 Millionen englischsprachiger Bücher im Verzeichnis. Was in 3 Jahren in einem deutschen Google Print drin sein wird, wissen die Götter. Nur: Wie relevant wäre da noch eine Website, die 100 000 deutsche Bücher im Volltext anbietet? Was also tun? Vorschlag: Das Web einsetzen. Denn es geht ja die ganze Zeit um nichts anderes als um Relevanz.

Relevanz im Web entsteht aber nicht nur durch Informations-Masse, sondern auch durch dichte, engmaschige Netzwerke. Wie Masse zu generieren und handzuhaben ist und gleichzeitig Netzwerke geflochten werden können, hat niemand besser vorgemacht, als das freie Web-Lexikon Wikipedia http://de.wikipedia.org/wiki/Hauptseite. Über 2 Millionen Artikel in 100 Sprachen beheimatet Wikipedia inzwischen und richtig los ging es erst im Jahr 2001, als Folgeprojekt von Nupedia. Die Idee ist also, dem Wiki-Prinzip zu folgen und alle, vom Autor bis zum Leser einzuladen, sich bei der Digitalisierung der Werke/Bücher zu beteiligen. Die Aufgabe des Börsenvereins wäre dann eher eine moderierende, den Ablauf und die Arbeit organisierende. Die technischen Parameter für die digitalen Bücher müssen festlegt, in Abstimmung mit den Verlagen die Qualität sichergestellt werden und im VlB http://www.vlb.de und ZVAB http://www.zvab.com muss gekennzeichnet werden, welche Bücher noch digital einzuarbeiten wären.

Das alles kann auf einer offenen, webbasierten Plattform, ohne großes Getüttel, stattfinden. Natürlich ist das nicht einfach, aber machbare Arbeit. Mal ganz davon abgesehen, dass der sogenannte „Pull“-Effekt des Webs sich geradezu ideal dazu eigenet und es endlich eine relevante Verhaftung der Buchbranche im Web gäbe, die weit über den eigenen Tellerrand hinausginge. Kollaboratives Arbeiten ist ein ganz entscheidendes Merkmal des Webs, was nicht nur zu Netzwerken führt, sondern auch dazu, dass Menschen sich ihren Projekten verpflichtet und verbunden fühlen. Wer glaubt, dies funktioniere nicht, sei an die vielen Autoren-Websites erinnert, die ein solches Netzwerk stützen können und an Amazon’s Web Services http://www.amazon.de/exec/obidos/tg/browse/-/3516041/ref=cs_ln_h_3_0/028-30 63789-806533, an dem sich inzwischen über 80 000 Entwickler beteiligen.

Vom 4. – 7. August 2005 findet in Frankfurt/Main die erste Wikipedia-Konferenz Wikimania http://wikimania.wikimedia.org/wiki/Hauptseite statt. Ein idealer Zeitpunkt, um mit den Machern und Gestaltern von Wikipedia ins Gespräch zu kommen, denn alle wesentlichen Wikipedianer, wie Jimmy Wales, Ward Cunningham, der GNU-Erfinder Richard Stallman und andere, sind ab 1.August ohnehin in der Stadt.

STEFAN BECHT stefan@stefanbecht.de

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