Springer Nature über die Zukunft des wissenschaftlichen Buches Wieso ist hier noch längst nicht alles Relevante gesagt, Herr Bläsi?

Führende Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von Springer Nature einschließlich des CEOs, Derk Haank, gaben sich in diesen Tagen in Mainz zu Vorträgen die Klinke in die Hand – es ging z.B. um Open Access, um die Zukunft des wissenschaftlichen Buches, um die Herausforderungen des Verlagswesen in Folge der Digitalisierung und um die Beurteilung  von wissenschaftlicher Qualität von Büchern. BuchMarkt interessiert sich für die Hintergründe dieses massiven Auftretens und die Essenz dessen, was dort im universitären Rahmen der Buchwissenschaft präsentiert und diskutiert wurde. Wir sprachen deshalb mit Christoph Bläsi, u.a. Professor der Buchwissenschaft, über die neuesten Erkenntnisse:

BuchMarkt: Herr Bläsi, ist nach Jahren der Open Access-Debatte und angesichts einer erkennbaren Entwicklungslinie in Sachen wissenschaftliches Publizieren für den Moment nicht alles Relevante gesagt?

Christoph Bläsi

Christoph Bläsi: Das glaube ich gar nicht. So kann doch z.B. von den beiden Aussagen zum einen „Das wissenschaftliche Publizieren wird in Zeiten von Open Access sehr bald zu einem Ende kommen“ und zum anderen „In der Zeit von internationalen Top-Journalen haben einige wissenschaftlichen Verlage Renditen, wie man sie sonst nur aus dem Waffen-und Drogenhandel kennt“ nur eine wahr sein – oder es ist alles doch noch differenzierter… Und da kämen dann nicht zuletzt wir von der Buchwissenschaft ins Spiel: Offensichtlichkeiten kann jeder.

Wie kommt es, dass eine ganze Reihe von führenden Verlagsmanagern aus dem Bereich in diesem Sommersemester an der Universität Mainz zu Wort kommen – wie haben Sie das geschafft?

Ich war gerade dabei, die Themen für ein Seminar im Sommersemester 2017 zum Thema wissenschaftliches Publizierens aufzubereiten, als mir Frau Bayaz, die Communications-Direktorin von Springer Nature, am Rande eines gemeinsamen Projektes erzählte, dass der Springer-Teil von Springer Nature im Jahre 2017 groß sein 175-jähriges Jubiläum feiere. Es erforderte dann nur noch einen kleinen Schritt zu der Idee, diese beiden Anliegen zusammen zu führen …

So ein gemeinsames Projekt sollte im Idealfall natürlich beiden Partnern etwas bringen, nicht wahr?

So ist es. In diesem Fall ist das so, dass unsere Studierenden – und die Gäste aus Universität und Öffentlichkeit, die wir dazu eingeladen haben – einen Einblick in wichtige Fragestellungen aus erster Hand bekommen, von einem räumlich ja benachbarten Weltunternehmen, und dass Springer Nature die Möglichkeit bekommt, ihr aus einer langen Tradition entwickeltes Selbstverständnis angesichts aktueller Herausforderungen einer größeren Öffentlichkeit zu präsentieren.

Was sind die Fragen zum wissenschaftlichen Publizieren, die Sie als Buchwissenschaftler am meisten umtreiben?

Zunächst ist das wissenschaftliche Publizieren als traditionsreiches und auch immer noch sehr wichtiges  und gewichtiges Segment in all seinen Aspekten Gegenstand  der Buchwissenschaft. Im Übrigen, und das könnte im Hinblick auf den Namen unserer Disziplin Verwunderung auslösen, nehmen wir uns dieses Gegenstandes wegen innerer Zusammenhänge auch an, wenn es die Grenzen des Mediums Buch überschreitet – eine willkürliche Grenzziehung irgendwo zwischen gedruckten Monographien auf der einen und dann v.a. auch digitalen Journal-Artikeln auf der anderen Seite wäre dogmatisch und künstlich. Geschichtliche Aspekte, z.B. im Zusammenhang mit der Ausdifferenzierung des Verlagswesens Ende des 19.Jahrhunderts und dem Entstehen des wissenschaftlichen Publizierens als eigenes Segment,sind dabei natürlich auch Gegenstand buchwissenschaftlichen Erkenntnisinteresses – aber zugegebenermaßen nicht der Lehrveranstaltung, zu der die erwähnten Vorträge von Springer Nature-Führungskräften gehören. In diesen Vorträgen geht es um interessante grundsätzliche Fragen wie die, ob und warum aktuelle Publikationsmodelle in der Wissenschaft überhaupt noch Verlage brauchen oder ob wissenschaftliche Erkenntnisse anderen Wissenschaftlern und der Öffentlichkeit grundsätzlich gratis zur Verfügung stehen sollten (und was das bedeutet). Zusammen v.a. mit nicht zuletzt der Informationswissenschaft beschäftigt uns auch, ob die Systeme der Bewertung von Publikationsleistungen durch Wissenschaftler angemessen sind – und, wie gleich in zwei Vorträgen, ob das auf Bücher zu übertragen ist. Im Seminar selbst erweitern wir den Fokus dann noch etwas und fragen uns, wie sich möglicherweise die Wissenschaft als Ganzes – also nicht nur der Aspekt des Publizierens – im Zuge der Digitalisierung ändern könnte bzw. sollte.

Inwiefern haben die bereits gehaltenen Vorträge von Derk Haank, dem CEO, und Niels Peter Thomas, dem Chief Book Strategist, zur Klärung dieser Fragen beigetragen?

Aus dem Vortrag von Derk Haank ist mir dessen Übersetzung geblieben, dass trotz der enormen Bedeutung von Digitalisierung und Web die Geschäftsmodell-Innovationen -wie die so genannten Big Deals, Abschlüsse von ganzen Inhaltspaketen mit Bibliotheken – letztlich wichtiger waren als die technologischen. Auch seine Aussage, dass das, was Verlage in die wissenschaftliche Wertschöpfung einbringen, zum einen Neutralität – in einem hochkompetitiven Umfeld kein unwichtiges Asset! – und zum anderen Economies of Scale seien. Mit letzterem ist gemeint, dass es pro Journal natürlich viel billiger ist, wenn man einige tausend davon herausgibt: Content Management, Peer Review Management, etc., all das muss nur einmal entwickelt und betrieben werden. Springer Nature habe sich gut auf Open Access eingestellt und könne diese Assets auch für Open Access-Publikationen beisteuern. Für uns als Geisteswissenschaftler war noch die Einschätzung interessant, dass von diesen wirklich nicht erwartet werde, die Entwicklung zu Open Access nach vorne zu treiben, dass sie aber mit großer Wahrscheinlichkeit schnell nachziehen dürften, wenn das System wegen Erreichens der kritischen Masse einmal umgeschlagen sei und das Open-Access-Publizieren zum Normalfall geworden ist.

Und was sind – nach Niels Peter Thomas – die Visionen von Springer Nature für das Buch?

Niels Peter Thomas‘ Thesen zur Zukunft des (wissenschaftlichen) Buches besagen, dass wir kurz davor stehen, dass die digitale Version gegenüber dem – weiterhin angebotenen gedruckten –  die führende ist und dass aber beide, je nach Lesesituation, parallel genutzt werden dürften. Voraussetzung für das weitere Gedeihen des Buches in der Wissenschaft – und eine Realisierung der Bedeutung, die es verdiene – sei es eine Ausdifferenzierung der Geschäftsmodelle von Kauf über Abo,Leihe, möglicherweise eingeschränkte Rechte bis zu Flat-Rates, etc, sowie die Entwicklung und Etablierung von „Maßen“ für die Wirkung, den ‚Impact‘ von Büchern, wie diese bei den naturwissenschaftlichen Journalen selbstverständlich ist.

Was sagen Sie dazu?

Es gilt grundsätzlich: Audiatur et altera pars… Dass wir als Buchwissenschaftler den wissenschaftlichen Publikationsprozess nicht zuletzt von der Seite der Vermittler, der Intermediäre anschauen, ergibt sich durch die relative Position  der Buchwissenschaft im Gefüge der Disziplinen. Das heißt aber natürlich nicht, dass wir uns die Positionen von Verlagen oder auch eines Verlages, der in dieser komplexen Gemengelage natürlich auch Interessen hat, unkritisch zu eigen machen können. Wir müssen natürlich auch die Positionen anderer Stakeholder wie WissenschaftlerInnen und Wissenschaftler, Bibliotheken und Wissenschaftsförderorganisationen sowie die Ergebnisse wissenschaftlicher Studien ebenfalls berücksichtigen. Zur letzten These von Niels Peter Thomas muss ich sagen, dass ich z.B. eine Entwicklung zu einer Impact-basierten Bewertung wissenschaftlicher Leistung in den Geisteswissenschaften noch nicht so richtig sehe …Nichtsdestotrotz gibt es Argumente von Verlagsseite, die gerade uns als Buchwissenschaftler sofort einleuchten und die im sonstigen Diskurs – auch nicht in dem der Wissenschaften als Publikations-Kunden – nicht in dieser Form eine Rolle spielen. Hoffentlich auch ein willkommener Anlass, Einzelnes einer belastbaren wissenschaftlichen Überprüfung zu unterziehen!

Was können wir im Rahmen der Vortragsreihe noch erwarten?

In weiteren Vorträgen wird es um das große Retrodigitalisierungsprojekt von Springer Nature gehen, um Open Access und um Bookmetrix, ein System zur Einlösung einer der von Niels Peter Thomas angesprochenen Voraussetzung, und abschließend um die Expansion nach China. Im engeren Kreise des Seminares – also ohne Öffentlichkeit – werden wir uns am Ende des Semesters noch mit fundamental-kritischen Positionen auseinandersetzen, wie der, im Moment zu beobachtenden Entwicklungen würden doch irritierend gut in eine neoliberale Agenda passen und letztlich einen Teil der Kontrolle über gesellschaftlich erarbeitetes Wissen US-amerikanischen Konzernen überlassen…

Die Fragen stellte Franziska Altepost

 

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