Das Sonntagsgespräch Wie macht man schöne Bücher, Renate Stefan?

Renate Stefan, Herstellungsleiterin der Aufbau Verlagsgruppe in Berlin, verabschiedet sich Ende diesen Monats in den Ruhestand [mehr…]. Sie geht aber nicht so ganz. Sie wird weiterhin den gestalterischen Auftritt der Bücher in der ANDEREN BIBLIOTHEK verantworten. BuchMarkt sprach mit Renate Stefan über die Bedeutung von guter Buchgestaltung.

BuchMarkt: Frau Stefan, seit Juli 2012, als die ANDERE BIBLIOTHEK ins Aufbau Haus zog, wird jedes Buch von einem anderen renommierten Buchgestalter entwickelt. Diese Innovation war Ihre Idee. Wie kam es dazu?

Renate Stefan: DIE ANDERE BIBLIOTHEK ist seit ihrer Gründung im Jahre 1985 ein Leitbild für schön gemachte Bücher. Schon immer wurde in dieser Reihe großer Wert auf die Verbindung von Inhalt und Gestaltung gelegt. Im Zeitalter von E-Books ist es eine besondere Herausforderung, ein Gegenstück im schönen Buch zu erhalten und weiter auszubauen. Der Gedanke, jeden Titel von einem anderen Gestalter oder einer anderen Gestalterin entwickeln zu lassen, ist ein naheliegender, zumindest für jemanden, der für Bücher „brennt“, wie ich.

Ihre Begeisterung wirkt ansteckend. Hat das schön gestaltete Buch in Zeiten der Digitalisierung noch eine Chance?

Ein Buch, im Gegensatz zu den immer mehr den Markt beherrschenden E-Books nicht einfach nur auf ein Gerät zu laden, es stattdessen in einer Buchhandlung in den Händen zu halten, zu drehen, die Seiten zu öffnen, das Papier zu riechen, sich in das Objekt in der Hand zu verlieben und es mit nach Hause zu nehmen, ist – zumindest für viele Buchliebhaber – ein wahres Glücksgefühl. Später dann darin zu lesen und dabei zu entdecken, dass sich der Inhalt und die Gestaltung des Buches in der Anmutung des Einbandes, der Typografie, der Materialauswahl zu einem Ganzen fügt, wird einem bestätigen, dass die Kauf-Wahl eine richtige war.

Warum bleiben Sie nicht bei einem Gestalter für alle Bände? Das würde die Arbeit doch viel einfacher machen…

Der zusätzliche Reiz bei ständig neu eingesetzten Gestaltern liegt u.a. darin, dass die Bücher am Ende fast maßgeschneidert daherkommen.

Und wie finden Sie den „passenden“ Gestalter, der den jeweiligen Inhalt in die angemessene Form bringt?

Sobald ein Programm inhaltlich feststeht, versuche ich, die einzelnen Inhalte, wenn möglich, passend einem Gestalter zuzuordnen. Dazu muss man die Gestalter-Szene recht gut kennen, wissen, wer wo seine Stärken hat.

Wie geht es dann weiter?

Habe ich einmal den Gestalter für ein bestimmtes Manuskript im Sinn, reden ich, bzw. Christian Döring, der Herausgeber der ANDEREN BIBLIOTHEK, mit ihm über den umzusetzenden Buchinhalt. Sehr schnell merken dann beide Seiten, ob die Gestalter-Wahl eine richtige war oder nicht. Bücher mit ungewöhnlichen Inhalten werden zu ungewöhnlichen Gesamtkunstwerken. Gemeinsam mit dem jeweiligen Gestalter finde ich anschließend das passende Material, die beste Verarbeitung und lasse dabei nie den Inhalt des Buches außen vor.

Ist es schwer die Gestalter zu überzeugen, bei der ANDEREN BIBLIOTHEK mitzumachen?

Bereits als ich die Idee der wechselnden Gestalter und Gestalterinnen im Kopf hatte, wusste ich sofort, wen ich bitten würde, mit dabei zu sein. Die Liste in meinem Kopf wird ständig ergänzt, es gibt inzwischen immer mehr Buchgestalter, die sich darum bemühen, für die ANDERE BIBLIOTHEK zu arbeiten. Darunter befinden sich zahlreiche Preisträger schöner Buchgestaltung, Kollegen und Kolleginnen aus dem europäischen Ausland, vielleicht bald auch solche aus Asien und Übersee. Dabei habe ich darauf geachtet, dass sowohl sehr junge Buchgestalter, die mir bei irgendeiner Gelegenheit über den Weg gelaufen sind und durch besondere Umsetzungen auf sich aufmerksam machten, als auch lang erfahrene Gestalter mit klassischer Ausrichtung eingebunden sind.

Besteht bei so vielen Gestaltern nicht die Gefahr, dass der Reihencharakter verlorengeht?

Natürlich haben wir darauf geachtet, dass der Reihencharakter erhalten bleibt und jedem Interessenten sofort ins Auge springt: Das Buchformat wurde seit 1985 nicht verändert, das Rückenschildchen ist immer auf ein und derselben Höhe platziert und immer rot mit goldfarbener Prägung. Der vorn und hinten offene Schuber, der bei der AB den Schutzumschlag ersetzt, ist geblieben und passt noch besser zum Inhalt des Buches, weil er vom Gestalter des Innenteils mit entworfen wird. Zu guter Letzt ist die Vielfalt des Einbandmaterials erhalten geblieben und ergibt das gewohnte wunderschöne Bild der Reihe, das wir im Buchregal wahrnehmen. Einzig der Komet, das Signet der ANDEREN BIBLIOTHEK, wurde behutsam modernisiert, wobei er sich wunderbar in das Gesamtbild der Reihe einordnet.

Welche Gestalter sind bisher dabei?

Buchkünstler im ersten Programm der „neuen Linie“ waren Matthias Wittig, Friedrich Forssman, Victor Malsy, Iris Farnschläder, Lisa Neuhalfen, Sabine Golde, Manja Hellpap, Wim Westerveld, Cosima Schneider und Barbara Kloth. Im Herbst 2012 folgten Friedrich Forssman, Jens Müller, Jörg Hülsmann, Magdalen Krumbeck, Cornelia Franck, Erik Spiekermann und Jürgen Meyer.

Auf wen können wir uns in diesem Jahr freuen?

Auf Klaus Detjen, Betina Müller, Michael Wörgötter, Thomas Bauer, Katja de Ruville, Uta Schneider und Ralf de Jong.

Es gibt jeden Monat einen neuen Band, richtig?

Ja, jeder Band unserer bibliophilen Bücher erscheint als „Originalausgabe“ in limitierter und nummerierter Ausgabe mit 4.444 Exemplaren. Zweitauflagen spiegeln zwar die Gestaltungsform der Erstauflage wider, sind aber deutlich abgespeckt in Farbigkeit und Materialauswahl; dafür ist der Ladenpreis günstiger.

Und dann erscheinen neben den monatlichen Büchern jährlich ein bis zwei Sonderbände?

Genau. Im vergangenen Programm erschien zuerst der von Victor Malsy gestaltete Band „Reise um die Welt“ von Adelbert von Chamisso mit atemberaubenden Lithografien und Zeichnungen von Ludwig Choris und im Spätherbst der von Barbara Kloth gestaltete Band über „Die Druckwerkstatt der Dichter“, den Rixdorfern, die mit ihren Drucken mittels ausgedienter Blei- und Holzlettern schon vor 50 Jahren ein Begriff waren. Es war ein Vergnügen mit diesen Künstlern zusammenzuarbeiten.

Was macht für Sie ein schönes Buch aus?

Es muss ein „Ganzes“ sein: Inhalt und Typografie dürfen sich nicht im Wege stehen, sie müssen eins werden. Ergänzt durch Material und Buchformat.

Wann ist die Typografie gelungen?

Wenn sie nicht auffällt. Wenn sie sich während der Lektüre still in den Leser hineinschleicht. Wenn Lesen nicht ermüdet (was bei falsch gewählter Typografie passieren kann), sondern Freude macht. Nicht nur des Inhalts wegen, sondern auch, weil die Form gelungen ist.

Anspruchsvolle Gestaltung hat ihren Preis. Ist der Kunde bereit dafür zu zahlen?

DIE ANDERE BIBLIOTHEK rechtfertigt ihren Preis. Die Bücher sind stimmig, auch in der Qualität. Erstklassiger Druck, Fadenheftung, immer mindestens zweifarbig, ausgefallene Inhalte und Ideen in der Umsetzung. Im Abonnement sogar günstiger. Mein Wunsch: dass diese Buchreihe früher oder später geradezu ein MUSS für jeden Buchgestalter, jede Buchgestalterin sein wird. Ein Leitfaden für gute Buchgestaltung und eine Ehre für jeden beteiligten Gestalter.

Eigentlich hat sich die nächste Frage nach Ihren Ausführungen erübrigt, ich stelle sie trotzdem: Hat der Buchdruck Zukunft?

Natürlich, ich werde nie aufhören, daran zu glauben!

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