Rainer Dresen über die aktuellen Middelhoff-Bücher Von Helikoptern und Büchern

Rainer Dresen

Die Älteren unter den Leserinnen und Lesern werden sich daran erinnern, dass Thomas Middelhoff immer schon einen engen Kontakt zur Welt der Bücher hatte und dort sehr erfolgreich tätig war. In seinem früheren Leben war er u.a. zuständig für die Umwandlung der ehemaligen Karl-Marx-Werke in Pößneck in eine der größten, heute noch bestehenden Buch-Druckereien. Vor allem aber war er Initiator des Erwerbs von Random House und erfüllte sich, wie er selbst sagt, mit der „Entwicklung der Bertelsmann Verlagsgruppe zum größten Buchverlag der Welt“ einen Jugendtraum. Und schließlich hat ihm kein geringerer als der „Büchner“-Preisträger Rainald Goetz in der Roman-Figur des Johann Holtrop (http://www.zeit.de/2012/37/Rainald-Goetz-Johann-Holtrop-Wirtschaft) ein literarisches Denkmal gesetzt.

In den letzten Jahren ist Middelhoff eher mit buchfernen Themen aufgefallen. Unvergesslich bleiben Fotos seiner großzügig dimensionierten Villa „Aldea“ inmitten eines großen Grundstücks in der Nähe des Yachthafens von Saint Tropez, wo seine Luxus-Yacht „Medici“ vor Anker lag und nur darauf wartete, dass Big T, wie er in seinen besten Zeiten genannt wurde, die Bordmotoren anwarf, um die Gestade der Cote d’Azur zu durchpflügen. Legendär leider auch seine Verdienste um die deutsche  Charterflug-Industrie, Stichwort „Stau am Kamener Kreuz – Nicht für mich und meinen Helikopter.“

An diese seine Ursprünge als Mann der Bücher erinnern nun Meldungen der letzten Tage. Im September erschienen nämlich fast zeitgleich zwei völlig unterschiedliche Publikationen, in denen der aktuelle Freigänger des offenen Strafvollzugs in der Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Senne („Der Büßer von Bethel“ https://www.welt.de/debatte/kommentare/article154972833/Middelhoff-der-Buesser-von-Bethel.htmleine Hauptrolle spielt. Im Kopf-an-Kopf-Wettbewerb um den frühesten Erscheinungstermin machte trotz vorgezogener Auslieferung nicht die kritische Biografie des Journalisten Massimo Bognanni mit dem Titel „Middelhoff. Abstieg eines Star-Managers das Rennen. Sie erschien Mitte September bei Campus. Kurz zuvor bereits hatte LangenMüller ohne große Vorankündigung die Schilderungen von Thomas Middelhoff über seine Zeit als Häftling veröffentlichtUnter dem Titel A 115 – Der Sturz berichtet der Betroffene selber, in welcher Zelle er untergebracht war und wie es dazu kam. Er, der nie zuvor mit dem Gesetz in Konflikt gekommen war, wurde bekanntlich Ende 2014 wegen vergleichsweise geringer Vergehen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und noch im Gerichtssaal verhaftet.

 Der unterschiedliche Ansatz beider Werke – hier kritische Biographie, da interessante Reflexionen eines Straffälligen – wird spätestens beim Blick in die Inhaltsangabe klar. Der Campus-Titel weist Kapitelüberschriften auf wie „Der Spätzünder“, „Seine Majestät“ oder „Der Gerichtssaal als Showbühne“ und lässt dadurch schon auf den ersten Blick erkennen, dass sich der Autor seinem Subjekt gesamthaft und eher kritisch-investigativ nähert. Ein Blick in die Inhaltsabgabe von Middelhoffs eigenem Werk hingegen („Ich kämpfe um meine Freiheit“, „Weihnachten in Haft“, „Nackt in der Kleiderkammer“, „Diagnose Fußpilz“), lässt ahnen, dass der Autor eher kleinteilig berichtet und dabei eine sanft-gefühlige Herangehensweise wählt. Dabei hat er sich eine gesunde Kritikfähigkeit erhalten („Eine Lehrstunde für den Richter“), allerdings den Glauben an die Macht des Geldes verloren („Warum man sich auf deutsche Banken besser nicht verlässt“), dafür aber Halt im Spirituellen gefunden („Noch nie fühlte ich mich Gott so nah“).

Besonders prägnant sind die Unterschiede beider Bücher bei ihrer Sicht auf die letztlich Middelhoff zum Verhängnis gewordene Privatnutzung von Charterflugzeugen und Hubschraubern, deren Kosten er seinem damaligen Arbeitgeber Arcandor in Rechnung gestellt hat. So nutzte er bekanntlich für die wöchentliche Anreise vom heimischen Anwesen in Bielefeld zur Essener Arcandor-Zentrale nicht den ihm gestellten Dienstwagen nebst Chauffeur, sondern flog insgesamt sechzehn Mal lieber auf Firmenkosten Helikopter.

Midelhoff geht in seinen Schilderungen auf diese Hubschrauberflüge nicht näher ein. Er nennt nur ihre Zahl und vergleicht stattdessen lieber seine ebenfalls gerichtlich überprüften, in weit überwiegender Anzahl tatsächlich gerechtfertigten, weil dienstlich veranlassten Jet-Flüge mit denen von Daimler-Chef Zetsche oder Formel-1-Impressario Bernie Ecclestone. Aus aktuellem Anlass weist er darauf hin, dass auch Angela Merkel (http://www.tagesspiegel.de/politik/bundestagswahl-teure-fluege-fuer-merkels-wahlkampf/20244202.html) schon mal für 35 Minuten nach Paris fliege und sogar der gewesene SPD-Kanzlerkandidat (http://www.focus.de/politik/deutschland/bundestagswahl-2017-schulz-nutzte-teure-charterfluege-zu-spd-nahen-veranstaltungen_id_7545631.html) im Wahlkampf die Flugbereitschaft der Bundeswehr in Anspruch nutzen durfte.

Deutlich kritischer behandelt Autor Bognanni das Thema. Er zitiert Middelhoffs Antwort auf die richterliche Nachfrage, warum die Helikopterflüge denn seiner Ansicht nach nötig gewesen seien: Wegen Bauarbeiten am Kamener Kreuz sei er mehrfach zu spät ins Büro gekommen, weil er mit dem Auto im Stau gestanden habe. Dies sei in der damaligen Finanzkrise für das Unternehmen Arcandor aber nicht hinnehmbar gewesen. Autor Bognanni erwähnt dann aber auch die Replik des Richters, die schon ahnen ließ, dass die Sache wohl ungut für den Angeklagten ausgehen würde: „Dann hätten Sie früher aufstehen müssen oder die Flüge selber zahlen.“

Sehr ausgeschlafen war die Reaktion des Spiegel auf Middelhoffs Buch. Volker Weidermann (http://www.spiegel.de/spiegel/thomas-middelhoff-autobiografie-a-115-der-sturz-ist-ein-roman-a-1166860.html) hält das aktuell auf Platz 22 der Sachbuch-Charts befindliche Werk augenzwinkernd für ein „literarisches Projekt“, einen klassischen Bildungsroman, nämlich den Versuch des Autors, ein neues Bild von sich zu schaffen. Für den Literaturexperten und Gastgeber des „Literarischen Quartetts“ ist A 115 deshalb als lange Reise eines Mannes zu sich selbst zu verstehen, mit dem „Moment der Erweckung“, als Middelhoff noch im Gerichtssaal verhaftet wird.

Die Wirtschafts-Redakteure des Spiegel sehen in Middelhoffs Buch wohl weniger ein Kunst- denn ein Machwerk. Im selben Heft, direkt nach Weidermanns ironischer Eloge, sehen sie sich veranlasst, zahlreichen Darstellungen im Buch A 115 zu widersprechen, in denen der Autor insbesondere mit eben dieser Wirtschafts-Redaktion hart ins Gericht geht. Middelhoff unterstellt ihr in seinem Buch böse Absichten bezüglich seiner Person und wirft ihr schlechte Recherche vor. Dies wiederum ließ der Spiegel, der bekanntlich über eine legendäre Abteilung „Dokumentation“ verfügt, nicht auf sich sitzen. Middelhoffs Abrechnung, so die Wirtschafts-Redakteure, wimmele vor falschen Angaben über Orte, Personen und Abläufe.

Offenbar äußerte die Redaktion diese Kritik nicht nur öffentlich im Heft, sondern auch juristisch gegenüber LangenMüller. Mittlerweile hat der Verlag angekündigt, Teile des Middelhoff-Buchs in den nächsten Auflage abzuändern. „Es ist richtig, dass der Spiegel beim LangenMüller Verlag eine Unterlassungsverpflichtung in Bezug auf Thomas Middelhoffs Buch A115 Der Sturz eingefordert hat, und zwar hinsichtlich Passagen, die ausschließlich den Spiegel betreffen“, erklärt eine Verlagssprecherin (http://meedia.de/2017/09/26/klage-gegen-verlag-und-autor-spiegel-setzt-aenderungen-im-middelhoff-buch-a115-der-sturz-durch/).

Immerhin, auch Middelhoff konnte einen juristischen Sieg davontragen, wenn auch nicht gegen den Spiegel und auch nicht wirklich gegen die Buch-Konkurrenz von Campus. Wie gestern bekannt wurde, hat das Landgericht Hamburg eine von Thomas Middelhoff gegen Campus erwirkte Unterlassungsverfügung bestätigt. Gegenstand waren aber nicht Inhalte des Buchs von Autor Massimo Bognanni selbst, sondern nur die Werbekampagne seines Verlages. Diese, so das Gericht, habe beim interessierten Leser den irreführenden Eindruck vermittelt, Middelhoff  habe die Biographie durch persönliche Gespräche mit dem Autor unterstützt. Zwar habe es solche Gespräche gegeben, allerdings hätten diese nicht im Zusammenhang mit der von Bognanni verfassten Biographie stattgefunden.

Campus akzeptierte den Gerichtsbeschluss und will keine weiteren Rechtsmittel dagegen einlegen.

Eine sehr kluge Entscheidung. Denn das von Middelhoff initiierte Verfahren ist die beste Werbung für das Campus-Buch (aktuell neu eingestiegen auf Platz 43 der Bestsellerliste), zeigt sich daran doch, dass offenbar gegen die eigentlichen Buchinhalte juristisch nichts zu machen war. Denn wer klagt schon gegen eine Werbekampagne, wenn er viel wirksamer gegen das Buch selber vorgehen könnte. Insofern adelt das Verfahren das Buch von Bognanni, während gleichzeitig der Erfolg des „Spiegel“ gegen Middelhoffs eigene Biographie zeigt, wo sorgfältig recherchiert wurde und wo offenbar eher nicht.

Etwas Tröstliches zum Schluss. Middelhoff kann wohl nicht nur bei der nicht ohne Grund in Beklagten-Kreisen „Kammer des Schreckens“ genannten Hamburger Pressekammer punkten. Ende November wird er zwei Drittel der Haftstrafe wegen Untreue verbüßt haben und dann voraussichtlich in den Genuss der so genannten Weihnachtsamnestie kommen (http://www.manager-magazin.de/koepfe/thomas-middelhoff-vor-vorzeitiger-haftentlassung-a-1169932.html). Dann kann er sich endlich seinen Traum erfüllen und vielleicht als Schriftsteller tätig sein, „in einem kleinen irischen Landhaus – inklusive Kaminfeuer“ und „treuem Jagdhund zu meinen Füßen.“ Und wer weiß, vielleicht lädt ihn Volker Weidermann ja irgendwann ins „Literarische Quartett“ ein, idealerweise zusammen mit Rainald Goetz (Johann Holtrop, aber auch Irre, Loslabern, Klage).

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