Peter Prange über den Preisverfall bei Büchern, die Bedeutung von Verfilmungen und die Chancen, die für die Buchbranche durch den Serienhype entstehen „Vom Binge-Watching zum Binge-Reading!“

Peter Prange: „Es werden immer mehr, und ausgerechnet die Medien, die so oft für den Untergang des Buches verantwortlich gemacht werden, sind dafür der Grund. Die vielen neuen Sender und Streamingdienste suchen händeringend nach Stoffen. Das ist für uns Autoren die Chance, einen Stoff mehrfach zu verwerten. Davon profitiert auch der Buchhandel“ (c9) Gaby Gerster

Autoren und Buchhändler leiden gemeinsam. Zwar behaupten die Vertreter beider Berufsgruppen nach wie vor, in der schönsten Branche der Welt zu arbeiten, doch fällt es beiden Seiten immer schwerer, auf ihre Kosten zu kommen. Schuld, so heißt es, seien die neuen Medien. Doch ist das die ganze Wahrheit? Bestsellerautor Peter Prange meldet daran Zweifel an – und wir haben nachgefragt: 

Guten Tag, Herr Prange. Hatten Sie heute schon den Mut, Ihren Kontostand zu prüfen?

Peter Prange: Die Frage ist leider berechtigt. Es gibt eine Untersuchung, der zufolge nur fünf Prozent der Autoren, die einen Verlagsvertrag haben, von ihren Tantiemen leben können. Wobei „leben können“ definiert ist als ein Euro mehr als Hartz IV.

Das war vor ein paar Jahren noch besser. Worin sehen Sie die Gründe dieser Abwärtsbewegung?

Entscheidend ist immer der Käufer. Wie viel ist er bereit, für sein Lesevergnügen zu zahlen? Da zeigt die Tendenz leider nach unten. Mein erster Roman, „Das Bernstein-Amulett“, erschien vor genau zwanzig Jahren. Das Buch hatte 500 Seiten und kostete 39,80 Mark. Heute kosten 500-Seiten-Romane in der Regel dasselbe – 19,99 Euro. Inflationsbereinigt ist das jedoch keine bloße Stagnation, sondern ein dramatischer Preisverfall. Und das innerhalb eines stetig schrumpfenden Markts.

Können Autoren zur Verbesserung ihrer Lage selbst etwas beitragen?

Ja, indem sie sich mit ihren natürlichen Verbündeten, den Buchhändlern, zusammenschließen. „Raus zum Leser!“, heißt die Devise. Ich mache circa fünfzig Veranstaltungen im Jahr, dreißig bis vierzig klassische Lesungen, dazu Vorträge für Mentor, eine bundesweite Lesepaten-Initiative, und andere Leseförderungseinrichtungen. Wichtig dabei ist: Man darf sich nicht zu fein für kleinere Veranstaltungen sein, man muss auch in die Provinz gehen, in die Buchhandlung auf dem flachen Land.

Aber ist es nicht frustrierend, wenn man dann dort womöglich vor einem halben Dutzend Menschen liest?

Vergnügungssteuerpflichtig ist das nicht, das gebe ich zu. Aber es kann sogar sein Gutes haben. Ich hatte einmal eine Lesung mit genau zwei zahlenden Gästen. Der Buchhändlerin war das fürchterlich peinlich, und sie wollte den Abend absagen. Ich habe aber auf der Durchführung bestanden. Ich bestrafe nicht diejenigen Zuhörer, die kommen, für das Ausbleiben derer, die nicht kommen wollten, sondern gebe immer mein Bestes – egal, ob ich vor zwei oder zweihundert Menschen lese. So habe ich es auch an dem Abend gehalten. Die Buchhändlerin hat mir das nie vergessen und ist heute eine der besten Verkäuferinnen meiner Romane.

Im Klartext heißt das: Der Autor muss sich selbst vermarkten. Welche Rolle spielt dabei die PR?

Eine große. Wir leben in einer Medienwirklichkeit, also muss man in den Medien präsent sein, sonst ist man nicht mehr unter den Lebenden. Dabei gehört Social-Media inzwischen genauso dazu wie klassische PR-Arbeit. Deshalb freue ich mich sehr, dass mein Verlag mir für die Lancierung meines neuen Romans „Eine Familie in Deutschland“ mit Sabrina Rabow eine Top-Beraterin zur Seite gestellt hat, die imstande ist, alle Medien erfolgreich zu bespielen, wie sie bei der Betreuung u.a. von Sebastian Fitzek und Nicole Staudinger bewiesen hat.

Apropos Medien: Ihr letzter Roman Unsere wunderbaren Jahre, die Geschichte der Bundesrepublik vom ersten bis zum letzten Tag der D-Mark, wird gerade von der UFA als Dreiteiler für die ARD verfilmt. Ist das für einen Autor so etwas wie ein Haupttreffer im Lotto?

Klar, die Chancen für eine Verfilmung stehen eins zu hunderttausend. Jedes Jahr laufen im Kino und im TV nur eine Handvoll Literaturverfilmungen. Aber die gute Nachricht lautet: Es werden immer mehr, und ausgerechnet die Medien, die so oft für den Untergang des Buches verantwortlich gemacht werden, sind dafür der Grund. Die vielen neuen Sender und Streamingdienste suchen händeringend nach Stoffen. Das ist für uns Autoren die Chance, einen Stoff mehrfach zu verwerten. Davon profitiert auch der Buchhandel.

Wirklich? Werden die Rückwirkungen einer Verfilmung auf den Verkauf eines Buchs nicht überschätzt?

Sicher, die Zeit der „Dornenvögel“, als es nur drei TV-Programme gab und eine Literaturverfilmung von 30 Millionen Menschen gesehen wurde mit entsprechender Durchschlagskraft im Abverkauf, ist vorbei. Trotzdem hilft eine Verfilmung immer noch enorm. Vor fünfzehn Jahren hat Regina Ziegler meinen ersten Roman verfilmt, „Das Bernstein-Amulett“. Der Zweiteiler wurde inzwischen über vierzig Mal auf allen ARD-Kanälen wiederholt. Diese TV-Impulse haben massiv dazu beigetragen, dass der Roman insgesamt über eine Millionen Mal verkauft wurde und bis heute in immer wieder neuen Ausgaben erscheint, so zuletzt in der Fischer-Taschenbibliothek.

Das Romanprojekt in zwei Bänden (durxh Klick auf Abbildung zum Autor)

Ihr neuer Roman Eine Familie in Deutschland, dessen zweiter und letzter Band am 25. September erscheint, erzählt die Geschichte des Nationalsozialismus vom Tag der Machtergreifung bis zum Tag der Kapitulation. Stoff für eine Serie à la „Babylon“?

Wir arbeiten daran, erfreulicherweise haben sich sogar gleich zwei sehr namhafte Produzenten zusammengetan, um den Stoff zu einer Serie zu entwickeln. Darüber hinaus zeigt auch ein ausländischer Produzent Interesse. Mehr darf ich zur Zeit allerdings noch nicht erzählen.

Laut einer Studie des Börsenvereins gingen dem Buchhandel durch den Siegeszug der Streamingdienste wie Netflix rund 6 Millionen aktive Leser verloren. Wenn Autoren diese Dienste mit ihren Stoffen versorgen, schaufeln sie dann nicht mit an ihrem eigenen Grab? 

Gegenfrage: Was ist besser – sich gegen den Trend zu stellen oder ihn zu nützen? Ich bin sicher, wenn Homer heute seine „Odyssee“ schreiben würde, würde sie bei Netflix laufen. Und er würde sich darüber freien. Weil viele Netflix-Serien ein unglaublich hohes Niveau haben, das wir auch in der Literatur nur selten erreichen.

Mit dieser Behauptung stellen Sie dem Buch als Leitmedium den Totenschein aus.

Keineswegs. Das, was die Netflix-Serien auszeichnet und weshalb die Menschen nächtelang mit Binge-Watching verbringen, ist die Rückkehr zu etwas durch und durch Literarischem. Im Gegensatz zu den Neunzigminütern mit ihre überschaubaren Dramaturgie werden hier wieder große, komplexe Geschichten erzählt, mit langem Atem, wie wir es früher nur aus den großen Epen der Klassiker kannten. Das ist das vollkommene Gegenteil der viel beschrieenen Multimedia-Kurzatmigkeit. Auf diese Weise üben ausgerechnet die neuen Medien eine positive erzieherische Wirkung auf die Zuschauer aus, die wir dazu nutzen sollten, diese für das Buch zurückzugewinnen.

Und wie soll das geschehen?

Auf eine Kurzformel gebracht: Vom Binge-Watching zum Binge-Reading! Dank der neuen Serien haben die Menschen wieder eine ungeheure Lust auf große Geschichten entwickelt. Und wer hat davon eine solche Fülle zu bieten wie der Buchhandel? Das müssen wir den Lesern klar machen. Und sie daran erinnern, was für ein wunderbares Leseerlebnis das früher war, mit der Taschenlampe unter der Decke Karl May zu lesen, stunden- und nächtelang.

Ihr neuer Roman „Eine Familie in Deutschland“ erscheint in zwei Bänden mit insgesamt 1500 Seiten. Band 1 kam letzten Herbst heraus, Band 2 folgt im September. Haben da die Streamingdienste schon Pate gestanden?

Um ehrlich zu sein – nein. Aber ich glaube, der Verlag hätte sich nicht zu diesem ungewöhnlichen Schritt entschlossen, wenn die Rezeptionsgewohnheiten sich nicht durch die Serien verändert hätten. Die Menschen sind es inzwischen gewohnt, dass es bei einer großen Geschichte eine zeitliche Zäsur geben kann, und sind bereit, auch über ein Jahr hinweg auf die Fortsetzung zu warten. Um die Anbindung zu erleichtern, wird das Taschenbuch des ersten Bandes am selben Tag wie das Hardcover des zweiten Bandes erscheinen, gleichsam als Einstiegshilfe – „Was bisher geschah …“

Wie wir aus „Unsere wunderbaren Jahre“ wissen, hatten Ihre Eltern ein Bettengeschäft. Sehen Sie branchenübergreifende Gemeinsamkeiten mit dem Buchhandel?

Die größte Gemeinsamkeit liegt auf der Hand: Bücher werden gern im Bett gelesen. Außerdem sind beide Branchen sehr beratungsintensiv, und Erfolg hat nur, wer das Vertrauen des Kunden gewinnt. Ich muss den Kunden kennen und wissen, was ihm gefällt und was er will. Dabei gibt es aber einen großen Unterschied: Im Bettenhandel ist die Warenvielfalt viel geringer und die Abfolge der Novitäten wesentlich langsamer. Wenn ich die Vorzüge meiner Matratzen und Bettdecken kenne, die sich oft jahrelang unverändert im Markt behaupten, kann ich schon kompetent beraten. Von einem Buchhändler aber wird erwartet, dass er den Kunden durch ein Labyrinth von jährlich hunderttausend Neuerscheinungen führt. Vor dieser Leistung kann ich mich nur verbeugen.

Die Fragen stellte Christian von Zittwitz, das Gespräch fondet sich auch im aktuellen BuchMarkt-Augustheft 

 

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