Über das Streben nach Anerkennung – im Leben und in der Kunst Tom Rachman über seinen neuen Roman „Die Gesichter“

Tom Rachmann (c) Alessandra Rizzo

Der Schriftsteller Gary Shteyngart sagt: „Wann immer ein neuer Roman von Tom Rachman in die Buchläden kommt, höre ich auf zu leben und zu atmen, um ihn zu verschlingen (…)“. Ein überzeugenderes Kompliment kann man von einem Kollegen wohl kaum bekommen.  Tom Rachmans Debütroman Die Unperfekten war bereits ein großer Erfolg.  Nun nimmt er sich die Kunstwelt vor.  In Die Gesichter bei dtv (ET 31.8) liefert er einen Einblick in die Mechanismen des Kunsthandels, beschreibt „genüsslich das aufgeblasene Gerede von Kunstkritikern“, die „Wichtigtuerei von Galeristen“ und stellt sich und seinen Lesern die Frage: „Kann man gleichzeitig ein gefeierter Künstler und ein liebender Vater sein? Muss ein Sohn seinen Eltern verzeihen, nur weil sie bedeutend sind?“  Anlass für Fragen an den Autor:

BuchMarkt: Worum geht’s in Ihrem Roman Die Gesichter (engl. The Italian Teacher)?

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Tom Rachmann: Der Sohn eines erfolgreichen amerikanischen Künstlers in Rom kämpft darum, dem Einfluss seines charmanten aber fiesen Vaters zu entfliehen.  Bis er eines Tages einen geheimen Plan verfolgt und auch durchführt, der die Kunstwelt für immer verändern sollte. Es ist die Lebensgeschichte eines Mannes, ausgehend von seiner Kindheit im Italien der 1950er Jahre bis hin zu seinen „alten Tagen“ in London heute. Der Roman berührt auch die großen Fragen:  Wie kann man seinen eigenen Lebensweg gehen trotz des überwältigenden Einflusses der eigenen Eltern? Wer gewinnt Ruhm und Ehre, wer wird vergessen und warum? Und – eine aktuelle Frage – wieso erscheinen die vermeintlichen Stars unserer Gesellschaft oft als Helden und Gutmenschen in der Öffentlichkeit, sind im Privaten aber miserable Charaktere?

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Sie erwähnten mal ganz persönliche Fragen die Sie sich selbst gestellt haben, bevor Sie den Roman schrieben.  Würden Sie diese Geschichte mit unseren Lesern teilen? (Bezieht sich auf den Brief an die dt. Buchhändler, weiter unten im Text)

Als junger Mann widmete ich mich damals ganz meiner Schriftstellerkarriere, wenig bedeutete mir mehr, als mich hier zu etablieren. Doch auf einmal war ich älter – fast 40 – und erlebte eine unbehagliche Sehnsucht in mir: Sollte ich ein Kind haben? Ich könnte es nicht immer aufschieben.  Und dann, würde ein Kind meiner Schriftstellerkarriere schaden? Oder – noch schlimmer – würde das Schreiben meinem Kind schaden? So viele wichtige kulturelle Persönlichkeiten waren entsetzliche Eltern – vielleicht ist es die eigene Kreativität, die den Anstand verdirbt. Ich hatte Angst der Bösewicht meiner eigenen Geschichte zu werden. Was sollte ich tun? Ich fing also an, diese Geschichte zu schreiben und zwang mich, die Opfer, die die Kunst von Menschen verlangt, zu hinterfragen.

Welche Rolle spielt visuelle Kunst in Ihrem Leben? Haben Sie ein Lieblingsbild?

Ich bin gerade –  in dem Raum in welchem ich schreibe, von vielen Bildern –  vielleicht 50 – umgeben. Die meisten davon sind Gallerie-Postkarten, die ich überall hinklebe, plus einige größere Bilder. Auf eine weiße Wand zu gucken würde für mich bedeuten, den Besitz meines Hauses aufzugeben. Lieblingsbilder habe ich kaum, ich ändere meine Meinung oft – deshalb würde mich zwingen, wenn ich mal eins zu meinem Lieblingsbild deklariere, eine vorige Variante verteidigen zu müssen. Vor dem Hintergrund des gerade Gesagten: Ich liebe Cy Twombly.

Welche Leserschaft wollen Sie ansprechen?

Ich begehre literarische Leser, die derart von Sprache verzaubert und von Psychologie gepackt sind, wie ich es bin. Auch solche, die von Kunst fasziniert sind und sich fragen, wie sie in unserer bezaubernden und manchmal sonderbaren Kultur wirkt. Und schließlich Leser, die gerne Lebensgeschichten verschlingen, Bücher wie Ein ganzes Leben von Robert Seethaler oder Stoner von John Williams.

Wie könnte der Buchhändler sein Schaufenster passend dazu dekorieren – in welchem literarischen Umfeld?

Die Inspiration dazu könnten Buchhändler sich von dem wunderschönen Buch-Cover holen. Diese schwungvollen Verwirbelungen der Farben transportieren beides: Thema und Intensität des Romans. Der Glanz und die Helligkeit sind ein wahrer Eyecatcher für Passanten. Vielleicht könnte man auch noch eine Staffelei und eine Leinwand miteinbeziehen. Oder einen Haufen gequetschter Farbtuben …

Mit welchem Argument kann der Buchhändler das Buch am besten verkaufen?

Es ist eine bewegende Geschichte über Künstler und ihre Geheimnisse. Es geht aber auch um Eltern und Kinder – die Spuren die sie aufeinander hinterlassen, wenn sie gleichzeitig versuchen ihre eigenen Spuren auf die Welt zu setzen.  Es hat Humor, unvergessliche Charaktere und ein überraschendes Ende.  Wissen Sie was:  Sollten Sie das Buch nicht lieben, werde ich Ihnen einen Kuchen kaufen ;)

Ihr Debütroman Die Unperfekten war ein weltweiter Erfolg.  Gibt es etwas, das die Bücher gemeinsam haben? Oder – aus einem anderen Blickwinkel betrachtet – was ist der Hauptunterschied zwischen ihnen?

Beide Bücher schildern die Privatleben der Menschen, die unsere Kultur erschaffen – zuerst die in der Nachrichtenwelt; jetzt die der Kunstwelt. Aber in Die Unperfekten folgte jedes Kapitel einem unterschiedlichen Charakter, während in Die Gesichter der Lebensweg einer einzigen Person nachgezeichnet wird.

Lesen Sie privat in Ihrer Freizeit? Was ganz aktuell?

Ich könnte den ganzen Tag lesend bringen.  Ich muss mich selbst begrenzen, sonst würde ich nie irgendetwas produzieren. Oben auf meinem Stapel heute: Gehen, ging, gegangen von Jenny Erpenbeck und The Shortest History of Germany von James Hawes (ich werde Deutschland bald besuchen und mich deshalb etwas belesen).

Allerdings handeln die Bücher, die ich zuletzt las von Babar und Peppa Pig, einem Zweijährigen laut vorgelesen – meinem eigenen Sohn.  Wie Sie daraus also ableiten können, half mein Buch mir dabei, meine eigenen Zweifel zu lösen. Ich könnte nicht glücklicher über dieses Ende meiner Geschichte sein.

 

Brief an die deutschen Buchhändler:

Liebe Leser,
ein Buch zu schreiben vergleichen Autoren gern damit, ein Kind zu bekommen: Jahrelang arbeitet man daran, bis man es in die Welt entlässt, in der es aus eigener Kraft gedeihen oder scheitern muss. Aber dieser Vergleich ist Unsinn. Ein Buch kann man auf halbem Weg aufgeben. Man kann sich auch nach der Veröffentlichung noch davon lossagen, kann es einfach vergessen und von neuem beginnen. Mit einem Baby ist das anders: Ist es einmal da, gibt es kein Zurück mehr. Jahrelang habe ich mich mit der Frage herumgeschlagen, ob ich Kinder haben will. Ich habe keine allzu große Meinung von dieser Welt, und auch um die Zukunft ist es nicht sonderlich gut bestellt. Zudem habe ich in den Jahren, seit ich zu schreiben versuche, etwas begriffen: Hingabe und Opferbereitschaft sind unabdingbar. Dasselbe gilt für die Elternschaft. Wie könnte ich beides vereinen, ohne jemandem unwiderruflich zu schaden? (Wie so viele Künstler ihren Familien geschadet haben?)
Jahrelang habe ich nach einer Antwort gesucht. »Sei ehrlich«, verlangte ich von Freunden und Kollegen, »war es rückblickend die richtige Entscheidung?« Es machte mich misstrauisch, dass sie alle die gleiche Antwort gaben, als sprächen sie in einem autokratischen Staat, einem Staat, der von Babys regiert wird: »Werde Vater, un­bedingt! Das ändert alles! Kinder sind anstrengend, und sie sind teuer. Aber sie sind auch toll!«Ein tapferer Freund gestand: »In mancher Hinsicht ja, da wäre ich
ohne sie besser dran.«Dieses Geständnis hat mir nicht geholfen. Die Schuldgefühle blieben. Sollte ich? Klar, unbedingt! Andererseits, warte mal – soll ich wirklich? Mein innerer Konflikt schlug sich auch in meinem Schreiben nieder.

In Die Unperfekten, meinem ersten Buch, verliert eine der zentralen
Figuren des Romans seine Tochter und wird damit nicht fertig. Wer, fragte ich mich, will schon freiwillig das Risiko einer so qualvollen Trauer eingehen? Der zweite Roman Aufstieg und Fall großer Mächte handelt gleich von einer ganzen Reihe schwieriger Kindheiten und unfähiger Eltern. Mein neuer Roman Die Gesichter ist noch direkter: Auf Kosten der Menschen in seinem Umfeld interessiert sich ein verantwortungsloser Maler allein für den eigenen Ruhm. Der Roman
wirft einen Blick hinter die Kulissen der Kunstwelt, insgeheim aber
(jetzt, liebe Leser, wohl nicht mehr so geheim) ist er auch eine Be-schäftigung mit meiner ureigenen Angst: Was, wenn ich durch mein
Schreiben ein solch verachtenswerter Mann werde? Der Roman wird
übrigens nicht aus der Perspektive des rücksichtslosen Künstlers,
sondern aus der des von ihm fast erdrückten Sohnes erzählt. Als ich den Roman Die Gesichter schrieb, war ich kinderlos. Bei seiner Veröffentlichung wird mein Sohn zwei Jahre alt sein. Er ist ganz anders als ich: blond und gutmütig. Allerdings liebt er Käse, einen aufschlussreicheren Vaterschaftstest kann es für mich nicht geben. Ich bin regelrecht in ihn vernarrt. Und wie Sie sehen, schreibe ich noch. Ich bin nicht mehr derselbe Autor. Aber ich bin auch nicht mehr derselbe Mensch. Liebe Leser, ich hoffe, Ihnen gefällt mein Buch. Ich wünsche
Ihnen alles Gute und bedanke mich dafür, dass Sie weiterlesen …
Ihr Tom Rachman

 

 

 

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