Das Autorengespräch Thommie Bayer: An eine richtige Zielgruppe denke ich nicht

Immer freitags hier ein Autorengespräch: Diesmal mit Thommie Bayer. Mitte der 80er Jahre fing, damals bekannt vor allem als Liedermacher, mit dem Romanschreiben an. Seither hat Bayer regelmäßig neue Werke veröffentlicht und erfreut sich einer stetig wachsenden Leserschar. Am 1. August erscheint bei Piper sein neuer Roman Seltene Affären.

Hier erzählt Bayer die verschlungenen Liebensgeschichten von Peter und Paul (!): Der gutsituierte Peter, „Grüßaugust“ in einem Feinschmeckerrestaurant in Luxeuil-les Bains, hat eine neue „Putzbefohlene“, und irgendwie finden die beiden im Traum zueinander, während Paul mit Anne lebt, der einzigen Frau, die für Peter in Betracht gekommen wäre…

Wenn ich richtig gezählt habe, ist Seltene Affären Ihr 17. Buch. Insgesamt haben Sie mehr als eine Million Exemplare verkauft. Wie lebt es sich als Bestsellerautor?

Thommie Bayer
© Peter Peitsch

Thommie Bayer: Man könnte sagen, es lebt sich edelprekär. Es geht mir gut, aber wie es in zwei oder drei Jahren aussehen wird, weiß keiner. Auch wir wenigen glücklichen Autoren, die vom Schreiben leben können, wissen nicht, wie lange wir noch in diesem Spiel mitmachen dürfen. Jedes Buch kann das letzte sein, das die Leser annehmen.

Sie zählen für mich zur seltenen Species an Autoren, die man schon auf den ersten Seiten an ihrem „Sound“ erkennt: Wortwitzig leicht, mit einem leicht melancholischen Unterton. Ich habe die Vorstellung, dass Sie Ihre Geschichten nicht am Reißbrett entwerfen, sondern den manchmal etwas merkwürdigen Wegen Ihrer Helden folgen? Lassen Sie sich von Ihren Figuren hin und wieder überraschen?

Thommie Bayer: Ja. Inzwischen verlasse ich mich sogar darauf, dass die Figuren mich irgendwann hinter sich her ziehen durch die Geschichte. Das heißt aber nicht, dass ich keine Pläne machen würde, sie gehen nur oft nicht auf.

Peter, der „Grüßaugust“, vertreibt sich die Zeit, indem er Kurzgeschichten für seinen erfolgreichen Schriftstellerzwillingsbruder Paul schreibt, der verheiratet ist mit Anne, der wahren Liebe von Peter. Diese Geschichten liest seine neue „Putzbefohlene“, und sie antwortet ihm mit Zeichnungen. Ansonsten wird die Liebesgeschichte zwischen dem Sechzigjährigen Peter und der deutlich jüngeren Putzkraft nur im Traum imaginiert – haben Sie mal nachgezählt, wie oft die Geschichte in sich gebrochen ist („Also fantasiere ich jetzt, dass Sie mich fantasieren…“)?

Thommie Bayer: Gezählt habe ich nicht, aber aufgefallen ist es mir schon. Ich wollte über Phantasie und Inspiration schreiben und landete damit wie von selbst bei allerhand Spiegelungen und Brechungen und Interferenzen zwischen Ursache und Wirkung. Ich wollte nicht meine Phantasie erforschen, ich sehe sie nämlich als Geschenk und Geheimnis an, aber ich wollte mit ihr spielen und sie hofieren, damit sie von meiner Wertschätzung weiß.

Ich finde in Ihrem Buch eine leise Altersmelancholie: „Leute wie ich tanzen im fortgeschrittenen Alter nur noch innerlich“. Haben Sie beim Schreiben vor allem unsere Generation als Zielgruppe vor Augen?

Thommie Bayer: An eine richtige Zielgruppe denke ich nicht, aber ich bin mir bewusst, dass Leser in meinem Alter vieles erkennen aus unserem gemeinsamen kulturellen (jetzt würde ich gern das Wort „Fundus“ vermeiden, finde aber nur Spöttisches wie „Rumpelkammer“ oder pathetisches wie „Erfahrungsschatz“, also eben doch:) Fundus. Aber das ist zum Glück nicht alles, denn bei Lesungen sehe ich, dass Leute zwischen vierzig und siebzig mit meinen Texten einverstanden sind. Und die Melancholie hatte ich schon als Dreißigjähriger. Da war sie nur greller bebildert und mit Witzen maskiert.

Ihr Buch ist auch ein Buch über das Schreiben. Mit gelegentlichen Seitenhieben auf die Branche: „Paul erklärte mir, dass Kurzgeschichten ein ähnliches Kassengift seien wie Lyrik…“ Wenn der Leser Peter beim Schreiben zusieht, schaut er da dem Autor Thommie Bayer über die Schulter? Bis dahin, dass er „die Worte trocknen“ lässt?

Thommie Bayer: Nicht so richtig. Eher spiele ich mit den Vorstellungen, die ich mir von den Vorstellungen der Leser mache. Hier und da sind kleine wahrheitsgemäße Prozeduren geschildert, aber das Handwerk des Schreibens ist nichts für Zuschauer – es wäre langweilig. Da sitzt einer am Schreibtisch und grübelt darüber nach, wie es weitergeht – das will ich den Lesern nicht antun.

Ihr Held Peter, früher u.a. als Roadie unterwegs, freut sich an der Beschaulichkeit seines Lebens: kein Halligalli in der Großstadt, dafür „vier Tage als Gastronom, drei Tage als Autor, zweimal in der Woche schwimmen, siebenmal in der Woche Rotwein am Abend, alle zwei Wochen Wäsche wegbringen…“ Ist das ein Plädoyer für eine, sagen wir, eher besinnliche Lebensweise im Zeitalter von Twitter & Co.?

Thommie Bayer: Ein Plädoyer für die Provinz ist es sicher, eins für die Ruhe und eine bestimmte Art von Bescheidenheit und Akzeptanz wohl auch. Ja, ich denke es ist ein Plädoyer für Selbstschonung und Friedfertigkeit dem eigenen Charakter gegenüber.

Andererseits heißt es dann auch: „Ich hatte achteinhalb Wochen (in die Zeit der „Putzvertretung – d. Red.) vergessen, dass ich seit nunmehr über dreißig Jahren in der Vergangenheit lebte.“ Klingt da nicht doch das Bedürfnis durch, etwas näher am „tobenden Leben“ zu sein?

Thommie Bayer: So ist das eben. Das Gegenteil spielt immer mit und drängelt sich dazwischen.

Man kann die Geschichte auch so lesen, dass der Zwillingsbruder Paul das eigentliche Leben des Zwillingsbruders Peter lebt. Beide aber sind mit ihrem Leben ganz zufrieden. Vielleicht ist es ja gar nicht so schlimm, im Leben etwas zu verpassen?

Thommie Bayer: Es ist vor allem unvermeidlich. Das eine verpasst man, das andere erreicht einen. Was ich nicht ändern kann, muss ich integrieren.

Zusammengefasst: Welche Argumente würden Sie dem Buchhändler an die Hand geben, um Ihr Buch zu verkaufen?

Thommie Bayer: Es hat Seele.

Die Fragen stellte Ulrich Faure.

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