Sabine Peters über "Ein wahrer Apfel leuchtete am Himmelszelt" (Wallstein) „Vielleicht ist das Buch auch für alle, die sich ein bisschen mehr Anarchie im Alltag wünschen“

Sabine Peters © Jutta Schwöbel

Sabine Peters‘ Roman Ein wahrer Apfel leuchtete am Himmelszelt (Wallstein) erzählt vom behüteten Aufwachsen mit religiösen und literarischen Prägungen. Sie selbst sagt: „Mich hat vor allem die Arbeit an der Sprache fasziniert. Ich wollte einen Weg finden, weder kindlich naiv zu schreiben, noch aus dem oft etwas überheblichen Rückblick, aus dem abgeklärten heutigen Bewusstsein.“ Anlass für Fragen an die Autorin:

BuchMarkt: Worum geht es in dem Buch?

Sabine Peters: Es erzählt von einer Kindheit in den 60er/70er Jahren; von einer katholischen Familie mit vier Töchtern; sie lebt erst auf einem Dorf, dann in einer Kleinstadt. Die Protagonistin Marie ist anfangs etwa 4 Jahre alt und gegen Ende etwa 12. Der Roman schließt mit einem surrealen kleinen Nachspiel.

Wie entstand die Idee?

Wann immer das Thema Kindheit auf den Tisch kam, habe ich gemerkt, dass darin ein Glutkern steckt, der mich leidenschaftlich anzieht. Kinder werden ja nicht nur erzogen und mehr oder weniger gesellschaftsfähig gemacht. Sie begegnen der fremden Welt mit ihren eigenen Möglichkeiten, oft mit enormer Fantasie – Kinder sind Verwandlungskünstler und basteln sich aus lauter Nichtverstandenem etwas Eigenes zusammen. Für Marie werden im Sandkasten die Kirschkerne zu Wanderern in der Wüste; Rosinen werden im nachgestellten Gottesdienst zum Leib Christi; das Kochbuch der Mutter ist verwandt mit dem Zwerg Nase – Kinder haben noch die Freiheit, eine eigene Welt zu schaffen. Das finde ich verführerisch, dem wollte ich nachgehen.

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Haben Sie sich die Aufarbeitung und das Schreiben/Konzipieren so aufwändig vorgestellt?

Das stelle ich mir nie so genau vor. Beim Schreiben gibt es immer viele Irr- und Umwege; aber da ergeben sich oft überraschende Perspektivwechsel. Groß und klein, „normal“ und „verrückt“ verschwimmen. Der Schwenkarm in der Zahnarztpraxis kann zum Flügel einer Mühle werden, an dem ein Esel oder ein Kind aufgehängt wird. Gerade bei diesem Buch ging es mir nicht so sehr um das möglichst wirklichkeitsgetreue Aufarbeiten eines Stoffes, sondern um ein Bearbeiten: Auch die rätselhafte Lebensphase der Kindheit wird zum Material, mit dem man manchmal rabiat, manchmal genießerisch herumspielt.

Welche Leserschaft möchten Sie mit Ihrem Buch ansprechen?

Leute meiner Generation, die vielleicht in dem Buch etwas wiedererkennen oder die über die Lektüre auf eigene Erinnerungen kommen. Leute aus den jüngeren Generationen, die sich vielleicht oft über die sonderbaren Verhaltensweisen der Älteren wundern – woher kommen ihre Sparsamkeitsmarotten, ihre Ordnungszwänge, manchmal ihre Scham? Warum muss ein Teller immer leer gegessen werden? Kinder der 60er Jahrgänge, die annahmen, Respektspersonen wie Polizisten hätten keinen Hintern, bleiben vielleicht länger autoritätsgläubig, als es ihnen bewusst ist. Das Buch könnte auch ein Gespräch unter verschiedenen Generationen anregen. Denn neben der mehr oder weniger individuellen Familiengeschichte geht es natürlich auch um Zeit- um Mentalitätsgeschichte: Welche ungeschriebenen Regeln herrschten damals und heute; welche Werte und Anschauungsweisen zählten und zählen; was verstand bzw versteht man unter einem guten, sinnvollen Leben?

Vielleicht ist das Buch auch für alle, die sich ein bisschen mehr Anarchie im Alltag wünschen.

Und der Buchhändler? Mit welchem Argument kann er das Buch idealerweise im Laden verkaufen?

Wenn die Buchhändler*innen darin blättern, entdecken sie vielleicht etwas von dem, was ich hier beschrieben habe. Jeder und jede war einmal ein Kind. So groß die Unterschiede in der Erziehung verschiedener Generationen auch sind – viele Erfahrungen ähneln sich. Wir haben alle unsere Puppen und Spielzeugautos verlebendigt; die waren so neugierig, ängstlich und tapfer wie wir selbst. Es geht hier nicht um nostalgische Erinnerungen, sondern um das Inszenieren dessen, was Kindheit teilweise ausmacht und was leider im Lauf des Lebens so oft auf der Strecke bleibt: Der schöpferische Umgang mit Realität.

Mit welchen drei Wörtern würden Sie das Buch beschreiben?

Warmherzig, poetisch, komisch.

Worauf sind Sie besonders stolz?

Mich hat vor allem die Arbeit an der Sprache fasziniert. Ich wollte einen Weg finden, weder kindlich „naiv“ zu schreiben, noch aus dem oft etwas überheblichen Rückblick, aus dem abgeklärten heutigen Bewusstsein.

Ich konnte auch den eigenen Erinnerungen nicht über den Weg trauen; sie verändern sich schließlich selbst mit den Jahren. Die Fiktion hilft. Und eine Sprache, die das eigene Tun reflektiert und dabei doch noch eine Beziehung zu den Sprachexperimenten und Zauberpraktiken unterhält, die jedes Kind mehr oder weniger intensiv betreibt.

Im kurzen Nachspiel, der „Kadenz“, ist Marie alt und grau geworden, schließlich ist sie fast 60. Sie zieht mit anderen durch eine heutige, auch surreale Welt. Dieser Versuch, sozusagen gegen die Realität zu schreiben, betreibt auf einer anderen Ebene Verwandlungsarbeit. So wie das Kind Marie und ihre Schwestern früher mühelos aus einem Jojo ein Weihrauchfass machen konnten, können in der Kadenz Frauen Kuhgestalt annehmen, kann eine Mutter eine Sphinx werden und ein Spielmann ein Vogel. Auch hier geht es um das Verdichten und Verschieben – aber befreit von der Tatsache, als Erwachsener eben nicht zurück in die Vergangenheit gehen zu können.

Welche Reaktionen erhoffen Sie sich von den Lesern?

Es wäre schön, wenn sie sich von dem Buch in eigene Erinnerungen getragen fühlen, zurück in die eigenen Ängste und Freuden. Vielleicht ergänzen sie das Buch um eigene Erfahrungen, die natürlich auch völlig anders getönt sein können. Vielleicht sprechen sie mit anderen darüber, was sie davon für ihre Gegenwart brauchen können.

Und wenn sie sagen, die Sprache in ihrem Fluss, ihrem Stocken und Springen habe ihnen eingeleuchtet, wäre das eine Freude.

 

 

 

 

 

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