Sigi Ressel im "Sonntagsgespräch" mit Marion Brasch über die Doku "Familie Brasch" „Solche Geschichten können viele erzählen“

Seit wenigen Wochen läuft in den Kinos der sehenswerte Dokumentarfilm „Familie Brasch“ von Annekatrin Hendel. Grundlage dieses Films ist der 2012 bei S. Fischer erschienene Roman Ab jetzt ist Ruhe: Roman meiner fabelhaften Familie von Marion Brasch, die eine der vier Kinder von Gerda und Horst Brasch gewesen ist, der auf dem Höhepunkt seiner SED-Funktionärskarriere stellvertretender Minister für Kultur der DDR gewesen ist.

Sigi Ressel, selber Filmemacher (und früherer Buchhändler) im „Sonntagsgespräch mit der Schriftstellerin Marion Brasch über diesen sehr besonderen und literarischen Film (sein Besprechung des Films können Sie hier lesen):

Frau Brasch, der Film ist seit kurzem draußen, Sie selbst waren bei der Premiere in Berlin dabei und auch auf einer Vorführung in Hamburg, wie waren die Reaktionen des Publikums?
Es war ein bisschen surreal, weil es so voll war und wir mit diesem großen Interesse gar nicht gerechnet hatten. Zur Berliner Premiere musste sogar ein zweiter Saal angemietet werden. Helene Hegemann hat moderiert, was ich toll fand, weil sie so etwas normalerweise nicht macht und ja auch viel jünger ist als die „üblichen Verdächtigen“, die so etwas für gewöhnlich tun. Sie hat erzählt, was der Film mit ihr macht und dass er sie sehr berührt hat. Und dass es wichtig sei, dass er gerade jetzt gezeigt wird.
In München hat ein älterer Herr gesagt, dass er die DDR furchtbar fand und dass sie ihn eigentlich auch nie interessiert habe. Dass er jetzt aber diesen Film gesehen habe und nochmal über alles nachdenken müsse. In Hamburg hingegen bemängelte jemand, dass Biermann nicht im Film ist. Aber solche „Experten“ gibt’s ja immer wieder. Doch was bei allen Publikumsgesprächen passierte: Es waren und sind immer wieder junge Leute, die fasziniert sind von der Widerständigkeit, von der in diesem Film die Rede ist. Und eben auch von den Visionen und Utopien für eine andere Gesellschaft, um die damals gerungen wurde. Und daneben ist es eben auch eine Geschichte über die DDR, die über dieses Land mehr und differenzierter erzählt als die eine, die in den Geschichtsbüchern steht.

Marion Brasch über den Film „Familie Brasch“ von Annekatrin Hendel: „Es ist ihr wirklich gelungen, nicht nur ein differenziertes Porträt dieser Familie zu zeichnen, sondern auch etwas über die Hoffnungen und Widersprüche zu erzählen, die es in diesem verschwundenen Land einmal gab. Das hat mich sehr beeindruckt.“

Der Roman ihrer Familie, den Sie geschrieben haben und der 2012 herauskam, hat den kategorischen Titel: „Ab jetzt ist Ruhe.“, und ich dachte, damit hätten Sie mit Ihrer Familie künstlerisch abgeschlossen. Nun gibt’s den Film in dem Sie auch wieder eine erzählende zentrale Rolle spielten. Wie kommt’s?
Als der Roman angekündigt wurde, hat sich die Regisseurin Annekatrin Hendel sofort beim Verlag bemeldet, um sich die Option für einen Spielfilm zu sichern. Sie kannte meinen Bruder Peter, hat mit ihm in der DDR Theater gemacht – sie wusste also um diese Familiengeschichte, noch bevor das Buch erschien. Für die Recherche hat sie dann lange Interviews geführt, was sie dann auf die Idee brachte, zusätzlich zu dem Spielfilm einen Dokumentarfilm zu machen. Naja, und weil ich nunmal die letzte bin, die von dieser Familie erzählen kann, bin ich auch in diesem Film.

Ihr Buch ist sehr persönlich und deshalb hat es auch diese Intensität der absoluten Nähe. Wie war Ihre Reaktion, als sie erfuhren, dass jemand von außen filmisch an Ihre Familiengeschichte rangeht?
Zunächst ist so etwas natürlich sehr schmeichelhaft. Aber es birgt natürlich auch immer eine Gefahr, weil die Verfilmung so eines Romans ja am Ende dann doch etwas ganz anderes ist. Und die Geschichte lehrt ja auch, dass sowas richtig schiefgehen kann. Andererseits kannte ich Annekatrin Hendel schon und ich schätze ihre Filme sehr, besonders „Vaterlandsverräter“ und „Anderson“. Sie hat immer einen sehr eigenen, ungewöhnlichen und persönlichen Zugang zu ihren Themen, deshalb habe ich mich gefreut, über ihre Idee. Aber ich war auch sekptisch. Und nicht nur ich. Auch andere Protagonisten wie Katharaina Thalbach, Bettina Wegner oder Florian Havemann wollten anfangs nicht mitmachen beim Dokumenatfilm. Sie hat uns schließlich überzeugt. Und das Ergebnis und die Reaktionen darauf geben ihr recht, wie ich finde. Es ist ihr wirklich gelungen, nicht nur ein differenziertes Porträt dieser Familie zu zeichnen, sondern auch etwas über die Hoffnungen und Widersprüche zu erzählen, die es in diesem verschwundenen Land einmal gab. Das hat mich sehr beeindruckt.

Wie war dann mit Annekatrin Hendel die direkte Zusammenarbeit, in der Sie ja nicht die Gestaltende, sondern im Gegenteil die Interviewte sind und ja in gewisser Weise der Regisseurin ausgeliefert ist?
Sie hatte eine ganz interessante Herangehensweise für unser Gespräch. Es war kein strenges Interview, wir saßen einfach nur in dieser Wohnung in New York und haben uns unterhalten. Und dann hat sie zum Beispiel plötzlich auf diesen Spiegel gezeigt, an dem Fotos meiner Familie pinnten. Den hatte ich vorher gar nicht gesehen, das war sehr überraschend, zumal da auch Fotos dabei waren, die ich gar nicht kannte. Sie hat also inszeniert, ohne zu inszenieren. Und damit hat sie meinen Blick in den Spiegel und auf diese Familie buchstäblich noch mal geöffnet. Das war mal so eine ganz andere Art der Familienaufstellung. Und dann ist Ihnen vielleicht aufgefallen, dass in diesem Film ziemlich viel berlinert wird. Das hat auch etwas mit Annes besonderer Art zu tun, Gespräche zu führen. Ich hab anfangs gar nicht gemerkt, dass ich berlinere, und als ich es gemerkt habe, sagte sie: Ist doch egal, das bist du doch. Naja, und da hat sie ja recht. Aber es war schon schräg, mitten in New York berlinernd über diese Familie zu sprechen.

Etwas unerklärlich bleibt, wie oder wodurch sich die Kreativität von Euch Geschwistern entwickelt hat, denn das Elternhaus, speziell Ihr Vater, scheint definitiv wenig musisch gewesen zu sein?
Ja, das stimmt. Aber meine Mutter war musisch begabt. Das ist zumindest meine Vermutung. Ich weiß, dass sie Schauspielerin und Sängerin werden wollte. Sie hat im Londoner Exil Theater gespielt und gesungen. Ich denke also, dass es ihre „musischen Gene“ waren, die sich in ihren Kindern durchgesetzt haben. Aber letztlich ist das nur Mutmaßung. Als ich sie danach hätte fragen wollen, was für ein Leben sie sich gewünscht hätte, war sie nicht mehr am Leben.

In dem Film sind Sie gewissermaßen die Erzählerin und Ihr Bruder Thomas Brasch ist die zentrale Figur an der sich die Konflikte mit Staat, Gesellschaft und Familie immer wieder festmachen. Ich finde, von Ihren anderen beiden Brüdern Peter und Klaus erfährt man insgesamt relativ wenig. Was meinen Sie?
Ich finde es interessant, dass Sie das sagen. Es gibt ähnliche Reaktionen von anderen. Allerdings kommt dieser Einwand oft von jenen, die etwas mehr über diese Familie und meine Brüder wissen oder mein Buch kennen. Ich hätte natürlich auch gern auch etwas mehr über meine Brüder gesehen, aber ein Film ist zeitlich begrenzt. Und ich glaube auch, dass es ein wenig auch in der Natur der Sache liegt, dass es in diesem Film zum großen Teil um meinen Bruder Thomas und meinen Vater geht. Der Konflikt der beiden war ja existentiell für die ganze Familie. Und auf fatale Weise erzählt diese Familiengeschichte im Kleinen, was mit der DDR im Großen passiert ist: Die autoritären Väter haben irgendwann ihre Vision aus den Augen verloren und sind denen, die sie hätten weiterführen können nur noch mit Argwohn und Misstrauen begegnet. Daran glaube ich ist die DDR gescheitert, und eben auch diese Familie. Was ich wirklich sehr berührend finde, sind die Reaktionen von Leuten, die mit dem Namen Brasch gar nichts anfangen können, egal ob aus dem Osten oder aus dem Westen. Es ist eine Familiengeschichte, die sich reibt an den Verhältnissen. Und solche Geschichten können viele erzählen.

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