Das Sonntagsgespräch Siegfried Ressel hat sich einen Lebenstraum erfüllt mit dem Film „Hilbig. Eine Erinnerung“

Siegfried Ressel war in den 1990er Jahren zusammen mit Carsten Wist der Eigentümer des „Literaturladens Wist & Ressel“ in Potsdam, wo er eine Art Kultstatus hat. Seit 2002 lebt Ressel in Frankreich und ist Filmemacher.
In Koproduktion von S. Fischer, 3sat und a+r film produzierte er Hilbig. Eine Erinnerung. Sendetermin ist Samstag, der 27. August um 23:05 Uhr, auf 3sat.

Warum Hilbig?

Siegfried Ressel

Seit einigen Jahren beschäftige ich mich ja damit, Literatur und Literaten filmisch beizukommen. Meine Begegnung mit den vielen Autoren, die ich in den 90er Jahren im „Literaturladen“ zu unseren Lesungen kennengelernt hatte, inspirieren mich immer noch sehr; die Person des Schriftstellers macht mich meistens neugierig, wenn mir dessen Werk gefällt und ich möchte im intellektuellen Sinne mehr erfahren über die Person, die „dahinter“ steckt.

Über Wolfgang Hilbig wollte ich schon immer einen Film machen. Mein Zugang zu ihm oder besser: zu seinen ersten Texten, führt in die frühen 80er Jahre zurück: Ich war Anfang zwanzig, lebte in der DDR, und jene Zeit dort fand ich absolut tot. Für jemanden, der kreativ sein wollte, Schreiben, Fotografieren oder Filme machen wollte und aus irgendwelchen Gründen dafür nicht durch die Kulturnomenklatura legitimiert worden ist, waren die Chancen gleich null, damit in die Öffentlichkeit zu kommen. Eine offene Kunstszene, die vielleicht noch hinterfragte oder gar provozierte, das war das letzte, was „die da oben“ wollten. Und es gab auch niemanden, der dieses dumpfe und hoffnungslose Lebensgefühl artikulierte. Bis auf Hilbig. Der hatte interessanterweise als Heizer irgendwo da bei Leipzig zwanzig Jahre unbeirrt für die Schublade geschrieben und wurde plötzlich im Westen, bei S. Fischer, verlegt.

Die Editionsgeschichte ist ja eine Geschichte für sich…

Siegfried Ressel und Wolfgang Hilbig 1994
Foto Mathias-Marx

Die Texte von ihm kamen also über den Umweg des Westens an die Ostleser zurück und das interessante an diesen Gedichten und Prosastücken war, dass sie die DDR, den Osten, als das beschrieben, was er war: eine zerstörte Abraumlandschaft, ein aus der Zeit gefallenes Provisorium, eine von Giften und Gestank umwaberte Industriehalde bevölkert von schattenhaften Gestalten, die schnüffelten, soffen und stanken. Das zu lesen war Wahnsinn, weil Hilbig für diese Zustandsbeschreibung eine einzigartige Poesie entwickelte, die eben keineswegs plakativ ist sondern von allerhöchster literarischer Qualität.

Das alles war für mich ganz einzigartig: Er unterschied sich einerseits völlig von den etablierten, auch kritischen Autoren wie z.B. Christa Wolf, Stefan Heym, Christoph Hein oder Volker Braun, weil die die DDR noch irgendwie für reformierbar, zumindest gesellschaftlich formbar hielten, was Hilbig gar nicht interessierte, und andrerseits war sein literarischer Qualitätsanspruch wesentlich höher als jener vieler mutiger aber auch irgendwie dilletierender Dissidentenautoren. Und aus diesen Gründen ist Wolfgang Hilbig für mich persönlich der DDR-Schriftsteller.

Diese an sich so unfaßliche „Zone“ DDR als herausforderndes Rohmaterial für eine –bei Hilbig– lebenslange literarische Auseinandersetzung zu sehen, sich immer wieder in sie hineinzuschreiben, ihre Gifte zu atmen, sich ihr auch wieder zu entfremden, sie buchstäblich wieder herauszuwürgen, das hat mit dieser poetischen Konsequenz, mit dieser Meisterschaft, nur Wolfgang Hilbig hingekriegt.

Haben Sie Hilbig auch kennengelernt?

Kennengelernt habe ich Hilbig dann nach der Wende als er von 1991 an eigentlich regelmäßig zu uns in den „Literaturladen“ kam und las. Sein Debüt bei uns gab er mit „Alte Abdeckerei“, die ich schlicht für Weltliteratur halte. Das ist eine Erzählung, die einfach großartig ist. Die ist der Hammer, da kriege ich Gänsehaut, wenn ich nur an sie denke.

Und mit Hilbig selbst verstanden wir –Carsten und ich– uns sofort; wir waren halt alle irgendwie Freaks, die sich fast ausschließlich für Literatur interessierten und das war bei Hilbig absolut der Fall. Ganz und gar. Er hatte sich der Literatur regelrecht ausgeliefert. Und wir uns im gewissen Sinne ja auch, wenn natürlich nicht so total und so selbstzerstörerisch schaffend wie er, natürlich.

Aber es dauerte eine Zeit, bis Sie über „Ihren“ Hilbig etwas machen konnten?

Als ich zum Filmemachen überwechselte, hatte ich schon immer vor „was über ihn zu machen“, schon als er noch lebte, weil ich ihn, seine Person, seine Schreibobsession und sein katastrophisches Leben für sehr sehr filmisch halte. Wir, Hilbig und ich, haben darüber lange telefoniert, wir hatten eine Grundidee, aber das ließ sich nicht realisieren und dann war er plötzlich tot.

Die nächste Chance, Hilbig zu „verfilmen“ bot sich zu seinem sich jetzt am 31. August jährenden 70. Geburtstag. Seit 2008 habe ich an dem heutigen Stoff konkret recherchiert und gearbeitet und es kam eine glückliche und ideale Koproduktion zwischen dem S. Fischer Verlag, 3sat und meiner Produktionsfirma zustande.

Worum geht’s in dem Film?

Die Grundidee zu „Hilbig. Eine Erinnerung“ ist ja, dass sich Menschen aus dem direkten Umfeld von Hilbig an ihn erinnern; Menschen, die ihm zu unterschiedlichen Lebens- und Schaffensphasen ganz nahe waren. So arbeite ich ja meistens: ich höre am liebsten zu, was „meine“ Protagonisten zu erzählen haben aus ihrem ganz eigenen, persönlichen Geschichtenfundus. Bei Hilbig war es ganz erstaunlich, dass jeder dieser Menschen sofort bereit war, etwas beizusteuern und zwar von Herzen. Überhaupt: alle die mit der Produktion irgendwie zu tun hatten, an erster Stelle Hilbigs letzter Lektor und derzeitiger „Betreuer“ der Werkausgabe bei S. Fischer, Jürgen Hosemann, und die Kolleginnen von 3sat, sowie mein Team und natürlich die Protagonisten, die im Film Auskunft geben, waren mit großer Empathie zum Thema und Sympathie zur Person dabei. Es ist sehr sehr viel Liebe im Spiel zu einem Menschen, der persönlich so gut wie unfähig war, Liebe anders als in literarischer Form zu geben, zu artikulieren. Das ist für mich ganz einzigartig gewesen, das zu erfahren.

Der Nukleus des Films funktioniert so, dass sich die Protagonisten im stillgelegten Bahnhof von Meuselwitz –hier ist Hilbig geboren und lebte dort die ersten vierzig Jahre seines Lebens, der Ort ist gleichzeitig seine literarische Heimat und auch der Bahnhof ist ein wirklicher Hilbig-Schauplatz– treffen und sich gesprächsweise an den Dichter und Menschen erinnern. Sie reden, trinken, hören zu, lesen sich Texte vor, erinnern sich eben. Das ist ganz wunderbar geworden und hat den immensen organisatorischen wie auch technischen Aufwand den sowas macht, insofern schon „gelohnt“, weil damit so diese klassische Interviewsituation, die man bei Dokumentationen ja meistens hat, formal aufbricht. Und das wollte ich unbedingt.

Jetzt müssen wir natürlich zu Corinna Harfouch kommen…

Einige von Hilbigs Texten sollten selbstverständlich im Film zu hören sein. Jetzt wäre das Nämliche gewesen, wenn ich aus dem reichen Archivfundus entsprechendes – von Hilbig gelesen – eingeschnitten hätte. Ich finde aber, dass Hilbigs vernuscheltes Sächsisch auf die Dauer nicht jedermanns Sache ist und sich ein Text ja auch vom Urheber entfernen und vom Leser interpretiert werden muß. Im Film macht das wunderbarerweise Corinna Harfouch, die mir sofort in den Sinn gekommen war (ich finde Hilbigs Texte nicht spezifisch „männlich“), und sie hat auf meine Anfrage hin, wir kannten uns nicht, sehr schnell zugesagt, u.a. weil sie, was ich nicht wußte, auch ein Hilbig-Fan ist! Ihre riesen Arbeit dann, die sie sich mit den Texten extra für den Film gemacht hat, ist von solch schierer Großzügigkeit dem Projekt und mir gegenüber, dass ich das noch heute gar nicht fassen kann, so schön, so groß ist das!

Wir müssen einen weiteren Namen nennen, der für Hilbig sehr bedeutsam war: Karl Corino…

Ich habe etwas sehr Überraschendes während der Dreharbeiten erfahren, nämlich, was für ein wahnsinniges Glück dieser Wolfgang Hilbig in seinem Leben hatte! Zum einen ist da der damalige Literatur-Redakteur des Hessischen Rundfunks Karl Corino. Der hatte beim HR-Hörfunk Frankfurt/Main in den 70er Jahren die Sendereihe „Transit“ begründet und moderiert und die befaßte sich ausschließlich mit DDR-Kulturthemen und hier vor allem mit Künstlern, die in der DDR keine Öffentlichkeit fanden. Auf der Suche nach solchen Personen, was ja nicht ganz einfach war, stieß Corino auf einen Tip hin irgendwann auf den Namen Wolfgang Hilbig, dem der Karl Corino dann eine Postkarte mit der Bitte um ein paar Texte nach Meuselwitz (!) / DDR schrieb. Etwas später kam, so erzählt Corino, ein brauner A4 Umschlag, und als Corino die Texte darin gelesen hatte, wußte er, hier kommt ein neuer großer deutscher Dichter!

Corino hat dann Hilbigs Texte an den S. Fischer Verlag vermittelt, der sehr schnell die ersten Gedichte veröffentlichte und bis über Hilbigs Tod hinaus dessen Verlag geblieben ist, und das ist natürlich der zweite große Glücksfall in Hilbigs Leben, so eine verlegerische Unterstützung und Treue auch in den dunklen Zeiten und die gabs bei Hilbig nicht selten.

So entdeckt und fast bedingungslos, auf alle Fälle aber ganz großzügig als Künstler unterstützt und gefördert zu werden, das ist, glaube ich, einfach ein Traum jedes Künstlers. Karl Corino hat ja dann auch für Preise und West-Stipendien gesorgt, Hilbig war Corinos Kandidat 1989 in Klagenfurt als dieser den Bachmann-Preis gewann undundund. Und bei S. Fischer braucht man sich nur die jetzt laufende Werkausgabe anzusehen, das ist etwas, wo man aufatmet und sagen kann: sowas gibt’s also doch noch!

Erfährt man im Film auch Privates über Hilbig?

Die Frauen, mit denen Hilbig lebte, waren für ihn ein Glücksfall. Er selbst war wohl nahezu autistisch, was das Zusammenleben mit Frauen betraf, dennoch lebte er so gut wie nie ohne eine Beziehung. Erst mit der Mutter (der Vater fiel in Stalingrad) und dann stets in festen Lebensgemeinschaften mit den jeweiligen Frauen, die ihn alle auf nahezu identische Weise „stabilisierten“, für seinen Alltag sorgten und dafür, dass er schreiben konnte, was ja sein eigentliches und ausschließliches Begehr gewesen war.

Für mich ist wichtig, obwohl ich nicht messianisch bewegt bin, dass Hilbig tatsächlich in Erinnerung bleibt, so auch die Doppeldeutigkeit des Filmtitels. Es ist schon erstaunlich dass Hilbig, obwohl er eine Art Star des Feuilletons und der Literaten – so beschreibt es im Film Uwe Wittstock, einer von Hilbigs Lektoren – gewesen ist und so gut wie alle großen literarischen Preise des deutschsprachigen Raums bekommen hat, vom Bachmann- bis zum Büchner-Preis, nicht so bekannt ist, wie man vermutet oder ich es dachte, dass es so wäre. Der Hilbig ist in mir eine feste und ganz selbstverständliche Größe, aber das ist nicht überall und bei jedem so, was schade ist. Und so wünsche ich mir schlicht, dass das Publikum durch den Film und durch die vielen wunderbaren Menschen, die in ihm „auftreten“ und von Wolfgang Hilbig reden, neugierig wird, sich mit diesem großen Dichter zu beschäftigen und ihn ins Herz zu schließen.

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