Begegnung zwischen osteuropäischer und deutscher Illustrationskunst Sarah Wildeisen über das internationale Bilderbuchfestival „Das Düstere und das Heitere“

Morgen startet das internationale Bilderbuchfestival „Das Düstere und das Heitere“. Es findet vom 20. bis 25. November bereits zum fünften Mal in kleinen Orten auf beiden Seiten der deutsch-polnischen Grenze statt. Hauptveranstaltungsort ist Müncheberg im Landkreis Märkisch-Oderland. Wir sprachen mit Sarah Wildeisen, die zusammen mit Oliver Spatz, die künstlerische Leitung innehat, über die Idee, das Programm und die Verbindung von Bilderbuchkunst und Performance.

BuchMarkt: Der Fokus Ihres Bilderbuchfestivals liegt auf der Illustrationskunst aus Mittel- und Osteuropa. Wie sieht das Programm in diesem Jahr aus?

Sarah Wildeisen

Sarah Wildeisen: Für das 5. Festival haben wir aus Polen die nun schon zweimal für den deutschen Jugendliteraturpreis nominierte Iwona Chmielewska und den Altmeister des polnischen Bilderbuchs, Józef Wilkoń, eingeladen. Aus Deutschland kommen Christina Röckl, die 2015 für Und dann platzt der Kopf (Kunstanstifter Verlag) den deutschen Jugendliteraturpreis erhalten hat und Jutta Bauer. Außerdem kommt aus Russland Anna Desnitskaya, die die Illustrationen zu dem Buch In einem alten Haus in Moskau (Gerstenbarg Verlag) gemacht hat, die wir in der Stadtpfarrkirche Müncheberg ausstellen. Wie in den letzten Jahren haben wir auch in diesem Jahr wieder Künstler aus Litauen, nämlich Elena Selena, und aus Tschechien, Zuzana Hustáková Mašková, dabei.

Die Nachwuchsförderung ist auch fester Bestandteil Ihres Konzepts.

Wir hatten im Vorfeld eine Ausschreibung für Nachwuchskünstler aus Russland, Georgien und Ukraine, Litauen und Deutschland, um an einer Art Masterclass bei Jutta Bauer teilzunehmen, dem „Comic Kontinent“. Eine Jury hat 11 von über 175 Bewerbern ausgewählt, die an 5 Tagen in einer Ateliergemeinschaft zum Thema „Wahrheit und Lüge“ arbeiten. Die Ergebnisse werden in begehbaren Installationen in Müncheberg, Tiflis (Georgien) und Lviv (Ukraine) gezeigt. Hier das diesjährige Programm mit den offenen Veranstaltungen, zu denen alle herzlich eingeladen sind:

Es gibt viele Bilderbuchfeste mit Ausstellungen und Workshops. Was ist das Besondere an Ihrem Bilderbuchfestival?

Die Grundidee des Festivals ist die Begegnung zwischen osteuropäischer und deutscher, zwischen jüngerer und älterer Illustrationskunst sowie die Begegnung zwischen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Es geht um einen vergleichenden Blick, aber auch um die Frage, ob Sprachbarrieren durch Bilderbuchkunst überbrückt werden können. Neben Workshops an Schulen und in Bibliotheken erproben wir neue Formate, die einen performativen Charakter haben, dazu gehört der große Illustratoren-Slam, an dem alle geladenen Illustratoren teilnehmen – mit Live-Zeichnen und Live-Musik. Oder der illustrierte Stadtspaziergang durch Müncheberg, der mit Jugendlichen erarbeitet wird, die ihre Stadt Müncheberg zu einem begehbaren Bilderbuch machen. Ich denk, dass auch die Örtlichkeit, das deutsch-polnische Grenzgebiet einen besonderen Reiz hat.

An wen richtet sich das Festival?

Wir präsentieren Bilderbuchillustration als Kunstform, die sich an Menschen von 0 bis 99 Jahre wendet. Es gibt sogar eine Diskussionsrunde zum Thema „Wahrheit und Lüge im illustrierten Kinderbuch“ mit Jutta Bauer und Józef Wilkoń in Buckow, die sich allein an ein erwachsenes Publikum richtet. Wir wollen Kinder, Jugendliche, Familien, Vermittler*innen und Bewohner*innen der Region erreichen.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, ein solches Festival ausgerechnet in dieser ländlichen Region auf die Beine zu stellen?

Am Anfang gab es die Idee im deutsch-polnischen Grenzgebiet etwas anzubieten, was Bilderbuch und Performance verbindet, weil Oliver Spatz vom Theater kommt und mein Schwerpunkt die Bilderbuchkunst ist. Dann entdeckten wir, dass die Robert Bosch Stiftung mit dem Förderprogramm ViVaVostok osteuropäische Kinderliteratur nach Deutschland bringen will. So haben wir schnell gesehen, dass Polen nicht nur unser Nachbar ist, sondern auch eine Brücke nach Osteuropa sein kann und haben auch Bilderbuchkünstler und Illustratoren aus anderen osteuropäischen Ländern eingeladen.

Hat die Bilderbuchkunst in Osteuropa eine größere Bedeutung als in Deutschland?

Sie steht natürlich in einer ganz anderen Tradition. Die Zeit des Eisernen Vorhangs hat die Entwicklung in Ost und West in verschiedene Richtungen laufen lassen. Der sich seit der Wende in Osteuropa neu entwickelnde Kinderliteraturbetrieb wirkt in manchem moderner, zwischen dem Blick nach Westen, schrägem Design und der Besinnung auf die eigene Tradition, die von Volkskunst, Druckgrafik und der Plakatkunst.

Das Thema des Festivals heißt von Anfang an „Das Düstere und das Heitere“. Warum?

Im deutschen Sprachgebrauch ist das Wort „Bilderbuch“ oft ein Synonym für heile Welt, obwohl sich diese Kunstform auch und gerade auch mit düsteren Themen befasst. Es stellt sich die Frage, ob Illustratoren versuchen düstere Themen in den Bildern abgemilderter darzustellen oder im Gegenteil auch düster zu zeigen. Und gibt es da Unterschiede zwischen Ost und West? Es gibt ein Zitat von Józef Wilkoń, in dem er sagt, dass er gar nicht verstehe, wie man die Farbe Schwarz als unpassend für die Bilderbuchillustration ansehen könne. Umso mehr freut es uns, dass wir ihn jetzt zu unserem 5. Festival einladen konnten.

Die Veranstaltungen finden in deutschen und polnischen Orten statt. Bringen Sie auch die Kinder aus beiden Ländern zusammen?

Ja, es gibt zum Beispiel Workshops in Frankfurt/Oder, das ja unmittelbar an Polen andockt. Im letzten Jahr kamen dort eine polnische und eine deutsche 12. Klasse zusammen, um mit dem Illustrator Mehrdad Zaeri im Kleist Museum eine Zeichenklasse zu erleben.

Wie gehen Sie mit den Sprachbarrieren um?

Eine wichtige Säule während des gesamten Festivals sind die Sprachmittler*innen und Übersetzer*innen, die bei den Veranstaltungen für allgemeines Verständnis sorgen. Trotzdem erlebt man bei Workshops immer wieder Momente bei denen sich bildlich verständigt wird, eine der Besonderheiten des Festivals. Das sind oft magische Momente.

Wie ist die Resonanz des Publikums?

Sehr gut. Die Lehrer*innen, die einmal dabei waren, melden sich immer wieder an. Das Festival ist, was Anmeldungen angeht, zu einem Selbstläufer geworden.

Und das Feedback der Künstler?

Für die Künstler ist die Begegnung mit den Künstlern aus den anderen Ländern besonders. Gerade da es in vielen osteuropäischen Ländern gar keine Ausbildung für Illustration gibt oder einfach Papier und Material fehlen…

Von Anfang an haben Sie zusammen mit Oliver Spatz die künstlerische Leitung inne. Was war für Sie die größte Schwierigkeit bei dieser Arbeit?

Inhaltlich können wir sehr gut zusammenarbeiten, da sich unsere Ideen gut ergänzen und gegenseitig beflügeln. Die Idee hat uns getragen, eben Bilderbuchkunst nicht nur auszustellen, sondern sie mit performativen Elementen zu präsentieren. Schwierig ist es, das Ganze logistisch zu organisieren, weil die Region z.B. nicht über einen öffentlichen Nahverkehr verfügt, der ein ständiges Wechseln der Orte einfach möglich macht.

Und was hat am meisten Spaß gemacht?

Neben sehr berührenden Momenten bei Workshops und Aufführungen, ist es großartig die Künstler*innen kennenzulernen und mit ihnen über Land zu ziehen. Bei Events, bei denen dann alle dabei sind, wie zum Beispiel der große Illustratoren-Slam ist sehr viel Spaß im Spiel. Es gibt sehr schöne Erinnerungen, etwa an ein Gespräch mit Nikolaus Heidelbach über Tabuthemen in der deutschen Kinderliteratur oder an die Veranstaltung mit Malgorzata Gurowska und ihrem Leporellobuch Lokomotywa, das eine politische Dimension hat und an die rohen Wände der Stadtpfarrkirche Müncheberg projiziert wurde, dazu Musik und eine aufgeladenen Stimmung.

Wie finanzieren Sie das Ganze?

Neben Vivavostok bekommen wir Fördermittel des Landes Brandenburg und die Residenz wird vom Auswärtigen Amt getragen. Außerdem gibt es einige private Spender, ein Tischlerei aus Müncheberg, die Sparkasse, und die Stadt Müncheberg engagiert sich auch.

Ist die Finanzierung auch in Zukunft gesichert?

Nein! ViVaVostok war von Anfang an auf fünf Jahre ausgelegt, das heißt die Förderung durch die Robert Bosch Stiftung läuft nun aus. Wir hoffen, dass der Landkreis Märkisch-Oderland für ViVaVostok einspringt und die Schulveranstaltungen absichert. Wir halten das Bilderbuchfestival für einen wichtigen Standortfaktor in der sich positiv entwickelnden Region zwischen Berlin und Polen. Und wenn am Ende das Projekt mit dieser Ausgabe abgeschlossen wird, war es das erfüllendste Projekt in den vergangen Jahren und ein großes Glück, diese Künstler*innen kennenzulernen.

Die Fragen stellte Margit Lesemann

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