Das Sonntagsgespräch Sara Willwerth über das „hausgemachte“ Negativ-Image des Buchhandels

Immer mehr Menschen kaufen im Netz. Das sei bequemer, das Angebot größer und auch vermeintlich billiger. Gleichzeitig hat der stationäre Handel den Stempel eines aussterbenden Konzepts aufgedrückt bekommen. Insbesondere der Buchhandel scheint in der öffentlichen Meinung antiquiert zu sein.

„Wir sind doch eine Unterhaltungsbranche!“ Für Sara Willwerth, Geschäftsführerin der Buchhandlung Weber im niederbergischen Erkrath, steht fest: Wenn es ein Negativ-Image des Buchhandels gibt, dann ist es weitgehend hausgemacht. Es fehlt an Leidenschaft und Kreativität im Umgang mit den neuen Medien und den Kunden. Das war Anlass für dieses Gespräch.

BuchMarkt: Viele Buchhändler beklagen ein vermeintliches Negativ-Image der Branche, das stereotyp in der veröffentlichten Meinung herumgeistert. Gibt es das tatsächlich, oder ist es das ein Gerücht?

Sara Willwerth

Sara Willwerth: Teils, teils. Meine Auszubildende Erika Minzulina berichtet mir jedenfalls, dass es ihre Freunde sehr strange finden, dass sie Buchhändlerin werden will, weil das für die etwas „unglaublich Intellektuelles“ sei. Und das Buch, das sie ihr kürzlich zum Geburtstag geschenkt haben, haben sie natürlich auch bei Amazon bestellt, weil sie sich allesamt nicht in eine Buchhandlung getraut haben. Das ist für die absolut fremdes Terrain.

Als Erika von unserem Laden schwärmte und mal fragte, wie sie den denn fänden, sagten sie, das sei „so’n Schnösel-Laden“, obwohl wir doch als Kleinstadt-Buchhandlung, die wir nun mal sind, mit Krimis, Schmökern und den ganzen Gimmicks nicht unbedingt kopflastig auftreten. Aber wir sind eben ein eher kleiner Laden, und da muss ich auch an meine Jugendzeit zurückdenken. Da sind wir auch eher in die Großstadt gefahren. Ich vermute, das ist eben ein Alter, wo man vom Besitzer, der einen schon vom sechsten Lebensjahr an kennt und wo man schon seine Schulbücher und Jugendbücher gekauft hat, nicht erkannt und angesprochen werden will. Und heute geht man offensichtlich lieber ins Internet. Überdies glaube ich, dass wir bei unserem Blick auf den Buchhandel aus den Augen verlieren, wie die anderen draußen uns tatsächlich wahrnehmen. Das fängt schon beim äußeren Erscheinungsbild und bei der Kleidung an.

Das sollten Sie uns näher erklären…

So wie man von der Friseuse behauptet, sie sei blond und dumm (meine ist übrigens schwarzhaarig und sehr intelligent), generiert und reproduziert der Buchhandel als Ausbildungsbetrieb auch immer wieder ein ganz bestimmtes Erscheinungsbild der Mitarbeiter. Bei den Frauen sind es häufig die sogenannten „grauen Mäuse“, die eher für innere Werte als für äußere Attribute stehen, und bei den leider wenigen Männern, die sich heute noch für den Beruf des Buchhändlers entscheiden, dominieren mehrheitlich Typen, die auch nicht unbedingt cool sind.

So berichtet meine Auszubildende aus der Berufsschule, dass ihre männlichen Kollegen dort entweder total glatt gebügelte Studienabbrecher sind, die ihren vermeintlichen Karriereknick dadurch kompensieren wollen, dass sie irgendwie das Elitäre raushängen lassen. Oder es sind – wie sie sich ausdrückt – „absolute Nerds“, die extrem ausgefallen sind: z. B. Metallica-Fans mit schwarzen T-Shirts und Heavy Metal im Blut. Allesamt etwas arrogant und nicht so ganz von dieser Welt. Und das setzt sich dann im gesamten Erscheinungsbild vieler Buchhandlungen fort. Oft sind sie nicht besonders sauber, viel zu sehr vollgestellt mit Büchern, und auch die Inhaber und Angestellten legen häufig nicht viel Wert auf ihr Äußeres. Ganz zu schweigen von der richtigen Kunden-Ansprache. Da liegt – trotz vieler positiver Entwicklungen – noch immer viel im Argen.

Wieso?

Da fehlt es einerseits oft an Leidenschaft und Feuer, andererseits aber auch an Augenmaß und Sensibilität für die Bedürfnisse des Kunden. Der möchte nämlich auf Augenhöhe begrüßt und beraten werden. Viele Kollegen haben auch eine viel zu große Scheu davor, die Kunden aktiv zum Kauf zu animieren. Dabei geht es nicht darum, ihnen irgendetwas aufzuquatschen. Denn die Warenwelt einer Buchhandlung ist ja voller schöner Dinge, auf die man den Kunden durchaus aufmerksam machen kann, ohne ihn zu überrumpeln: Er kommt ja in den Laden, um überrascht zu werden und etwas zu finden, wofür er sein Geld ausgeben kann. Wir sind doch eine quicklebendige und für alles Neue aufgeschlossene Unterhaltungsbranche.

Aber steht das Buch denn nicht auch im Ruf, antiquiert zu sein?

Das steht es schon immer. Seit es das Buch gibt, wird es doch eigentlich als veraltetes Medium dargestellt. Sogar, als es die sogenannte digitale Herausforderung noch gar nicht gab. Schon als ich selbst als Kind gelesen habe, war das damals nicht gerade in!

Aber die Medien werden ja auch nicht müde, dieses Vorurteil wiederzukäuen. Und wenn Sie als Buchhändler mit einer Bank verhandeln, haben die Banker auch nur im Kopf, was sie dort immer wieder lesen und hören: Dass nämlich die Buchbranche im Grunde ein durch Preisbindung und reduzierte Umsatzsteuersätze künstlich am Leben erhaltenes Relikt aus alten Zeiten sei. Dabei gibt es doch neben dem Elektronikhandel selbst keine zweite Einzelhandelssparte, die so viele innovative und von den Kunden genutzte Schnittstellen mit der digitalen Welt aufweist. Bücher haben schließlich mit allem, was im Netz und im Digitalen passiert, unendlich viel mehr gemein als beispielsweise Schuhe oder Kosmetikartikel – und da denke ich nicht nur an E-Books und Apps.

Schließlich gibt es noch keine Schuhe mit einem eingeprägten Download-Code…

Die wird es auch nicht geben. Aber den Buchhandel in der jetzigen Form wird es auch irgendwann nicht mehr geben, wenn wir es nicht endlich bald schaffen, uns dem Kunden gegenüber als das darzustellen, was wir im Grunde doch auch sind und noch mehr sein könnten: eine Branche, die im crossmedialen Konzertbetrieb kompetent mit angesagten Inhalten mitmischt. Nicht mit intellektuellem Anspruch, aber dafür umso kundenorientierter! Das dürfte doch nicht so schwer sein, denn es geht doch hier wie dort – also im Web ebenso wie zwischen den Buchdeckeln – um Inhalte und Kommunikation, Unterhaltung und Information. Und genau da liegt doch die viel beschworene Kernkompetenz des Buchhandels.

Sie haben also keine Angst vor Amazon & Co.?

Nein. Natürlich ist es ein Problem, dass es offensichtlich immer weniger Leute gibt, die es genießen, durch die Stadt und die Geschäfte zu bummeln, um nicht nur zu gucken, sondern auch einzukaufen. Vor allem jüngere Menschen tun sich schwer damit, dem persönlichen Einkaufserlebnis etwas Positives abzugewinnen und ziehen es vor, daheim im Internet ihre Sachen zu bestellen. Das liegt doch aber nicht an den Produkten und Preisen, denn im Internet wird ja auch nichts verschenkt. Die Ursache dafür kann doch nur beim Handel selbst liegen oder zu einem Teil wohl auch an der mangelnden Attraktivität vieler Innenstädte.

Und was kann und sollte der Handel da tun?

Um dem ebenso unangebrachten wie kontraproduktiven Abgesang auf den Buchhandel endlich Einhalt zu gebieten, ist es höchste Zeit, in die Gegenoffensive zu gehen. Da ist sicherlich eine Medienkampagne, wie der Börsenverein sie jetzt gestartet hat, hilfreich. Und ich hoffe, dass da in dieser Richtung noch mehr passiert. So ist es m. E. die größte Krux des Buchhandels, das er es bis heute nicht geschafft hat, die Buchpreisbindung bis zum Endkunden hin tatsächlich zu kommunizieren. Denn es ist immer noch ein verbreiteter Irrglaube, Bücher seien im Internet billiger.

Nicht minder wichtig ist aber, dass die Buchhändler selbst endlich aus ihrer Höhle herauskommen, in der sie sich im Schutze der Buchpreisbindung zwischen ihre vielen Büchern zurückgezogen und die Übersicht verloren haben. Ich will das nicht verallgemeinern und kenne sehr viele Buchhandlungen, für die diese Kritik nicht zutrifft. Aber es gibt viele Kollegen, die einfach nicht deutlich und leidenschaftlich genug darauf hinweisen, dass (fast) alles, was bei Amazon & Co. im Netz steht, auch bei ihnen lieferbar ist – über Nacht und zum gleichen Preis. Möglichst viele Bücher auf Lager zu haben, reicht da nicht aus. Entscheidend ist, durch offene und animierende Ladengestaltung, durch das persönliche Auftreten (und Aussehen) sowie durch werbewirksame Aktionen dem potenziellen Kunden zu signalisieren: Komm herein in die bunte Welt der Medien und lass Dich überraschen. Und keine Angst vor dummen Fragen, wir nehmen Dich ernst und versuchen zu helfen! Das spricht sich rum und ist das beste Mittel gegen stereotyp negative Vorurteile in der öffentlichen und veröffentlichten Wahrnehmung. Wenn wir unsere Kunden fragen, was sie an uns schätzen, dann verweisen sie immer auf die persönlichen Empfehlungen. Die Persönlichkeit ist es, was uns von anderen unterscheidet.

Die Fragen stellte Jürgen Christen

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