Das Autorengespräch Rainer Wittkamp: Ich schreibe Großstadtkrimis. Sowohl von den Orten als auch vom Tempo und Stil her

Rainer Wittkamp

Immer freitags hier ein Autoren-Gespräch – heute mit Rainer Wittkamp, der mit Stumme Hechte am 12. April bei Grafit den bereits vierten Band mit dem Berliner Ermittler Martin Nettelbeck vorlegt.

Warum Stumme Hechte ein atemberaubenden Krimi mit rasantem Tempo, respektloser Coolness, politischer Wachheit, erregendem Sex, burlesker Komik und sarkastischen Milieuschilderungen und das Ganze absolut auf der Höhe der Zeit ist – das lesen Sie hier im Interview mit dem Autor.

Zu Ihrem neuen Buch Stumme Hechte, dem vierten Band Ihrer Reihe um den Berliner Ermittler Martin Nettelbeck: Worum geht es darin?

Rainer Wittkamp: Wie in allen meinen Kriminalromanen erzähle ich mehrere parallel verlaufende Geschichten, die ich nach und nach zusammenführe und zum Schluss auflöse. Diesmal geht es um einen berufsmäßigen Troll mit einem schweren Anfall von Altruismus, eine lesbische Ex-Gefängnisinsassin auf Rachetour und einen verfaulten Apfel im Polizeidienst, der andere Äpfel anzustecken droht.

Ihre Romane spielen in Berlin. Das Etikett „Regional-Krimi“ werden Sie für Ihre Bücher aber wahrscheinlich nicht gelten lassen, oder?

Nein. Ich schreibe Großstadtkrimis. Sowohl von den Orten als auch vom Tempo und Stil her. TV-Krimi-Aufklärung, Betulichkeit und Political Correctness kann der Leser von mir nicht erwarten. Meine Romane könnten sicher genauso gut in Madrid, Warschau oder anderen europäischen Metropolen spielen.

Als ich Stumme Hechte gelesen habe, fiel mir auf, dass Sie ein völlig anderes Bild von Berlin zeichnen, als man es gemeinhin kennt. Wie kam es dazu?

Seit meinem Abitur lebe ich in Berlin, kenne mich dort ziemlich gut aus. Nicht zuletzt deswegen, weil ich in den 80er- und 90er-Jahren als Regieassistent und Regisseur so ziemlich überall in der Stadt gedreht habe. Viele neu erscheinende Romane spielen in Berlin, aber meistens zeichnen sie ein eher touristisches Bild der Stadt: Alexanderplatz, Friedrichshain, Kreuzberg und neuerdings wieder der Ku’damm. Ziemlich vorhersehbar und dementsprechend langweilig. Ich versuche, dem mit weniger bekannten Orten und nicht so verbrauchten Milieus etwas entgegenzusetzen. Und das schätzen viele meiner Leser.

Haben Sie beim Schreiben irgendwelche Schreibabläufe, an die Sie sich halten? Knüpfen Sie da an Ihre Zeit als Drehbuchautor an?

Eher weniger. Als Drehbuchautor habe ich häufig für feste Formate geschrieben. Oft mit inhaltlichen Vorgaben seitens der Produzenten. Das ist jetzt anders. Meine jahrzehntelange Schreiberfahrung und die damit verbundene Routine kommen mir natürlich ständig zugute. Vor allem, wenn es um Dialoge und die Konstruktion meiner Geschichten geht.

Was ist heute anders? Was machen Sie heute beim Schreiben anders?

Es ist weniger der Schreibprozess als die Freiheit, die ich heute habe. Das ist schon evident. Ansonsten bemühe ich mich, Geschichten zu erzählen, die interessant und unterhaltsam sind. Und die so noch nie erzählt wurden. Das ist nicht leicht. Üblicherweise verwerfe ich zig Ideen und Figurenkonstellationen, ehe ich fündig werde. Da ich parallel an anderen Sachen arbeite, macht das aber Spaß und gehört zum Schreibprozess dazu. Für mich ist das Wichtigste, dass ich mich nicht wiederhole. Das sollte man als Schriftsteller seinen Lesern nicht zumuten.

Durch Klick aufs Cover zum Buch

Ihr Romane erinnern mich an die Bücher von Carl Hiaasen. Wie bei ihm funktionieren Ihre Romane sowohl als Krimis als auch als Gesellschaftssatiren. In der Figurenanlage gibt es ebenfalls Ähnlichkeiten: Mafiöse Geschäftsleute, apathische Ehefrauen oder intellektuell überforderte Hartz-4-Bezieher könnten auch in Hiaasens Thriller agieren.

Ich schätze Carl Hiaasen sehr, ein wirklich toller Autor. Seine Romane zeigen sehr gut, was ein Schriftsteller erreichen kann, wenn er Humor und Komik gezielt als Stilmittel einsetzt. Aber bei Gesellschaftssatiren bin ich skeptisch. Ich will unsere verwirrende Gegenwart nicht demaskieren, mir kommt es darauf an, den Leser in meine Welt hineinzuziehen. Trotzdem achte ich darauf, dass Ironie und Sarkasmus nicht in blanken Zynismus umschlagen. Diese Gefahr besteht natürlich immer.

Martin Nettelbeck, die Hauptfigur Ihrer Romane, liebt Jazzmusik und spielt Posaune. Hin und wieder verknüpfen Sie einzelne Szenen mit Jazzstücken, und zwar so, dass diese nicht nur als Farbe funktionieren, sondern die Geschichte vorantreiben. Wie kommt das bei Ihren Lesern an?

Gut bis sehr gut. Viele Leser freuen sich, dass sie in meinen Büchern musikalische Entdeckungen machen können. Nur eine kleine Minderheit ignoriert die Jazzstücke. Das sind dann vermutlich diese notorischen „Posaunenhasser“, die Martin Nettelbeck in Stumme Hechte so vehement verdammt.

Ihrem Buch ist ein „Minigedicht für Rainer“ vorangestellt, das der Lyriker und Zeichner Frantz Wittkamp geschrieben hat. Extra für Sie?

Extra für Stumme Hechte. Frantz Wittkamp hat es mir nach unserem persönlichen Kennenlernen geschickt. Er ist ein wunderbarer Künstler, mit dem ich trotz der Namensgleichheit nicht verwandt bin. Allerdings ist er Ehrenpräsident der ›Vereinigung der Autoren, die alle Wittkamp heißen, aber nicht miteinander verwandt sind‹. Unser drittes Mitglied ist der Knaur-Autor Peter Wittkamp. Wir hoffen auf Zuwachs. Im vergangenen Herbst habe ich deshalb leichtsinnigerweise für unsere Vereinigung die Frauenquote ausgerufen. Aber bislang hat sich noch keine Autorin namens Wittkamp gemeldet. Schade.

Mit welchem Argument kann der Buchhändler Ihr neues Buch seinen Lesern am besten verkaufen?

„Wenn Sie einen atemberaubenden Krimi mit rasantem Tempo, respektloser Coolness, politischer Wachheit, erregendem Sex, burlesker Komik und sarkastischen Milieuschilderungen lesen wollen, und das Ganze absolut auf der Höhe der Zeit, dann greifen Sie zu einem Roman von Rainer Wittkamp. Stumme Hechte haben wir übrigens gerade frisch hereinbekommen …“

Gibt es schon Resonanz, über die man sich freut, sie weitererzählen zu können?

Die gibt es. Der Bayerische Rundfunk hat mich eingeladen, Stumme Hechte in der Sendung Jazztime vorzustellen. Wir werden uns eine Stunde lang über meine Kriminalromane unterhalten und ein paar Jazzstücke hören, die in meinen Büchern eine Rolle spielen. Außerdem gibt es verstärkt Lesungstermine, bis in den Winter hinein.
Durch Klick auf Foto zur Webseite von Rainer Witzkamp.

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