Runde Geburtstage Rainer Weiss (70)

Rainer Weiss

Dr. Rainer Weiss wird heute 70 Jahre alt. Dem Gründer des Verlages weissbooks.w gratulieren seine Mitgründerin Anya Schutzbach und Artur Becker, sein Autor der ersten Stunde:

Wenn man jemanden 22 Jahre lang kennt, wenn man in diesen 22 Jahren die ersten zehn etwas weniger, die darauf folgenden 12 Jahre aber umso mehr so eng zusammengearbeitet hat, dass die Anzahl der gemeinsam verbrachten Stunden bei weitem die übersteigt, die man mit dem eigenen Partner verbringt – dann ist man zu einem solchen Anlass eigentlich „dran“. Oder man besinnt sich rasch seiner eigentlichen Aufgabe und gibt den Autoren das Wort; spätestens seit Peter Suhrkamp wissen wir: Sie stehen haushoch über uns, und ich weiß, Artur Becker, Autor der ersten weissbooks.-w- Stunde, ein Hochbegabter in Sachen Euphorie und großer Gesten, spricht hier ihm Namen all unserer Autorinnen und Autoren, die in den Genuss kamen, durch Rainers begnadete Lektoratshände zu gehen. Aber auch ich gratuliere natürlich von Herzen, lerne Polnisch und stimme in den Jubel ein: Sto lat! Sto Lat! Sto lat! Anya Schutzbach   

Was macht eigentlich einen guten Verleger (und Lektor) aus? Jedes Mal, wenn diese Frage fällt, denke ich an Rainer Weiss, der, geboren am 3. Januar 1949 in Karlsruhe, heute siebzig Jahre alt wird. „Hoch soll er leben! Hoch soll er leben!“, „Sto lat! Sto lat!“, „Hundert Jahre sollst du werden!“, wie die Polen singen.

Rainer Weiss hat, was wir Autoren brauchen, und das ist zunächst einmal Respekt. Fundamentale Voraussetzung, damit aus einem Manuskript ein Buch werden kann! Ich meine damit nicht nur seinen Respekt vor dem geschriebenen Wort (und seine Liebe dazu: noch heute liest er, wie wir als Kinder, laut vor, was an interessanten Worten oder außergewöhnlichen Namen sein Auge passiert). Ich spreche auch von seinem Respekt vor Talent und dem schöpferischen Akt an sich. Und damit vor der Knochenarbeit, die ein Schreibender leistet.

Genau darum, weil er es versteht, diesen Respekt zu zeigen, ihn regelrecht zu zelebrieren, fühlt man sich als Autor bei ihm aufgehoben, anerkannt, verstanden. Ich kenne nur wenige Lektoren, die ein solches Maß an Ausdauer und Geduld für ihre Autorinnen und Autoren aufbringen wie er. (Was die Frage aufwirft, ob er nicht vielleicht ein Masochist ist?)

Eine weitere Verlegerleidenschaft zeichnet ihn aus: Für ein Buch, das ihn überzeugt, kann er ungeheure schwärmerische Kräfte und frenetische Überzeugungen entwickeln. (Ebenso leidenschaftlich freilich sind seine eindringlichen Urteile, wenn ihm etwas gar nicht gefällt; dann wird der Betroffene mit gleicher Verve geköpft, wobei der Duktus der Ablehnung zuweilen Bernhard‘sche Züge tragen kann.)

Eigentlich würde man ja gern sein Verlegerleben lesen. Da er sich selbst aber als Nicht-Langstreckenläufer bezeichnet (zumindest, was das eigene Schreiben anbelangt), werden wir mit seinen „Erinnerungen eines Leidenschaftlichen“ wohl nicht rechnen dürfen; schade. Ein Biograf muss also her. Und dessen Kernfrage wird sein: Woher kommt diese Lebensfreude, dieses Homerische, dies dem Menschen und der Menschheit so positiv Zugeneigte, das dem Gegenüber Respekterweisende? Woher stammt diese Klarheit in seiner ethischen, vor allem aber politischen (sozialdemokratischen) und kulturgeschichtlichen Haltungen? Da ist er ganz kompromisslos, auch was die Beurteilung der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert angeht. Da ist kein Platz für populistischen Zwischentöne, geschweige denn für Rassismus oder Antisemitismus.

Nun, er ist (und ist es nach über 30 Jahren in Frankfurt immer noch) im Herzen Badener. In Karlsruhe aufgewachsen, zur Schule gegangen, der Vater Augenarzt, ein Großvater im Schwarzwald. Nach dem Studium der Literaturwissenschaft und Philosophie in Heidelberg und München folgte die Promotion, sein Doktorvater der berühmte italienische Philosoph Ernesto Grassi (1902 – 1991), einer der führenden Vertreter des konservativen Humanismus. Bei ihm musste sich Weiss mit dem Begriff der Schönheit in der Antike auseinandersetzen – und sicherlich wäre sein Leben anders verlaufen, wenn er seine Karriere als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Neapel weiterverfolgt hätte.

Doch er verließ Italien und Grassi – und wurde freier Werbetexter: Deutlich der erste Schritt in Richtung fiction! (Und des späteren Verlegens derselben; nicht wenige ehemalige Werbeleiter wurden übrigens später selbst Verleger.) 1978 begann er bei Piper in München. Und machte bald Entdeckungen: Zum Beispiel Anna Wimschneider, eine Bäuerin aus Niederbayern, die den Weltbesteller Herbstmilch schrieb. An diesem Beispiel zeigt sich die Weiss‘sche Vorliebe für Geschichtenerzähler, für das Profunde des Erzählten und die Schönheit einer Odyssee.

1982 lernte er in Klagenfurt die Autorin Ulla Berkewicz kennen, eine Begegnung mit Folgen, wie man weiß: 1985 trat Weiss in den Suhrkamp Verlag ein und blieb dort ganze 22 Jahre. Als Lektor, Leiter des Theaterverlags, der Presseabteilung, des Jüdischen Verlags, zuletzt als Programmgeschäftsführer. Und immer, wenn er wieder einmal in Klagenfurt auftauchte und dort in geselliger Runde kühlen Weißwein schlürfte, machten sich manch junge Autoren in die Hosen und flüsterten sich zu: „Schaut mal, da sitzt der Rainer Weiss!“

Bei Suhrkamp lektorierte er viele der Großen: Muschg, Walser, Rothmann, Bichsel oder Begley … Allesamt Kaliber, aber derjenige, der ihn einmal wirklich in Verlegenheit gebracht hatte, das war, wenn ich der Legende Glauben schenken darf, Thomas Bernhard. Und zwar beim Verspeisen eines Desserts, zusammen mit Siegfried Unseld. Bernhard war der damals noch jung erscheinende Lektor Weiss wohl nicht entschlossen genug bei der Wahl des Desserts, „mit oder ohne Erdbeeren“ … Und so ist die Erdbeere für Weiss bis heute eine ganz besondere Frucht.

Abgesehen davon, dass sein Herz ein badisches ist, ist Rainer Weiss inzwischen längst Frankfurter durch und durch. Dass so einer nicht nach Berlin gehen würde, war klar. Und so wurde weissbooks.w 2008, als Suhrkamp irgendwann ohne ihn klarkommen musste, eben auch in Frankfurt gegründet. Ich werde nie vergessen, wie er mich 2007 im Literaturhaus vor einer Veranstaltung mit der Frage überraschte, ob ich denn nicht sein Autor werden wolle. Wir hatten bei all unseren bisherigen Treffen vor allem eines im Sinn gehabt: einen lustigen und geistreichen Abend zu verbringen, und das natürlich am liebsten bei Herrn Franz, dem Lieblingsrest, wo nicht nur die Literatur den Ton angibt, sondern auch der Fußball oder die deutsch-polnisch-österreichisch-persische Freundschaft.

weissbooks.w, der Verlag, den Anya Schutzbach mit ihm gemeinsam gründete, feiert im übrigen am heutigen Tage ebenfalls Geburtstag, den schnapszahligen elften; ein weiterer Grund, zu feiern, zumal die 11 in seinem Leben eine noch ganz andere Rolle spielt, also: Hoch die Tassen! Auch wenn weissbooks.w seit Weiss‘ Rückzug aus dem turbulenten Tagesgeschäft ohne den „Senior“ auskommen muss

Lektor ist der Verleger immer geblieben (zu meinem Glück!); hyperaktiver Geist, der er ist, kann er ja nicht einfach „in Rente“ gehen. So koordiniert er zum Beispiel für den Westend-Verlag die Veranstaltungen, für die „Kreative Schreibschule weissbooks.w“ gibt er Schreibkurse. Vor allen Dingen aber hat er endlich ausreichend Zeit für das, was er neben der Literatur am meisten liebt: die andere 11. Den Fußball. Die Frankfurter Eintracht ist die eine Geliebte, die andere aber heißt FC Gudesding, und die hat es in sich (sie ist ja auch viel jünger): An jedem Sonntag, ob Buchmesse oder nicht, lockt sie ihn in den Ostpark, wo „seine Jungs“ trainieren und Erfolge in der Kreisliga feiern.

Hyperaktiv auch das Privatleben, das voller Überraschungen steckt, fangen wir mit den Frauen an: Da ist natürlich seine Frau Elvira (bekannt als „DJ Vira“), die seit ihren Tagen als „Monroe vom Main“ immer noch erfolgreich auflegt. So ist – System Familienbetrieb – Rainer Weiss nicht nur ihr „Manager“, sondern freitagabends auch an der Kasse der „Brotfabrik“ anzutreffen, wo tanzwillige 50+-Beine sich dem Vira’schen Sound ergeben. Dann ist da seine Tochter Karline, die er zusammen mit der 68er-Ikone Jutta Winkelmann hat (und dank der er schon zweifacher Großvater ist). Über alles liebt er auch seine Söhne, Simon und Paul; Fußballbegeisterte wie er. Und nicht zu vergessen good old Kuno, den weisen Labrador, mit dem er jeden Morgen im Grüneburgpark seine Runden dreht.

Was liebt Rainer noch? Bratkartoffeln! Die verspeist er gern in der „Insel“, eine kulinarische Institution im Frankfurter Osten, gleich um die Ecke vom Verlag. Er liebt die Schweiz, er liebt den Schwarzwald und den Spessart, das Pilzesammeln und München. Im Sommer liebt er kurze Hosen und steht auf Schokolade mit dicken Nüssen. Den Sauerbraten nicht zu vergessen!, so er ihn selbst macht; daneben Supermärkte, diese Aushängeschilder der „flüchtigen Moderne“ und das schnelle und furchtlose Texten auf WhatsApp.

Gar nicht sein Fall sind allzu feine Restaurants, Excel-Tabellen, Ordnung, Zahlen, Pingeligkeit, Fasten, Snobs und „Kunscht“. Also alles, was ablenkt von der Wahrheit, vom Echten; vom Menschsein an sich, vom Menschen in seiner ganzen Dialektik, Tragikomik und Erhabenheit. Wir landen also wieder bei Homer: Der Dichter der Dichter liebte zwar den Heros Achilles, doch er liebte auch den tragischen Helden und Verlierer Hektor. Homers Schrei der Verzweiflung angesichts dessen tragischen Todes ist unüberhörbar, auch für Rainer Weiss.

Das Wichtigste nicht zu vergessen: Weiss ist auch ein Künstler. Weil er eitel ist. Denn wer das Lektorieren liebt, muss eitel sein. Das ist sein „Gudesding“, das kann er einfach ausgezeichnet. Hoch soll er leben! Sto lat! Ihr jungen Heroen und Sirenen des Lektorats – verneigt Euch!

Artur Becker

(Im weissbooks.w Startprogramm 2008 erschien sein Roman Wodka und Messer. Lied vom Ertrinken, seither sind fünf weitere Bücher erschienen, zuletzt der Hotelroman Der unsterbliche Mr. Lindley)

Kontakt: raiweiss@yahoo.de

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Kommentare (1)
  1. Der Inhalt ist sehr interessant. Vieles wird über die Schriftsteller und ihre Art des Schreibens berichtet. Zum Beispiel habe ich oft davon geträumt, Herrn Dr. Rainer Weiss persönlich kennenzulernen. Und durch einen Zufall las ich dass er pensioniert sei. Dann schrieb ich an Suhrkamp mit der Bitte. meinen Brief an Herrn Dr. Weiss weiter zu leiten. Daraus entstand eine lange Kette von Information. Das hat mein Herz total zerrissen. All der Jahre habe ich immer an Ihn gedacht. Allerdings fehlte mir die Courage an ihn zu schreiben.

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