Das Sonntagsgespräch Rainer Dresen über das Thema der Woche: Plagiate und die fehlende Achtung vorm geistigen Eigentum anderer

Wird das Abschreiben ein neuer Volkssport von Möchtegern-Autoren? Allein in dieser Woche hatten wir mit Helene Hegemann und Jens Lindner zwei Fälle, die ziemlich drastisch waren: Hegemann hat sich aus den Weiten des Internet zusammenkopiert, was sie grad brauchen konnte und etwas umgeschrieben, Jens Lindner hat einfach den Roman einer Bestsellerautorin abgeschrieben.

Ulrich Faure sprach mit dem Verlagsjuristen Rainer Dresen über die rechtlichen Komponenten dieser Klau“kultur“.

Rainer Dresen

uf: Jens Lindner hat nicht einige Passagen zusammengeklaut, sondern einfach den ganzen Roman abgeschrieben. Böse gefragt: Kann es nicht sein, dass der einfach nur Lektorate auf ihre Aufmerksamkeit testen wollte?

Rainer Dresen: Fast möchte man denken, dass nur das als Erklärung für das Verhalten von Jens Lindner in Frage kommt. Die Übernahmen aus Janet Evanovichs „Einmal ist keinmal“ sind derart zahlreich und weitestgehend wortwörtlich, dass man sich schon fragt, wie er glauben konnte, dass er damit durchkommt. Das Piper-Lektorat aber möchte ich in Schutz nehmen, mit einer derartigen Dreistigkeit wie sie Jens Lindner gezeigt hat, kann kein Verlag rechnen.

uf: Ist das Rechtsbewusstsein in unserer Branche tatsächlich so ausgehöhlt, dass Betrügern Tür und Tor geöffnet ist?

Rainer Dresen: Ich würde gerne hoffen, dass es sich hierbei um einen Einzelfall handelt. Allerdings bin ich nicht sicher, ob das zeitliche Zusammentreffen mit der Causa Hegemann nur Zufall ist, bei der ich übrigens den Begriff „Betrug“ nicht verwenden würde, da deren Fall juristisch sehr differenziert zu betrachten ist. Fast befürchte ich aber, dass sich eine Tendenz abzeichnen könnte, wonach insbesondere junge Autoren, die den Drang zur Schriftstellerei verspüren, denen es aber vielleicht an Erfahrungen oder Fähigkeiten fehlt, immer weniger Respekt vor dem geistigen Eigentum anderer haben.

uf: In jedem ordentlichen Verlagsvertrag versichert der Urheber doch, dass er keine Rechte Dritter verletzt. Welche Sanktionen stehen in einem solchen Plagiatsfalle zur Verfügung. Immerhin reden wir ja über Diebstahl, wenn auch „nur“ am geistigen Eigentum.

Rainer Dresen: Autoren, die sich derart an fremden Inhalten bedienen, riskieren nicht nur Schadensersatzansprüche, sondern setzen sich auch der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung aus. Es geht hier immerhin um einen Betrug gegenüber dem eigenen Verlag und um eine Urheberrechtsverletzung gegenüber dem Ursprungsverlag und dessen AutorIn. Interessant ist, dass Herr Lindner wohl genau wusste, was er tat. Auf seiner eigenen Homepage ist der Warnhinweis angebracht: „Alle Texte unterliegen dem Copyright.“

uf: Hat sich Piper schon bei Ihnen gemeldet? Was werden Sie jetzt tun?
Immerhin sind ja die Rechte Ihrer Autorin massiv verletzt worden.

Rainer Dresen: Ich habe mit der Programmleiterin telefoniert, die sich bei uns entschuldigte, obwohl der Titel schon vor ihrem Amtsantritt eingekauft war. Piper hat höchst kollegial reagiert, der Titel wurde sofort aus dem Programm genommen, alle vorhandenen Bestände sind eingestampft, der Autor wird mit großer Wahrscheinlichkeit in diesem Autorenleben bei Piper keinen Titel mehr veröffentlichen. Gegenüber Piper ist der Fall für uns erledigt. Der „Autor“ allerdings wird noch von uns hören, unser externer Anwalt hat ihm bereits geschrieben. Da Herr Lindner mittlerweile eine reuevolle Entschuldigung verfasst hat, werden wir aber wohl davon absehen, ihn weiter zu belangen.

uf: Kein Lektor kann alle Bücher auf dem Markt kennen. Wie kann man sich Ihrer Meinung nach schützen vor Leuten, die mit der geistigen Arbeit anderer Trittbrett fahren?

Rainer Dresen: Rechtlich ist der Fall klar: Jeder Autor versichert, dass seine Buchinhalte keine Rechte Dritter verletzen. Darauf müssen sich die Lektorate ein Stück weit verlassen können. Wenn man alle Texte selbst akribisch nachrecherchiert, kommt man nicht mehr zur eigentlichen Verlegerei. Insoweit ist es interessant, auch hier eine Parallele zu Hegemann, dass die entscheidenden Hinweise auf den Rechtsverstoß aus der Leserschaft kamen. Vermutlich muss man hier in Zukunft tatsächlich größere Mühe aufwenden. Wir hatten übrigens bereits einmal in der Vergangenheit ein Angebot, eine entsprechende Software zu testen. Nachdem wir aber probehalber zehn Manuskripte an das Unternehmen geschickt haben, hörten wir nie mehr von der Firma…

uf: Wie haben Sie das Buch von Helene Hegemann wahrgenommen?

Rainer Dresen: Ich hatte viel über das Buch gelesen und mich über die einhellige Begeisterung des Hochfeuilletons etwas gewundert. Eigentlich wollte ich dann das Buch sofort kaufen, um in Kantinengesprächen mit den Lektoratskollegen mitreden zu können. Aber ich zögerte mit dem Kauf, denn die bis dahin bekannt gewordenen Auszüge der Sex- und Drogenerfahrungen einer Sechzehnjährigen in Berlin passten so gar nicht zu dem Autorenfoto eines Mädchens, das man sich nur schwer als Grenzgängerin im Berliner Untergrund vorstellen konnte. In dieses Zögern hinein kam dann noch die Besprechung von Maxim Biller in der FAS, die mich endgültig vom Kauf abhielt. Denn wenn Biller ein Buch auf seine unnachahmliche Weise toll findet, lese ich das zumindest für mich als Warnung „Vorsicht: Könnte Kunst sein. Vielleicht aber auch nur ambitionierte Künstlichkeit.“

uf: Auf das Hegemann-Plagiat ist nun die gesamte Feuilletonisten-Riege von FAZ bis Spiegel reingefallen. Man hat langsam den Eindruck, es gehe auch hier nicht mehr um Literatur, sondern ausschließlich um den Hype, um dem Leser (und dem Anzeigenkunden) etwas zu bieten. Helene Hegemann hat recht flapsig dargetan, daß sie für sich das Recht in Anspruch nimmt, sich (geistig) überall da zu bedienen, wo für sie etwas zu holen ist. In jedem Supermarkt würde ein solches „Experiment“ vor dem Kadi enden. Geht’s ums Urheberrecht, schlägt den Bestohlenen nicht selten das Unverständnis der Leser entgegen: Seid doch nicht so kleinlich… Wird diese dreiste Klau-Mentalität, Stichwort „Urheberrechtsexzess“, das Problem der Zukunft?

Rainer Dresen: Es ist natürlich leicht, sich im Nachhinein über diese Besprechungen zu wundern, wenn man sie jetzt im Wissen um die neuen Umstände liest. Beispielhaft sei noch einmal Biller genannt. „Dieses Buch ist, wie jede große Kunst, sehr moralisch.“ Er sprach vom „ungeheuren literarischen Talent von Helene Hegemann“ und schrieb – im Nachhinein durchaus doppeldeutig – von ihrem Deutsch, als einem, „das es noch nie gab“. Ich wäre nicht überrascht, wenn er seine erste Einschätzung des Buches in Kürze wortmächtig wie stets rechtfertigen und die Autorin mit guten Argumenten wie etwa dem Verweis auf Autoren mit ähnlicher Arbeitsweise wie vielleicht Thomas Pynchon verteidigen wird.

Hoffentlich aber liegt er zumindest in einem Punkt nicht richtig, nämlich der Vermutung, dass bald „bestimmt hundert andere deutsche Schriftsteller – manche sogar gegen ihren Willen – den Hegemann-Sound nachmachen und dabei natürlich absolut scheitern werden.“ Denn als Verlagsjurist will man sich dieses Szenario lieber nicht vorstellen. Es ist tatsächlich zu befürchten, dass viele Autoren das ganze Aufheben um Hegemann cool finden und sich derartige Fälle in Zukunft häufen werden. Insofern dürfte die Meldung, dass das Buch nun auch noch zu einem der wichtigsten Literaturpreise nominiert wurde, solche Intentionen noch bestärken. Da mag schon der eine oder andere denken „Das kann ich auch“.

uf: Wie sehen Sie als Verlagsrechtler die Plagiatsvorwürfe? Wogegen hat die Autorin nun verstoßen?

Rainer Dresen: Wie man dem Standardkommentar zum Urheberrechtsgesetz entnehmen kann (Vinck in Fromm/Nordemann, § 24 Anhang) nannte der römische Dichter Martial seinen Kollegen Fidentius einen „Plagiarius“, einen „erbärmlichen Seelenverkäufer“, nachdem dieser Martials Gedichte als seine eigenen ausgegeben und vorgetragen hatte. Der Begriff hat die Jahrtausende überstanden, aber nie Eingang in die Gesetze gefunden. Üblicherweise definiert man ihn als „Bewusste Entnahme und Aneignung eines schutzfähigen fremden Geistesguts.“ Der Begriff Plagiat kommt also zwar im gesamten Urheber- und Verlagsrecht nicht als gesetzlicher Begriff vor, wird aber gleichwohl dort indirekt geregelt.

Plagiate in diesem Sinne können gegen diverse Vorschriften des Urheberrechts verstoßen. Nur der Urheber eines geschützten Werkes und nicht ein beliebiger Dritter hat das Veröffentlichungs- und Verbreitungsrecht an seinem Werk. Der Urheber hat das Recht, auch als Urheber genannt zu werden. Verstöße hiergegen führen zu Auskunfts-, Unterlassungs- und Schadensersatzansprüchen und gegebenenfalls sogar zu Strafverfahren wegen Urheberrechtsverletzung. Voraussetzung ist aber stets, dass die übernommenen Teile eines anderen Werkes überhaupt lang und originell genug sind, um eigenständigen Schutz zu genießen. Das ist stets dann der Fall, wenn die übernommenen Teile nach Form oder Inhalt eine hinreichend individuelle Prägung aufweisen. Auch kurze Teile sind geschützt. Denn wenn nicht auch kleinen Teilen Werkqualität zugebilligt würde, bestünde die Gefahr, dass sie ansonsten von einem geschickten Plagiator „ausgeschlachtet“ würden, wie die Kommentatoren Nordemann/Vinck aus dem oben genannten Fachbuch das recht plastisch ausdrücken.

Demnach dürften die meisten, aber vielleicht nicht alle Übernahmen von Hegemann überhaupt urheberrechtlich geschützte Werkteile betreffen. Einzelne isolierte Begriffe aber müssen schon sehr originell sein, um für sich genommen Schutz zu genießen

uf: Die vom Blogger Pirmasens akribisch aufgelisteten Beispiele zeigen, dass die Autorin Hegemann nirgends wörtlich vom Autor Airen abgeschrieben hat. Welche Implikationen hat das?

Rainer Dresen: Alle mir bislang bekannt gewordene Passagen sind tatsächlich nicht identisch übernommen, sondern nur ähnlich gehalten wie die Vorlagen. Dann handelt es sich allenfalls um Bearbeitungen im Rechtssinne. Diese sind abhängig von dem Ausmaß der Übernahme und der eigenen Umarbeitung dann entweder eine freie Benutzung, die ohne Zustimmung möglich ist, oder eine unfreie Bearbeitung, die einer Zustimmung bedarf. Frei ist die Benutzung dann, wenn die verwendeten Stellen lediglich als Anregung verwendet wurden, etwas Eigenes, Neues zu schaffen. Das ist dann der Fall, wenn das Neue, Eigene, hinter dem Vorbestehenden verblasst. Ob das tatsächlich so war, muss für jeden Einzelfall genau betrachtet werden. Die Beweislast für eine erlaubte freie Benutzung liegt bei der Autorin.

uf: Wie ist der Umstand zu bewerten, dass der Blogger Airen jetzt zu der Übernahme durch Hegemann sagte: „Das ist kein Roman, das ist mein Leben gewesen. Ich habe mir das nicht ausgedacht. Helene Hegemann hat das nicht erlebt. Ich habe das so erlebt“?

Rainer Dresen: Das lässt den wahren Umfang der Anlehnungen erahnen, aber es macht die Rechtslage eher noch komplizierter. Denn es ist als freie Benutzung rechtlich zulässig, die Fakten einer zwar fremden, aber bereits veröffentlichten Biographie zu übernehmen. Die Fakten eines Lebenslaufs nämlich genießen keinen Urheberrechtsschutz. Einzelne, für sich urheberrechtlichgeschützte Passagen daraus dürfen jedoch nicht übernommen werden. Des Weiteren sind gegebenenfalls persönlichkeitsrechtlich brisante Passagen auszusparen. Beide Umstände sind hier diskutabel: In wieweit wurden die Passagen abgeändert, in welchem Umfang genießt der Blogger Airen Persönlichkeitsrechtsschutz, wenn er selber intime Szenen veröffentlicht hat, dies aber unter Pseudonym erfolgte und er gar nicht im Rechtssinne erkennbar war? Und wie ist zu bewerten, dass Hegemann aus dem männlichen Protagonisten Airen das Mädchen Mifti machte? Und was ändert sich daran, dass Airen jetzt unfreiwillig vom Blogger Pirmasens geoutet wurde und jetzt jeder, der es wissen will, erfährt, wo Airen wann geboren wurde, aufgewachsen ist, Abitur gemacht hat, einen MBA gemacht und wo als was gearbeitet hat?

uf: Wie beurteilen Sie das Vorgehen des Ullstein Verlages, alle möglicherweise betroffenen Rechteinhaber zu identifizieren und anzuschreiben?

Rainer Dresen: Die Strategie des Verlags, das Buch und die Autorin gegen alle Angriffe zu verteidigen, zugleich aber alle bekannten Quellen der Autorin zu identifizieren und sicherheitshalber bei allen Rechteinhabern anzufragen, ob die Passagen verwendet werden dürfen, halte ich für ehrenwert, seriös und professionell. Aus rechtlicher Sicht wäre es zumindest denkbar gewesen, sich in allen Fällen auf eine freie Benutzung zu berufen. Das aber hätte die Auseinandersetzung auf die juristische Ebene verwiesen, was sicher nicht der richtige Ort dafür wäre.

uf: Der betroffene Verlag SuKULtur und der Blogger Airen haben sich sehr kulant verhalten – hätten Sie ihnen auch dazu geraten?

Rainer Dresen: Höchst erstaunlich und erfreulich ist, dass sich die Diskussion über die Zulässigkeit des Vorgehens der Autorin bisher ausschließlich dort abspielt, wo sie auch hingehört: In den Feuilletonseiten der Medien und nicht in den Gerichtssälen der Republik. Diese gelassene Zurückhaltung der betroffenen Rechteinhaber ist für mich als Verlagsjurist, der weiß, wie schnell ein Verlag in Rechtsstreitigkeiten über Texte verwickelt werden kann, die größte Überraschung des Falles. Denn heutzutage, wo an jeder Ecke ein Medienanwalt wartet, klagt doch fast jeder gegen fast alles.

uf: Hätten bei Hegemanns Verlag bei diesem – sagen wir – rotzigen Roman nicht alle Warnlampen angehen müssen, dass ein solches Manuskript überhaupt nicht auf dem Mist der Autorin gewachsen sein kann?

Rainer Dresen: Im Nachhinein ist leicht urteilen. Wie zu hören ist, gab es kaum einen renommierten Verlag dieses Landes, bei dem das Buchmanuskript der ja auch von einer renommierten Literaturagentur vertretenen Autorin nicht zumindest in einer Kurzfassung zur Prüfung vorlag. Viele Verlage haben eingehend gelesen und sich Gedanken gemacht, ob das Buch ins Programm und in die Zeit passt. Langweilig jedenfalls fand es niemand. Dass dann viele Verlage abgesagt haben und Ullstein zugriff, hatte mit einem guten Gespür für brisante, zeitgeistige Stoffe bei den Berliner Kollegen und den Branchenusancen zu tun und nichts mit den jetzt gegen das Buch bekannt gewordenen Einwänden. Bis vor einer Woche hat offenbar noch niemand den scheinbar fiktiven Dialog ernst genommen, der aber wohl alles über Hegemanns „Arbeitsweise“ erzählt.

Auf Seite 15 von Axolotl fragt Protagonistin Mifty einen Edmond, als der einen originellen Satz sagte, skeptisch: „Ist das von dir?“ und bekam zur Antwort: „Ich bediene mich überall, wo ich Inspiration finde und beflügelt werde weil meine Arbeit und mein Diebstahl authentisch werden, sobald etwas meine Seele berührt. Es ist egal woher ich die Dinge nehme, es ist wichtig, wohin ich sie trage.“
Schließlich fragt Mifty nochmal: „Es ist also nicht von dir?“
Klare Antwort: „Nein. Von so `nem Blogger.“

uf: Hat sich denn Fräulein Hegemann auch an Werken aus Ihrem Einzugsbereich bedient?

Rainer Dresen: In der Danksagung erwähnt Hegemann: „Besonderer Dank an Kathy Acker“, begründet aber nicht, warum und nennt auch keine einzelnen Titel. Kathy Acker ist eine früh verstorbene Underground-Kultautorin mit Lust am Tabubruch. Einige ihrer Werke erschienen Ende der Achtziger/Anfang der Neunziger bei Heyne, sind aber nicht mehr lieferbar.

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