Das Sonntagsgespräch Prof. Randolf Dieckmann: „Stärkere Verknüpfung von Lehre und Praxis wäre eine Win-Win-Situation“

Die Buchhändlerausbildung hat eine lange Tradition in Leipzig: Seit 20 Jahren kann man Buchhandel und Verlagswirtschaft in Leipzig an der Fachhochschule studieren und seit vier Jahren mit einem Bachelor oder Master abschließen, trotzdem ist das Studium immer noch wenig bekannt. Anlass für ein Gespräch mit Prof. Randolf Dieckmann, der an der Hochschule Leipzig im Studiengang Buchhandel/Verlagswirtschaft Fakultät Medien lehrt.

Herr Dieckmann, wann ist Ihnen erstmals so richtig bewusst geworden, dass der Studiengang so wenig bekannt ist?

Prof. Randolf Dieckmann

Prof. Randolf Dieckmann: Eine Absolventin unseres Studiengangs, die bei Thalia als Filialleiterin arbeitet, traf Herrn Kreke von der Douglas Holding und wurde von ihm nach ihrer Vorbildung gefragt. Sie antwortete ihm, dass sie Buchhandel/ Verlagswirtschaft in Leipzig studiert habe. Kreke erwiderte daraufhin erstaunt: „Was, das kann man studieren?“

Was meinen Sie, woran das liegt?

Über die Gründe kann ich nur spekulieren, es können viele sein: Machen die Hochschulen zu wenig auf sich aufmerksam? Gibt es keinen Bedarf an Nachwuchskräften in der Branche? Haben sich die Qualifikationsanforderungen der Branche in eine Richtung entwickelt, die die Hochschulen nicht nachvollzogen haben? Liegt es daran, dass für die Arbeit in Verlagen keine akademische Vorbildung notwendig erscheint, weil die Buchbranche so ganz anders ist als andere Branchen, die den Fokus ihres Handels weit mehr auf Optimierung, Geschäftsprozesse, Projekte usw. und weniger auf den Charakter ihrer Produkte legen? Liegt es daran, dass die Branche sich selber als so professionell empfindet, dass kein Input von außen notwendig ist, weil alle Abläufe, Verfahren und Prozesse eingeübt und gelernt sind? Oder werden Absolventen anderer Studiengänge bevorzugt, weil sie nicht „betriebsblind“ sind und deswegen neue Impulse einbringen können?

Das sind tatsächlich viele mögliche Erklärungen… Ist der Studiengang denn auch bei der studentischen Zielgruppe unbekannt?

Nein, jedes Jahr bewerben sich zum Beispiel in Leipzig 10-mal mehr junge Menschen als Studienplätze zur Verfügung gestellt werden können. Wozu man einen Studiengang, der sich mit den wirtschaftlichen Fragen der Buchproduktion und des Buchvertriebs sowie mit neuen Medien beschäftigt, studieren soll, braucht man den jungen Leuten nicht mehr zu erklären.

Was genau ist denn der Vorteil eines Absolventen, der Buchhandel/ Verlagswirtschaft oder andere Studiengänge studiert hat, für den Verlag oder die Buchhandlung?

Unsere Absolventen erhalten eine fundierte branchenbezogene Ausbildung und kennen verschiedene Medien-Märkte mit ihrer Bedeutung und verschiedene Entwicklungen. Die Absolventen können sich auf „Augenhöhe“ unterhalten, was mit branchenfremden Quereinsteigern schwieriger ist. Die Studenten erhalten außerdem eine Methodenkompetenz. Damit ist gemeint, dass sie für verschiedene Fragenstellungen den richtigen Lösungsweg auswählen können bzw. dass sie in der Lage sind, Lösungen selbstständig zu erarbeiten. Außerdem lernen sie bestimmte Abläufe praktisch kennen, können sie unmittelbar in der Praxis einsetzen (z.B. in unserer Lehrbuchhandlung) und haben die Möglichkeit, Projekte selbstständig zu planen und durchzuführen. Dabei entwickeln sich auch charakterlich weiter.

Ziehen Sie auch die neuen Entwicklungen innerhalb der Buchbranche in das Studium mit ein?

Natürlich beschäftigen wir uns im Rahmen des Studiengangs auch intensiv mit den Entwicklungen der Branche und damit, mit welchen Instrumenten Antworten gefunden werden können. Sehr viele Abschlussarbeiten beschäftigen sich mit vertrieblichen Fragen in Bezug auf neue Medien, die Vertriebsmöglichkeiten in Bezug auf E-Books, Facebook, Apps, mit crossmedialer Produktion und auch crossmedialer Kalkulation. Hier kommen viele gute Ideen und Ansätze heraus, von denen ich mir wünschte, Sie würden in der Praxis aufgegriffen werden. Ich wünschte mir, die Studiengänge könnten mit der Branche ähnlich vernetzt arbeiten, wie es aus anderen – meist technischen – Studiengängen bekannt ist. Denn eine stärkere Vernetzung wäre dabei für alle Beteiligten eine Win-Win-Situation.

Inwiefern?

Die Praxis kann von den Ideen der Studierenden profitieren, die Lehre an den Hochschulen bekäme Input aus der Praxis über aktuelle Problemfelder und die Studierenden können sich an praktischen und realen Problemen ausprobieren.

Was wünschen Sie sich von den Personalern der Branche?

Es wäre aus Sicht der Hochschulen wünschenswert, wenn es in Bezug auf die Personalauswahl ein Bewusstsein dafür gäbe, dass zum Beispiel die Fachhochschule in Leipzig als einzige öffentliche Hochschule in Deutschland einen Schwerpunkt Buchhandelsmanagement anbietet und ein sehr betriebswirtschaftlich orientierter Studiengang ist. Wir beschäftigen uns zum Beispiel mit vertrieblichen und kaufmännischen Problemfeldern der Buchbranche, wie der Preispolitik für E-Books, oder mit aktuellen Problemfeldern und wenden bekannte betriebswirtschaftliche Instrumente an. Darüber hinaus gibt es einen Schwesterstudiengang, in dem Buch- und Medienproduktion mit Schwerpunkt Herstellung studiert werden kann. Diese Spezialisierungsmöglichkeit ist einzigartig in der Hochschullandschaft und bietet auch für Unternehmen vielfältige Möglichkeiten der Zusammenarbeit.

Hat die Buchbranche denn überhaupt noch einen Reiz für junge Menschen?

Ja, auf jeden Fall. Viele junge Menschen, die mit neuen Medien aufgewachsen sind, für die der Umgang damit selbstverständlich ist und die aus ihrem bisherigen Nutzungsverhalten innovative Ideen entwickeln können, interessieren sich für das Produkt „Buch“, ja, sie sind begeistert von Büchern. Eine Branche, die einerseits vor den hinlänglich bekannten Veränderungen steht (nach der Frankfurter Buchmesse wurde von einer „tektonischen Plattenverschiebung“ gesprochen), und andererseits auf motivierten, engagierten und interessierten Nachwuchs trifft, wäre doch – bitte gestatten Sie mir diesen wenig professoralen Ausdruck – „mit dem Klammerbeutel gepudert“, wenn Sie diesen Potential nicht nutzen würde.

Oft müssen junge Menschen, obwohl sie ein abgeschlossenes Studium vorzuweisen haben, trotzdem noch einmal ein Praktikum oder ein Volontariat in ihrem Wunschunternehmen absolvieren – und das für gar kein oder sehr wenig Geld. Wie stehen Sie dazu?

Die Frage ist gerechtfertigt. Selbstverständlich verstehe ich es nur zu gut, wenn in Zeiten des Umbruchs mit unsicheren Umsätzen und Absatzerwartungen, Markt- und technologischen Entwicklungen sowie sinkenden Auflagen insbesondere Personalkosten gesenkt werden müssen und Verlage versuchen, die Wirtschaftlichkeit über die Kontrolle der Kosten zu stabilisieren. Andererseits muss man sich die Frage stellen, ob es – und jetzt verwende ich mal den eher ungewöhnlichen Begriff – fair ist, von Studierenden zu erwarten, dass sie ein halbjähriges Praktikum mit einer produktiven Tätigkeit umsonst absolvieren, wenn die Studierenden dann auch noch umziehen, ihre bisherige Wohnung behalten und ihren Lebensunterhalt zum Beispiel in München bestreiten müssen. Man kann sich auch fragen, ob es fair ist, nach dem Erwerb eines Hochschulabschlusses noch einmal als „Auszubildender“ in Form eines Volontariats oder Traineeprogramms bei entsprechend niedriger Bezahlung anzufangen, bei der man zum Beispiel in München gezwungen ist, wieder wie als Student in einer WG zu wohnen.

Was wünschen Sie sich hier?

Ich wünschte mir zu diesem Problemfeld mehr Wertschätzung für die jungen Menschen, obwohl ich weiß, dass Begriffe wie „Fairness“ oder „Wertschätzung“ nicht zum Standardvokabular von Controllern gehören, wenn es um die Frage der Wirtschaftlichkeit oder Rentabilität geht…

Mehr Informationen zu Prof. Randolf Dieckmann, finden Sie hier.
Kontakt: Tel. +49 341 3076-5440, Mail: dieckmann@fbm.htwk-leipzig.de

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