Aus der Werkstatt der Verlage (XIV) Peter Haag: „Sollten wir die Zeit nicht dazu nutzen, uns genau zu überlegen, ob wir nicht in ein Hamsterrad der maßlosen Buchproduktion eingetreten sind?“

Die oft sehr persönlichen Verleger-Blicke auf ihre jeweiligen neuen Programme und auf die Branche derzeit in den Editorials der Herbstvorschauen wollen wir hier in loser Folge mit Ihnen teilen. Den Anfang machte Christoph Links, darauf folgten die Editorials von Lucien Leitess, Daniel Kampa, Lothar Schirmer, Christian Strasser, Sebastian Guggolz, Gerhard Steidl, Joachim von Zepelin und Christian Ruzicska,  Constanze Neumann, Gregory C. Zäch, Dr. Stephanie Mair-Huydts und Steffen RübkeHeike Schmidtke und Kilian Kissling und von Katharina Eleonore Meyer. Heute hier das Editorial von Kein & Aber -Verleger Haag:

Peter Haag: „Einen aktuellen Titel möchte ich Ihnen in diesem Zusammenhang ans Herz legen: Martin Meyers Corona – eine Erzählung, die unter dem Eindruck des Ereignisses entstanden ist und aus der Sicht eines Buchhändlers berichtet, wie er sich in der Quarantäne der relevanten Lektüren seines Lebens besinnt und Trost aus diesen zieht“ (c) Dominique Meienberg

Schwierige Situationen wie die Corona-Krise zwingen uns, sich aufs Wesentliche zu konzentrieren. Was es sonst im Überfluss gibt, wird plötzlich von einer stets verfügbaren Selbstverständlichkeit zu einem raren Luxus­gut. Womit wir bei einem guten Nebeneffekt der Katastrophe sind: der Möglichkeit, eine Zäsur zu setzen. Indem wir uns wieder stärker auf die essenziellen Dinge besinnen und darauf, was sie uns lehren können. Und zu diesen gehören für uns alle Bücher. Den pfiffigen Buchhändlern ist es zu verdanken, dass über ihre Webshops und ad hoc ausgetüftelten unkonventionellen Lieferwegen weiterhin der Nachschub an Büchern gesichert ist.

Mir ist in den vergangenen Wochen ein latenter Gedanke der letzten Jahre wieder und wieder in den Sinn gekommen – dass wir die Zeit des Verzichts dazu nutzen sollten, die Spreu vom Weizen zu trennen bzw. uns genau zu überlegen, ob wir zuletzt nicht in ein Hamsterrad der maßlosen Buchproduktion eingetreten sind und jetzt der Punkt gekommen ist, auszusteigen. Rohstoffe und Ressourcen werden mitunter sinnlos vergeudet. Mir schwebt daher eine Art Exit aus dem Programm überbordender Titelproduktion vor – wie Sie wissen, erscheinen allein auf dem deutschen Markt täglich über 220 neue Buchtitel, die sich dann einen Weg zum Kunden bahnen müssen. Oftmals vergeblich. Bis Anfang der Achtzigerjahre waren es noch deutlich weniger; danach wurde in einem Maße aufgedreht, dass eigentlich für uns alle daraus eine Zumutung erwachsen ist. Und wenn man genau hinschaut, ohne Grund.

Durch Klick auf Cover zur Kein & Aber Vorschau

Der Kunde ist seit Langem überfordert, das für ihn richtige Buch aus der schieren Masse Neuerscheinungen herauszufiltern; die Buchhändler müssen stets aufs Neue ihre Ladenflächen freiräumen; die Presse hat kaum mehr Platz in ihren Feuille­tons als für ein paar Dutzend Neuerscheinungen – und wir Ver­lage leiden unter einem Verdrängungswettbewerb, der nicht zwingend zum besseren Produkt führt. Warum deshalb hier jetzt nicht die Notbremse ziehen, wo doch plötzlich vieles denk- und vorstellbar geworden ist, was vorher undenkbar war?

Ich würde mich freuen, wenn Sie mir Ihre Gedanken dazu aus der Isolation zukommen lassen – und natürlich, wenn Sie unser diesmal quantitativ schmaleres Programm qualitativ dennoch schätzen. Einen aktuellen Titel möchte ich Ihnen in diesem Zusammenhang ans Herz legen: Martin Meyers Corona – eine Erzählung, die unter dem Eindruck des Ereignisses entstanden ist und aus der Sicht eines Buchhändlers berichtet, wie er sich in der Quarantäne der relevanten Lektüren seines Lebens besinnt und Trost aus diesen zieht.

Ihr

Peter Haag

 

 

Kommentare (5)
  1. Tja, lieber Peter Haag,
    fromme Wünsche sind wohlfeil. Du wünschst die Konzentration auf „die besseren Bücher“? Wer beurteilt die? Warum lässt sich der Handel von den zahllosen Etiketten der Konzerne fluten, die immer neue Imprints erfinden? Weil alle das einzige gemeinsame Qualitätskriterium kennen: Ein gutes Buch ist ein verkauftes Buch. Und natürlich das mit den besseren Konditionen.
    Möchtest Du kein Umsatzwachstum? Wenn der Kuchen gleich groß bleibt oder gar schrumpft, musst Du – ja, was? – „die schlechteren Bücher“ verdrängen. Wie wär’s mit ein paar Tochterverlagen? Mit 50 %, 5 % Bonus fürs Umsatzziel und gebündelter Auslieferung. Natürlich alle sehr zurückhaltend auf wenige „bessere“ Titel beschränkt …
    Habent sua fata libelli.

  2. Peter, das Rad ist wohl selbst mit der Notbremse nicht mehr aufzuhalten. Kein Verleger muss ein Hamster sein. Es braucht sich keiner dazu zwingen zu lassen, in das Rad einzusteigen und loszulaufen was das Zeug hält, bis er sich selbst überrundet. Doch im Grunde genommen hast du schon Recht. So viel unnützes Zeug wie auf dem Buchmarkt gibt es sonst nur noch bei Nahrungsergänzungsmitteln. Da hilft auch kein Ginko Biloba.

  3. Sehr geehrter Herr Haag,
    für das Sortiment (aussortieren) sind die Sortimenter da, die man ja allgemein als Buchhändler bezeichnet. Ich würde mich natürlich freuen, wenn Verlage wirklich ihre „Verlagsgesichter“ behalten würden bzw. diese etablieren. Seit Jahren bewundere ich das schlanke Programm von Econ (Ullstein); J. Diessl etablierte dieses m.W. Die „Marken“ fehlen zu häufig, es gibt die großen Verlage, an denen man nicht vorbeikommt. Es lassen sich aber Perlen auch bei anderen Verlagen finden. – Wie geschrieben: Sortimentersache. Nun arbeite ich im Fachbuchbereich RWS. Das macht es teilweise leichter. Es gibt neben den „Brotartikeln“ auch dort Versuche. Manche gelingen, manche nicht. Es gibt Verlage, bei denen ich den Kunden „warnen“ muß: Da ist zu wissenschaftlich (oder gar: pseudo-wissenschaftlich). Ähnlich wird der Allgemeine Sortimenter sagen: Das ist gut geschrieben, lesenswert – oder „Schrott“. Wobei auch ein „schlechtes“ Buch durchaus seine Berechtigung hat. – Ja, Verleger, konzentriert Euch. Gönnt auch mal dem anderen Verlag seinen Erfolg und springt nicht gleich auf die thematische Schiene auf. Der Kuchen hat nur eine gewisse Größe! Mit H. Gante (Wiley-VCH) diskutierte ich schon vor Jahren darüber. „Kein & Aber“ sehe ich übrigens nach außen recht gut aufgestellt. Klein & fein. – Was Verlage wohl häufig vergessen: Die Betreuung. Dabei unterscheiden sie zu häufig nicht bei den Zuständigkeiten (Einkauf, Marketing, zentral, örtlich…) Vertreter sterben aus oder sind „Irgendetwas“. Dabei ist m.E. der Vertreterbesuch sehr wichtig („Vertreter sind die Augen des Verlegers“), heute aber durchaus telefonisch und meinetwegen virtuell möglich. Win-win bie Kosten und Zeit. Vertreter helfen unbedingt, so sie vertrauenswürdig sind, und die meisten sind es. – Fazit: Schlankeres Programm: ja! Konzentration auf den Verkauf dieser wenigeren Artikel: ja! So, das war jetzt eine kostenlose Beratung für Sie. :-) Vorgezogenes PS: „Martin Meyer: Corona – eine Erzählung“ habe ich für mich selbst NATÜRLICH frühzeitig bestellt gehabt. Ich hoffe, es ist ist wirklich lesenswert.
    Ja, das Prinzip Hoffnung gilt für Leser, Buchhändler und Verleger. (Ist so eine Art Glücksspiel.)
    Sonnige Grüße sendet
    Carsten Vogt http://www.BuchVogt.de

  4. Sehr geehrter Herr Haag,
    ja, man verliert den Überblick bei so viel gedruckten Büchern. Die Zahl der Publikationen nimmt zu, die Zahl der Leser nimmt ab. Es gibt auch viel zu viele Verlage, die mit ihren Programmen jeweils eine komplette Bandbreite zu generieren versuchen. Das Rad der Zeit zurückdrehen können Sie auch nicht. Insgesamt drängen seit einigen Jahrzehnten viel mehr Autoren an den Markt, nicht nur die „Babyboomer“ sind qualitativ und quantitativ eine schreibstarke Generation. Will sagen: In der Nachkriegszeit wog das Wort des Einzelnen noch viel. Heute gibt es eine Schriftsteller-Masse. Verlage, Agenturen und Medien versuchen dem gegenzusteuern, indem sie mit den großen Namen hantieren und so zu filtern beabsichtigen. Dafür kursiert das Schlagwort der „Sichtbarkeit“. Innerhalb der großen Masse dürfen nur einige wenige sichtbar sein, sonst fehlt dem Literaturbetrieb das Profil. Auf der anderen Seite wird viel Nonsens produziert, um rasches Geld zu machen. Viel Gedrucktes hat nur eine sehr kurze Halbwertzeit, ist fast so schnell eingestampft wie hergestellt. Ja – Spreu vom Weizen trennen – aber wie? Hier kommen den Meta-Instanzen wie dem Feuilleton wichtige Aufgaben zu: Sie sollten die ganze vorhandene Bandbreite sichten und die Nadeln aus dem Heuhaufen fischen – und wieder echte Leseempfehlungen unterbreiten, statt nur das ohnehin Bekannte noch mal zu reproduzieren.

  5. Lieber Herr Haag,

    schön wär’s und ich wäre dabei. Vor rund 40 Jahren hat mir der Vertriebler eines großen TB-Verlags erklärt, die Hälfte der Produktion käme ins Programm, damit die Konkurrenz das Regal nicht belegt. Damals waren die Taschenbuch-Fortsetzungen noch das A und O. Das Sortiment hat sich schließlich gewehrt und die Fortsetzungen gestrichen. Ich wünschte mir mehr Mut bei den Einkäufern im Sortiment („Da hängt mein Herz nicht dran, lass ich weg.“) und mehr Ehrlichkeit der Verlage bei der Programmgestaltung („Da hängt mein Herz nicht dran, lass ich weg.“) – dann würde so mancher Baum nicht als Papiermüll enden müssen.

    Grüße aus dem Mannheimer Wareneingang!

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