Gespräche Nina George: „Ich bin Ihre Zukunft“

Nina George hat mit ihrem Statement auf der Jahreshauptversammlung der AG Pub am 21. Januar für Aufsehen gesorgt: In einem leidenschaftlichen Plädoyer mit den Worten „Ich bin Ihr Risiko – ich bin Ihre Zukunft“ zieh sie die Verlage des Idealismus und erklärte, dass es keinen Grund zur Gelassenheit gebe.

Für buchmarkt.de hat sie ihre Thesen noch einmal präzisiert – statt Sonntagsgespräch also heute eine Sonntags-Predigt … oder -Standpauke? Hier ihr Statement:

Sehr geehrte Frau Staatsministerin Grütters, sehr geehrte Herren Kraus vom Cleff, Klose und Nüthen, vielen Dank für die Einladung – sehr geehrte, viel zu wenige Verlegerinnen, sehr geehrte, wenn auch eindeutig überrepräsentierte Verleger, verehrte Vorredner:

Nina George
© Urban Zintel

Guten Tag, ich bin Ihr Wirtschaftsrisiko. Ich bin Ihre Zukunft. Ich bin eine von denen, ohne die Sie alle nicht das machen könnten, was Sie tun: Bücher verlegen.

Wer mich nicht kennt: Ich bin Beirätin des Präsidiums des PEN, VG Wort Verwaltungsratsmitglied sowie Gründerin der Initiative Fairer Buchmarkt. Ich war unter anderem 2014 die Kampagnenmacherinnen bei dem Autoren- und Autorinnenbrief an Amazon, der von 2028 Kolleginnen unterzeichnet wurde, u.a. auch von zwei Nobelpreisträgerinnen, aber auch Ferdinand von Schirach, Juli Zeh oder Doris Dörrie.
Seit vier Jahren bin ich politisch aktiv, ehrenamtlich und täglich, um für das Urheberrecht, die Buchbranche, und für Sie und für mich zu sprechen. (Ab und zu komme ich sogar noch zum Schreiben; zur großen Erleichterung meines Verlagsteams).
Und ich muss Ihnen leider sagen:

Es gibt keinen Grund zur Gelassenheit.

Sie als Verlage werden in der öffentlichen Wahrnehmung absolut unterschätzt. Sie gelten als Contentmafia, als Ausbeuter, als Druckereimaschinen. Die Politik schubst Sie umher. Für den Stimmenfang werden Sie auf nationaler wie europäischer Ebene benutzt: Ob es der verbraucherschutznahe Politiker ist, der Ihnen vorwirft, Sie machen E-Books zu teuer, oder der Justizminister, der in einem one-size-fits-all-eleven-branches-Modell von Urhebervertragsrecht versucht, zu vielen gleichzeitig gerecht zu werden und damit niemandem. Sie geraten täglich mehr unter Druck, um sich gegen jene Mitbewerber auf dem digitalen Markt durchzusetzen, die Konkurrenz nicht als belebend empfinden – sondern als störend, und Sie schlicht vernichten wollen. Sie sind Idealisten, wenn auch jene mit funktionierendem Taschenrechner – aber Sie denken immer noch in Inhalt. Und so werden Sie von Unternehmen bedroht, die auch Schweinehälften ins Regal stellen und verkaufen würden, wenn’s hilft. Und – Sie müssen jetzt sehr tapfer sein –, und Sie werden auch von uns Autoren und Autorinnen nicht nur geliebt.

Wäre unser Verhältnis eine Ehe, würde ich sagen: „Schatz, wir müssen reden.“

Die gute Nachricht: Unser Verhältnis ist nicht grundsätzlich zerrüttet. Unsere Partnerschaft – AutorInnen und VerlegerInnen – hat wie jede Ehe Höhen und Tiefen hinter sich. Vor fünfzehn Jahren waren die Rollen allerdings klarer verteilt: Der Verleger eher oben, die Autoren eher unten, eine eingespielte Asymmetrie, die auf der Basis fußte, dass wir gemeinsam ein Buch machen.
Und das gelingt mal mehr, mal weniger: 30 Prozent aller Autoren sind glücklich mit ihrem Verlag. Vertrauen, künstlerische Zusammenarbeit, menschliche Nähe, alles stimmt – und davon träumt immer noch fast jeder Autor, jede Autorin: Solch ein literarisches Zuhause zu finden.

Das Gros der Autoren und Autorinnen aber, um die 40 %, sehen die Ehe mit Ihnen heute mehr denn je als Zweckgemeinschaft. Und hält der Ehemann – Sie – nicht, was er einst versprach, nun ja, da sind Seitensprünge zu anderen Literatur-Gatten und Verlagen völlig normal, oder, seit Erfindung des Selfpublishing, auch Liebschaften mit glatzköpfigen Lautsprechern aus Seattle.

Die dritte Kategorie Autoren und Autorinnen sollten Sie nicht unterschätzen: Die unglücklichen.
Warum sind diese todunglücklich mit Ihnen?

Sie kümmern sich nicht gut genug, zu wenig oder sogar destruktiv um sie. Scheußliche Cover auf gute Bücher. Keine oder wenig höfliche Kommunikation, kein Marketing, nicht mal die Pressefrau kennt den Namen des Autors, der Verleger merkt sich den Namen der Autorin nicht. Keine literarische Traute – ständig verlangen Sie, man muss dem Markt hinterher schreiben! Mach doch lieber ein Happy End; bloß keine schwierigen Themen! Buch lief nicht? Nein, ein zweites machen wir nicht, sorry, the winner takes it all.

Unterschätzen Sie niemals den gedemütigten, schlecht behandelten oder ignorierten Autoren: Das sind jene, die heute natürlich jubeln, wenn sie endlich Instrumente in die Hand bekommen, um sich aus ihrer frustrierenden Position zu befreien. Wie etwa der Rechterückfall nach 5 Jahren im derzeitigen Entwurf zum Urhebervertragsrecht – das ist für jene genau das, was sie sich wünschen: Weg von dem Verlag, der mich eh nicht sonderlich mag. Herr Dr. Sprang nannte diesen Passus im Referentenentwurf vorhin „Folterinstrument“, und das mag aus Ihrer Sicht nicht untertrieben sein: Sie wollen Planungssicherheit, sehen die Lizenzketten gefährdet oder haben Sorge, dass Ihnen ein Mitbewerber den aufgebauten Autoren wegkauft, gar Amazon mit seiner unermesslichen Gier und seinem Masterplan der Gazellenjagd (der Vernichtung aller Verlage). Und als Verlag, der seine Autoren und Autorinnen gut und mutig begleitet auf dem literarischen Weg, sehen Sie solche Vorlagen aus dem BMjV als Affront und schreiben lange, empörte Briefe. Zu Recht. Und auch nicht:

Von uns Autoren und Autorinnen hat niemand jemals Planungssicherheit! Wirtschaftliches Risiko? Keine Ahnung, wie es in zwei Jahren aussieht? Willkommen in meiner Realität! Gut: Sie haben ein anderes unternehmerisches Risiko, müssen ein Haus, Angestellte und hunderte Bücher pro Programm organisieren – und wir Autoren nur uns selbst. Doch umso wichtiger ist uns Wohlverhalten. Es geht schlicht um unser einziges Leben.

Noch einmal: Das heißt nicht, dass wir Autoren und Autorinnen nicht schätzen, was Sie tun – im Gegenteil! Wenn es gut ist, dann sind Sie unersetzlich! Dann lieben und brauchen wir unsere Lektorinnen und Lektoren, die Vertreter, die Korrektorinnen und Setzer, wir brauchen Sie, Verlage, wir vertrauen Ihnen und hätten Sie gerne auf Lebenszeit an der Seite – wie eine Ehe.

Doch die Ehe ist auch nicht mehr das, was sie alles hätte sein können; es sind zwei weitere Beteiligte hinzu gekommen, in den vergangenen sieben Jahren, die unsere Ehe ordentlich aufmischen. Eine sehr Unheilige Allianz aus Politik – und digitaler Wirtschaft.

Sie als Verlage gucken zurzeit immer noch empört auf die 5 Jahre im Urhebervertragsrecht. Im Prinzip ist das eine zweite kleine Bombe, die, nach der Debatte um die berechtigte oder unberechtigte Verlegerbeteiligung VG Wort, auf Sie und die Autorenschaft fallen gelassen wurde; seither führen wir heiße Debatten mit-, aber vor allem gegeneinander.

Kennen Sie übrigens „das Fenster des Architekten“? Das ist ein Fenster im Bau-Entwurf, das völliger Nonsens ist. Er baut es ein, weil er weiß, dass jeder Kunde etwas braucht, an dem er sich aufreiben und aufregen kann. Ein Bullauge überm Klospülkasten etwa. Das lenkt vor allem so schön von der etwa engen Kellertreppe ab.

Könnte es sein, dass diese 5 Jahre so etwas wie das Bullauge überm WC sind?

Wir beschäftigen uns seit Wochen mit dieser im Prinzip sogar verkraftbaren Idee, anstatt uns –gemeinsam – um das zu sorgen, was neben den lösbaren Asymmetrien im Autoren-Verlags-Verhältnis für unser gemeinsames Wirken langfristig weit, weit wichtiger ist. Nämlich wie wir die nächsten 20 Jahre überleben und den Markt denen hinterlassen, die nach uns kommen.

Destruktive Schrankenvorschläge innert der EU-Urheberrechtsreform, TTIP, das EuGH-Urteil zur Verlegerbeteiligung an den Verwertungsgesellschaften, eine zunehmend Konsum- und „Verbraucherschutz“-orientierte, damit ungerechte und innovationsabgewandte Urheberrechtspolitik aus dem EU-Parlament, Debatten um E-Book-Zweitmärkte und das „Entkriminalisieren“ von Piraterie, um Open Access und vergütungsfreie Zweitverwertung, disruptive Märkte – all diese Aktivitäten führen zu einem gesellschaftlichen Umgang der Gleichgültigkeit bis Missachtung gegenüber meinen und Ihren Leistungen. Und auch zu einer fatalen Umdeutung der Realitäten, einem Narrativ, das Sie und mich demontiert:

Verwerter (Sie als Verlage) werden zu Ausbeutern, die Nutzer / Leser/ Konsumenten zu Opfern des Urheberrechts, die Verwertungsgesellschaften, zu „Monopolisten“, denen misstrauisch zu begegnen sei – und wir Autoren und Autorinnen?

Bis Heiko Maas kam, waren wir dem Justizministerium herzlich egal. Aggressive Netzpolitik im Piraten-Style durfte uns als Besitzstandswahrer und Innovationshemmer bezeichnen und mit Shitstürmen überziehen. Jetzt macht ein kluger, sympathischer junger Mann mit dem Herz und Sinn auf dem rechten Fleck, sich uns und das Thema Urheberrecht zu Eigen und versucht alles auf die Reihe zu bekommen, was 15 Jahre lang liegen blieb, um endlich das aufzuräumen, was alle vor ihm sich nicht mal trauten, anzufassen. Doch auch er muss mehr über unsere Zusammenarbeit wissen, um sie zu beurteilen.

Gleichzeitig wird der Wert unserer gemeinsamen Arbeit immer weniger wert. Es wird so viel kopiert wie nie zuvor. So viel gratis verschleudert. So viel geklaut. Mediatheken, Online-Archive, gratis Zeitschriftenartikel, nahezu vollständige Bücher bei Google, Geschenkdownloads, Piraterie, Flatrate-Abos, Mehrfachlizenzen: Immer mehr Menschen nutzen immer mehr Kulturwerke, ohne oder ohne ausreichend für jede Nutzung zu bezahlen.

Wir leben in einer Zeitenwende, in der die GAFA-Connection, die Intermediäre des Internets und ihre Technokratie, den Wert Ihrer und meiner gemeinsamen Arbeit neu bestimmen:
Es handelt sich um den „transfer of value“: den Wertetransfer. Nicht mehr die Leistungen der Schöpfer werden respektiert und honoriert, sondern die „Leistung“ des Werk-Vermittlers.
Oder auch: content war King, aber distribution ist heute King Kong. Und das, was Amazon, Google oder andere Werk-Verschleuderer dafür erhalten, ist weit mehr als das, was bei Ihnen und mir ankommt. Der „transfer of value“ zieht einen „value gap“ nach sich.

Und Sie? Sie lassen sich von dieser Entwicklung treiben. Ja, Sie lassen sich scheuchen und, mit Verlaub, an der Nase herum führen, anstatt mitzugestalten und politisch zu wirken.
Und auch das macht uns Autoren und Autorinnen nicht sonderlich glücklich:

Denn Sie machen Experimente auf unsere Kosten. Flatrates etwa. Am liebsten möchte ich Ihnen sagen: Lassen Sie das. Wir Autoren und Autorinnen haben durch Flatrates einen Umsatzverlust zwischen 30 und 75 % im E-Book-Bereich. Sie erhalten weder neue noch mehr Leser und Leserinnen, noch ist ein nachweisbarer Werbe-Effekt zu spüren. Es ist einfach nur billiger. Sie schaden freiwillig dem Wert des Produktes! Und wozu? Um dabei zu sein? Um Piraterie zu vermindern? Die Piraterie steigt jedes Jahr an!

Und falls Sie damit liebäugeln, sich dem Druck des Verbraucherschutzministeriums NRW und Baden-Württemberg zu beugen und es für eine schicke Idee halten, E-Books für einen Zweitverkauf frei zu stellen: Das ist keine gute Idee. Nicht nur, dass der Primärmarkt nach kurzer Zeit eingehen wird – wer kauft schon ein E-Book für 10 Euro, wenn gleich daneben exakt dasselbe für 5 Euro zu haben ist? Genauso qualitativ einwandfrei wie das Ursprungs-E-Book? E-Books altern nicht, sie werden für immer ungelesen und neu sein, und jeder Distributor wird jedes E-Book auf ewig konvertieren können, um es für seine Käufer abrufbereit zu halten.

Abgesehen davon: Wenn Sie meinen, Sie könnten doch dann von jedem „Zweitverkauf“ 25 Cent pro E-Book nach Hause nehmen und mit uns AutorInnen diese Brosamen teilen, dann bedenken Sie bitte eins: Schon 2012 haben sich Apple und Amazon sämtliche Patente für die Wiederveräußerung von digitalisierten Kulturprodukten gesichert.

Das heißt, ein offizieller, übrigens mit hartem DRM-regulierter Secondhand-E-Bookmarkt wird nur beim Doppel-A statt finden. Nicht auf Ihren Webseiten, nicht auf anderen Plattformen, und nach kurzer Zeit werden sämtliche anderen E-Book-Verkaufsportale eingehen.

Wenn Sie das möchten, wenn Sie wirklich zu einer weiteren Monopolisierung beitragen wollen, wenn Sie weiterhin den Wert meiner und Ihrer Arbeit vermindern wollen – dann werde ich nicht zögern, meinen Kolleginnen zu raten, keine E-Book-Lizenzen mehr an Verlage zu geben.

Wer noch die digitale Welt mit der analogen vergleicht oder gar gleich setzt, hat sie noch nicht verinnerlicht. Ein E-Book unterliegt anderen Regeln und Möglichkeiten als ein Papierbuch. Die gesamte digitale Buchbranche ist eine andere, doch zurzeit machen nicht Sie die Regeln. Sondern eine europäische wie nationale Politik, die es den fünf größten Internetunternehmen leicht macht, sich die Gesetze selbst zu machen oder auszulegen – und Ihnen schwer.

Fangen Sie an, politisch zu denken! Fangen Sie an, politisch zu handeln! Lassen Sie sich nicht nur von der Mär treiben, stets aus Käufersicht zu denken – das wird weder Ihnen noch mir noch unserer gemeinsamen Arbeit gerecht. Das rettet Sie auf kurze Strecke, doch langfristig nicht.

Unsere Aufgabe ist es nicht, besonders marktgleitfähig zu sein. Unsere Aufgabe ist es, wie bereits Monika Grütters heute vom Sinne her sagte: Wir müssen Widerspruchskünstler sein.
Gesellschaftliche Nährfläche, auf der Kunst, Geist und Wissen gedeihen, Kritik und Widerstand, Avantgarde und politisches Bewusstsein. Sie und ich stellen ein Produkt von Wert her.
Der Wert ist nicht nur der Preis, sondern auch der Inhalt. Setzen Sie sich ein für diesen Wert.

Nein, es gibt wirklich keinen Grund für Gelassenheit. Fangen Sie an, sich zu zeigen, sich zu erklären! Lehnen Sie sich nicht zurück und warten ab, bis die Gesellschaft Ihren Wert zu schätzen weiß. Tut sie nämlich nicht. Hören Sie auf zu jammern. Zeigen Sie auf, was Sie können, was Sie tun, wie Sie arbeiten! Mischen Sie sich ein.

Und vor allem: Lieben Sie nicht nur Bücher.

Lieben Sie auch Autoren und Autorinnen.

Vielen Dank.

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