Immer Freitags hier ein 'Autorengespräch', heute mit ... Weltenbummler Michael Hugentobler über sein Roman-Debüt und seine Reise-Leidenschaft, die ihn zum Schreiben brachte

Michael Hugentobler: „Mit Wörtern konnte ich alles um mich herum festhalten, also schrieb ich alles auf. Ich verbrachte manchmal mehrere Tage damit, eine Reise von wenigen Stunden aufzuarbeiten und festzuhalten…“ (c) Dominic Nahr

Michael Hugentobler wurde 1975 in Zürich geboren. Nach dem Abschluss der Schule in Amerika und in der Schweiz arbeitete er zunächst als Postbote und ging auf eine 13 Jahre währende Weltreise. Heute arbeitet er als freischaffender Journalist für verschiedene Zeitungen und Magazine, etwa Neue Zürcher Zeitung, Die Zeit, Tages-Anzeiger und Das Magazin. Louis oder Der Ritt auf der Schildkröte ist sein erster Roman, der heute bei dtv erscheint.

Anlass für uns, mal genauer nachzuhorchen:

 

BuchMarkt: Herr Hugentobler, worum geht es Ihrem Roman?

Michael Hugentobler: Es geht um Louis de Montesanto, einen Schweizer, der 1898 in London eine Autobiografie herausgab, die ein Bestseller wurde. Die Geschichte behandelte seine dreißig Jahre in der Wildnis Australiens als Häuptling eines Stammes von Aborigines. Kurz darauf folgte der Skandal: Journalisten behaupteten, das Buch sei vom ersten bis zum letzten Wort erfunden. Louis war aber kein normaler Lügner oder Hochstapler, wie es sie viele gibt. Er war ein regelrechtes Feuerwerk an Phantasie. Und diesem Feuerwerk lag auch einiges an Wahrheit zugrunde. Den Mann gab es tatsächlich, er nannte sich aber nicht Louis de Montesanto, sondern Louis de Rougemont.

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In Zeiten von Fake News fällt es vielen Menschen schwer, zwischen Wahrheit und Erfindung zu unterscheiden. Ist Ihr Roman daher eigentlich ein Buch über unsere Zeit?

Ein Buch hat wohl zwangsläufig einen Zusammenhang mit der Zeit, in der es geschrieben wurde – auch wenn es nicht in dieser Zeit spielt. Aber ein direkter Zusammenhang mit Fake News war nie meine Absicht. Fake News wurde in der breiten Öffentlichkeit Ende 2016 bekannt, und da war mein Manuskript bis auf ein paar wenige Details längst beendet. Mir ging es beim Schreiben eher um die Lüge an sich. Es gibt die Theorie, wonach der Mensch die Sprache entwickelt und an ihr festgehalten habe, da er darin den Vorteil der Lüge erkannte. Anders als Hunde bellen, Katzen miauen und Vögel zwitschern, kann der Mensch mit seinen Lauten intrigieren, beeinflussen und sich Macht verschaffen. Die Lüge ist also ein wichtiger Teil unseres Lebens und unserer Geschichte, und trotzdem verachten wir sie. Mich interessierte: Wann wird ein Ausschmücken zur Lüge? Wann wird der Plauderer zum Hochstapler? Und welche Vergangenheit hat ein Mensch, der diese Grenzen nicht kennt?

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Sie sind Journalist und haben rund 13 Jahre Ihres Lebens auf Reisen verbracht. Ist Ihnen die Figur des Hochstaplers und Abenteurers deshalb besonders nah und zugleich fern?

Als ich über Louis zu recherchieren begann, lagen meine Reisen bereits drei Jahre zurück und ich hatte soeben zwei Jahre auf einer Nachrichtenredaktion verbracht. Mir waren also beide Welten vertraut: Jene des ziellosen Wanderers und jene des Journalisten, der Menschen in erster Linie als Geschichten sieht. Zudem machte sich in dieser Zeit ein gewisses Unbehagen in mir breit, da in regelmässigen Abständen Menschen in der Tagespresse medial vernichtet wurden. Ich fragte mich: Haben Journalisten das schon immer gemacht? Am Beispiel von Louis habe ich die Antwort gefunden: leider ja.

„Die schönste aller Lügen ist die Phantasie“ steht auf einer Postkarte, die dtv zu Ihrem Buch produziert hat. Was bedeutet dies für Sie in Ihren beiden Rollen als Journalist und als Romancier?

Seit meine Zeit auf der Nachrichtenredaktion vorbei ist, schreibe ich fast ausschliesslich Reportagen und kann glücklicherweise mehrere Wochen an meinen Texten arbeiten. Ein grosser Teil dieser Arbeit besteht aus Beobachtungen: auf der Art und Weise, wie man Dinge betrachtet. Als Romancier kann ich daran anknüpfen – aber ich darf auch daraus ausbrechen und in die Phantasie abschweifen. Ich kann jetzt sozusagen in der Phantasie beobachten, was ein grosser Spass ist. Zudem kann ich die Metapher auf eine ganz andere Ebene heben als dies im Journalismus möglich ist.

Wie kamen Sie zum Schreiben?

Ich schrieb schon sehr früh Tagebuch. Als ich dann zu reisen begann, empfand ich das Tagebuch gegenüber der Fotografie als optimalere Form der Aufzeichnung. Auf den Fotos war immer der begrenzende Bildrand, und das Fehlen von Gerüchen oder Berührungen. Mit Wörtern konnte ich alles um mich herum festhalten, also schrieb ich alles auf. Ich verbrachte manchmal mehrere Tage damit, eine Reise von wenigen Stunden aufzuarbeiten und festzuhalten, bis ich ganz genau notiert hatte, wie der Busfahrer die Passstrasse entlang gefahren war, mit dem Telefon in der linken Hand, und dem Sandwich in der rechten. Das war natürlich sehr zeitaufwändig, aber ich hatte alle Zeit der Welt. Im Journalismus musste ich dann die Kunst des Reduzierens lernen.

Welche Leserschaft sehen Sie für Ihr Buch? Und hatten Sie einen bestimmten Leser beim Schreiben vor Augen?

Ich hatte weder eine bestimmte Leserin noch einen bestimmten Leser vor Augen. Ich wusste am Anfang noch nicht einmal, ob diese Geschichte überhaupt jemals jemand lesen wird. Jetzt, da das Buch in der Öffentlichkeit ist, glaube ich, dass es an viele Menschen appellieren kann. Denn letztlich geht es um die Frage: Wie bewahre ich meine Freiheit in dieser Welt? Und welchen Preis bin ich gewillt zu zahlen? Ich habe eine sehr ambivalente Beziehung zu Louis’ Charakter, aber bis heute bewundere ich in diesem Charakter die fast schon schamlose Forderung nach Freiheit.

Mit welchem Argument kann der Buchhändler/die Buchhändlerin Ihr Buch am besten verkaufen?

Es ist eine vergnügliche und tiefgründige Abenteurergeschichte mit einigen unerwarteten Wendungen, die einmal um die ganze Welt führt – und das auf knapp 200 Seiten.

Wie könnte man ein Schaufenster dazu passend dekorieren/ in welchem literarischen Umfeld?

Ein Globus, Muscheln, ein Kompass, ein Bumerang, eine Ganesha-Statue, eine alte Landkarte (von der Sorte, die früher in den Schulzimmern hingen und heute so einen schönen Sepia-Stich haben). Ich sehe Louis aber weniger im Umfeld von historischen Romanen oder Reiseliteratur, sondern eher im Umfeld zeitgenössischer Literatur.

Was lesen Sie selbst gerne bzw. was lesen Sie aktuell?

Im Moment lese ich Lives of the Artists von Calvin Tomkins und Ways of Seeing von John Berger, da mir diese Bücher empfohlen wurden. Kaum bin ich damit fertig, werde ich endlich Zazie in der Metro von Raymond Queneau lesen – ich mag schmale Bücher, in denen das Traurige ein bisschen lustig ist.

Die Fragen stellte Franziska Altepost

 

 

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