Das Sonntagsgespräch Matthias Matting: Für Selfpublisher ist ein gesunder Markt ohne Monopole genauso wichtig wie für die Verlage

Man nennt ihn Selfpublishing-Papst, im „richtigen Leben“ ist er Autor und Verleger (Programmleiter E-Book bei der Münchner Verlagsgruppe, Redakteur und Kolumnist. Eines seiner bekanntesten Projekte ist die Website www. Selfpublisherbibel.de. Matthias Matting, 1966 geboren, ist von Haus aus Physiker und Journalist.

Mit über 50 Büchern ist er einer der erfolgreichsten deutschen Self-Publishing-Autoren. Für sein Buch Reise nach Fukushima erhielt er die 2011 erstmals ausgeschriebene Auszeichnung „derneuebuchpreis.de“ in der Kategorie Sachbuch. Matting ist Vorsitzender des Vorstands des Selfpublisher-Verbands.

BuchMarkt: Ich gestehe es, dass ich noch nie ein Buch eines Selfpublishers in den Hand gehabt habe, dass ich eher geglaubt habe, diese Autoren in der Ecke zu verorten zu können, aus der bisher Zuschussverlage ihre Klientel rekrutierten. Reden Sie trotzdem noch mit mir?

Matthias Matting
© Birgit-Cathrin Duval

Matthias Matting: Sind Sie sich da ganz sicher? Bücher professioneller Selfpublisher sind von Verlagstiteln nicht zu unterscheiden. Manchmal finden sich sogar Logos großer Verlage darauf – Rowohlt, Ullstein, Bastei Lübbe und so weiter bringen im Selfpublishing erfolgreiche Titel längst gern in die Buchhandlungen.

Dann erlösen Sie mich von meinen Vorurteilen. Wo kriegt man denn am schnellsten einen Überblick über die Szene?

Matthias Matting: Ganz unbescheiden – das umfassendste Informationsangebot zu diesem Thema bietet sicher die Selfpublisherbibel. Aber wenn Sie sich konkret über die Qualität ohne Verlag veröffentlichter Bücher informieren wollen, empfehle ich die einschlägigen E-Book-Bestsellerlisten. Je nach Händler reservieren da Selfpublisher 20 bis 50 Prozent der Spitzenplätze für sich. Und dann müssen Sie leider einfach mal in ein Buch reinlesen…

Wie groß ist die Szene eigentlich? In Deutschland? Weltweit?

Matthias Matting: Weltweit ist das unmöglich zu sagen. Ich nenne für Deutschland immer die Zahl 75.000, eine grobe Schätzung. Pro Jahr kommen etwa 40.000 neue E-Books von Selfpublishern heraus. Wenn wir allerdings von Autorinnen und Autoren mit wirklich professionellem Anspruch reden, dürften es eher 2.000 sein. Eine niedrige dreistellige Zahl kann vom Schreiben leben.

Ein kluger Mann hat mal gesagt, das Problem der Branche bestehe einzig darin, dass es mehr Schreiber als Leser gäbe. Das war noch, bevor E-Reader erfunden wurden. Gleiten wir in eine absolute Unübersichtlichkeit hinüber?

Matthias Matting: Momentan sind wir im E-Book-Bereich noch in der vorteilhaften Lage, dass die Leserschaft schneller wächst als die Zahl der Schreibenden. Auf den gesamten Buchmarkt bezogen – ob nun jährlich 80.000 oder 120.000 oder auch 200.000 Titel erscheinen, ändert das nichts, jedenfalls nichts Wesentliches. Übersicht (aus Sicht des Verlags bzw. Autors: Sichtbarkeit) zu schaffen wird immer eins der dringlichsten Probleme sein. Da haben Selfpublisher und Verlage dieselben Schwierigkeiten.

Verlage kann ich programmmäßig einordnen, und wenn ich zweimal im Jahr eine Vorschau in den Hand habe, bekomme ich einen ordentlichen Überblick, was da in Belletristik und Sachbuch auf mich zukommt. Mit so gebündelter Information lässt es sich arbeiten, so ist es die Branche auch gewöhnt. Gibt es Bestrebungen, dass sich Selfpublisher auch eines solchen eingespielten Informationsturnus’ bedienen?

Matthias Matting: Das sehe ich derzeit nicht. Es ist aber auch so, dass Selfpublisher in den Strukturen des Buchhandels, die in solchen Abläufen denken (also insbesondere dem stationären Buchhandel) aus unterschiedlichen Gründen kaum vertreten sind. Vielleicht entsteht später der Bedarf an solchen Vorschauen, aber eventuell hat sich auch das System überlebt. Die elektronische Verlagsvorschau braucht diesen Rhythmus ja auch nicht mehr. Für den Selfpublisher-Verband sprechen wir zum Beispiel gerade mit Edelweiss.

Gibt es Info-Bündelungen z.B. nach Genres wie Krimi, historische Bücher, SF, richtig „schwere Literatur“ für die Faulkner- und Thomas-Mann-Leser dieser Welt?

Matthias Matting: Die Info-Bündelungen in den gängigen Genres findet der Leser relativ leicht über die entsprechenden Kategorien bei den E-Book-Händlern. Was allerdings noch fehlt, ist Sichtbarkeit für die „schwere Literatur“, wie Sie es nennen. Es gibt sie, aber Bücher, die sich solcher Einordnung entziehen, haben es im Selfpublishing noch schwerer.

Man hört immer von Einzelnen, die es vom E-Book zum Millionär gebracht haben. Kann der „Rest“ auch als freier Autor – also von Geschriebenem, Veranstaltungen, Preisen – leben?

Matthias Matting: Ein gewisser, kleiner Prozentsatz kann es, ja. Vorwiegend von den Honoraren. Veranstaltungen oder gar Preise oder Stipendien spielen hier noch kaum eine Rolle.

Was Technisches: Wie sieht es mit der Kompatibilität aus? Wenn ich tolino oder PocketBook habe, kann ich das Kindle-Format nicht lesen – und umgedreht. Das ist doch so, als gäbe es Musik-CDs in zwei verschiedenen Größen? Solange ich nicht mit einem Gerät auf alles zugreifen kann, werden Konsumenten doch eher abgeschreckt als ermuntert…

Matthias Matting: Es ist auch für den normalen Leser sehr einfach, die beiden Formate ineinander umzuwandeln, so, wie man etwa einen Word-Text mit OpenOffice liest. Problematisch wird es, wenn ein Schutzmechanismus (DRM) verwendet wird. Dass die meisten deutschen Verlage und ein großer Teil der Selfpublisher inzwischen darauf verzichtet, war ein sehr wichtiger Schritt für die Akzeptanz des Mediums E-Book.

Sieht man sich auf Ihrer Homepage http://www.matting.de/, findet man neben Büchern über den [tolino auch viel in Sachen Amazon und Apple – also der Lieblingsfeinde der Branche. Hand auf’s Herz: Sehen Sie im Wirken von Amazon eher Segen oder Fluch? ]

Matthias Matting: Ohne Amazon würden wir heute dieses Gespräch nicht führen. Das Unternehmen hat mit dem Kindle Direct Publishing das verlagsfreie Publizieren zwar nicht erfunden, aber den Autoren durch den direkten Zugriff auf einen Shop mit großer Kundenzahl erstmals echte Erfolgschancen eingeräumt, auf gleicher Ebene mit den Verlagen. Ohne Amazon-Selfpublishing gäbe es heute auch kein tolino-Selfpublishing, da bin ich sehr sicher. Natürlich macht Amazon das nicht aus Nächstenliebe. Insofern bin ich sehr froh, dass die tolino-Händler gerade noch rechtzeitig tolino-Media.de ins Leben gerufen haben. Für die Selfpublisher ist ein gesunder Markt ohne Monopole genauso wichtig wie für die Verlage. In Deutschland haben wir da großes Glück, Autoren werden tatsächlich von allen Seiten umworben.

Es klingt immer schön, dass im Internet alle gleich groß und die gleichen Chancen haben; Fakt ist, was nicht gefunden wird, gibt es nicht. Welche Möglichkeiten haben Selfpublisher, auf sich aufmerksam zu machen?

Matthias Matting: Selfpublisher haben durch ihre Kalkulation (ohne Verlags-Apparat im Rücken) schon mal einen Vorteil – sie können bei gleichem Verdienst deutlich günstiger anbieten. Gerade die Vielleser achten durchaus auf die Preise! Ansonsten stehen ihnen vor allem im Netz Werbeplattformen zur Verfügung, ähnlich wie den Verlagen.

Jetzt kommt natürlich der Buchhandel ins Spiel. Ich kenne Blogs von Selfpublishern, die sich nur lustig machen über uns alte Papiertiger, die aber dann auch wieder tödlich beleidigt sind, dass der Buchhandel sich nicht für sie interessiert?

Matthias Matting: Solche Ambivalenz ist ein bisschen pubertär. Sie rührt oft aus einer Unkenntnis der Strukturen des Buchmarkts.

Auf beiden Seiten scheint es Berührungsängste zu geben und nicht immer die Bereitschaft, Vorurteile abzubauen. Haben Sie eine Lösung?

Matthias Matting: Es ist doch so: Der Buchhändler wird sowieso schon mit 80.000 Titeln konfrontiert. Warum soll er sich dann noch mit Selfpublishern befassen? Und der unabhängige Autor weiß – selbst wenn er mit drei Buchhändlern spricht, wird er mit Verkäufen im Buchhandel kaum seine Erträge in den E-Book-Shops erreichen. Es scheint also für beide ineffizient zu sein, über den Tellerrand zu blicken. Ich denke aber, sowohl als Autor als auch als Buchhändler muss ich es zumindest ab und zu schaffen, über das Tagesgeschäft hinaus zu sehen. Tatsächlich werden auch 2020 noch drei Viertel aller Umsätze mit gedruckten Büchern gemacht werden, warum soll ich als Autor darauf verzichten? Und warum soll ich als Händler meinen Lesern einen Teil des vielfältiger werdenden Angebots vorenthalten? Die Käufer, die nur stationär einkaufen, werden schwinden. Online kommen die Leser aber nahezu zwangsläufig mit Selfpublishern in Berührung. Weiß am Ende der Leser mehr über die Bücherwelt als der Händler? Das würde ich als Buchhändler zu vermeiden suchen.

Fast jeder noch so gute Autor braucht einen Lektor – glauben Sie mir: Ich weiß, wovon ich rede. Gerade eben, dass Selfpublisher alles in Eigenregie machen, lässt Befürchtungen aufkommen, dass man unlektorierte Texte bekommt; Texte, die eher unfertig als, sagen wir, künstlerisch wertvoll sind…

Matthias Matting: Da kann ich Sie beruhigen – Selfpublisher mit professionellem Anspruch wissen das natürlich auch. Es gibt ja zum Glück genügend freie Lektoren.

Natürlich gibt es berühmte Fehlentscheidungen von Verlagen, und alljährlich macht sich auch irgendwer den Spaß, ein Kapitel von Musils „Mann ohne Eigenschaften“ rumzuschicken und sich auf die begründete Ablehnung von Lektoren zu freuen. Trotzdem sind wir uns ja sicher einig, dass hervorragende Lektoren in hervorragenden Verlagen hervorragende Autoren fürs Publikum entdecken, Autoren, die man nach einem Satz des alten S. Fischer einfach machen muss, auch wenn das Publikum zunächst überhaupt nichts von ihnen wissen will…

Matthias Matting: Ganz sicher gibt es solche Fälle. Wobei der Mut der Verlage, in solche Autoren auch entsprechend teure Werbung zu investieren, nun auch nicht gerade riesig ist, und wenn niemand das großartige Buch bemerkt, wird es eher kein Erfolg werden. Ein neuer Autor wird es immer schwer haben, in die A-Liste eingeordnet zu werden.

Haben Sie den Eindruck, dass Verleger die Selfpublisher-Szene nach echten Talenten abgrasen?

Matthias Matting: Ja, jeder erfolgreiche Selfpublisher, den ich kenne, hat bereits Verlagsangebote erhalten.

Was müsste Ihrer Meinung nach passieren, dass Buchhandel und Selfpublisher miteinander ins Geschäft kommen?

Matthias Matting: Es braucht da (vom grundlegenden Interesse auf beiden Seiten abgesehen) zum einen neue Strukturen, über die Selfpublisher den Buchhandel besser bedienen können. Derzeit läuft das vor allem über Print on Demand, aber so landet kein Buch im Regal. Buchhändler sollten zum anderen die Furcht ablegen, damit indirekt irgendwie Amazon zu fördern. Im Gegenteil, das zeigt auch die erfolgreiche Gründung des Selfpublishing-Angebots von tolino-Media, sollte der Buchhandel achtgeben, dieses Feld nicht der Konkurrenz zu überlassen. Durch die Preisbindung können sich Händler in Deutschland nicht über Billigpreise differenzieren – wohl aber über Inhalte. Exklusive Inhalte, wie Amazon sie sich über das KDP-Select-Programm sichert, sind für Käufer ein wichtiges Argument. Der Buchhandel tut also gut daran, sich als attraktiver Partner für Selfpublisher darzustellen.

Gehen wir an den Anfang des Gesprächs zurück: Wenn ich mit in der Szene umsehen will, mit welchem Gerät bin ich am besten bedient? Wo kriege ich, wenn ich als Papiertiger im Dunkeln tappe, schnelle Hilfe?

Matthias Matting: Die aktuellen E-Reader sind technisch auf ähnlichem Stand. Wenn Sie gern in der Badewanne lesen, ist ein (wasserdichter) tolino Vision 3 HD eine gute Idee. Wenn Sie gern live zusehen, wie Amazon das Selfpublishing vorantreibt, kaufen Sie einen Kindle Paperwhite. Im März werden Sie auf der Leipziger Buchmesse Gelegenheit haben, die Szene live zu sehen, alle wichtigen Anbieter, sehr viele Autoren und auch der Selfpublisher-Verband.de werden dort sein.
Die Fragen stellte U. Faure

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