TV-Autor Benedikt Gollhardt über sein Buchdebüt "Westwall": „Man muss kein Thrillerfan sein, um sich in WESTWALL wiederzufinden“

Benedikt Gollhardt (© Cornelis Gollhardt)

Mit großem Aufwand geht in diesen Tagen WESTWALL, das Buchdebüt von Benedikt Gollhardt, bei Penguin an den Start. Seine Mutter war Pressefrau in großen Verlagen, sein Vater Verleger und über viele Jahre Kolumnist von BuchMarkt. Benedikt Gollhardts Arbeit als Drehbuch-Autor haben wir deshalb von hier aus auch über alle diese Jahre verfolgt – Anlässe also genug, ihn heute zu fragen:

Benedikt, vorab die Standardfrage: Worum geht es in Deinem Buch?
Als sich die neue Liebe einer jungen Polizeischülerin als Nazi entpuppt, entdeckt sie bald, dass sie vom deutschen Geheimdienst als Lockvogel missbraucht wird, um eine rechtsextremistische Terrorgruppe zu fassen, die in den Ruinen des Westwalls untergetaucht ist.
 
„Westwall“ von Benedikt Gollhardt (durch Klick aufs Cover zum Trailer)

Der Verlag vermarktet Westwall als Thriller  – weil sich dieses Genre am besten verkauft?

Das ist ein spannendes Genre, das aber viele Facetten erlaubt. Ich bin da eher zufällig reingerutscht. Als Drehbuchautor habe ich gelernt, viele Genres zu bedienen, der politische Thriller war nicht mein Kerngeschäft. Ich war mehr in der Tragikomödie zu Hause.
Was hat  Dir denn den Anstoß für  das neue Genre gegeben?
Angesichts der politischen Entwicklung der letzten Jahre hatte ich dann aber das Bedürfnis etwas über unsere Zeit zu erzählen. Dabei war es mir sehr wichtig, WESTWALL durch viele ambivalente Charaktere eine starke und breite Figurenebene zu geben, in der sich fast jeder wiederfinden kann. Die Buchhändler können also auch Leser ansprechen, die keine Thrillerfans sind. Wer Spannung sucht, wird sie finden, aber der Roman kann auch als eine Familiengeschichte oder ein Gesellschaftsporträt gelesen werden.
Und wie fühlt es sich an, nach vielen Jahren als Drehbuchautor in die Buchbranche zu kommen?
Fast wie nach Hause kommen! Ich bin als Kind zwischen Bücherwänden aufgewachsen und habe noch die alte Literaturbranche der 70er und 80er Jahre von innen kennengelernt. Wir hatten öfter Autoren zu Besuch, manchmal ziemlich schräge Gestalten, ich habe als kleiner Junge in den Fluren von Kiepenheuer & Witsch gespielt und auf Sommerfesten Bier für Kopelew und Co gezapft. Das war ein völlig anderes Zeitalter, ein bisschen Rock’n’Roll, viel Handgestricktes, viel Menschliches, gut wie schlecht.
Heute ist der Markt viel härter? 
Ja, und Marketing spielt – leider naturgemäß – eine viel größere Rolle, und dem Zufall bleibt kaum noch Raum. Aber das ist in der TV-Branche ganz genauso. Dennoch fühle ich mich beim Penguin-Verlag mit seinem Team sehr zu Hause und bin sehr dankbar für die große Freiheit, die sie mir gelassen haben.

 

Wieso hast du dich erst jetzt an einem Roman versucht?

Ich bin über den Journalismus zum Drehbuchschreiben gelangt und 25 Jahre dort hängen geblieben, obwohl es mich oft frustriert hat. Der Traum, einen Roman zu schreiben, blieb immer im Hinterkopf, aber das finanzielle Risiko und der Zeitaufwand haben mich abgeschreckt. Aber irgendwann war der Punkt erreicht, an dem ich Pause vom Fernsehen machen wollte und musste, und ich mich endlich auf den langen Weg gemacht habe. Ganz wichtig war dabei auch, dass mich Freunde ermuntert haben. Am Ende habe ich zwei Jahre fast ausschließlich an dem Roman gesessen, immer wieder durch Recherchen unterbrochen. Und jetzt frage ich mich, warum ich das nicht schon viel früher gemacht habe!

Ich dache immer, das Drehbuchschreiben sei eigentlich effektiver… 

… und kann auch sehr großen Spaß machen! Es geht sehr viel schneller als das Romanschreiben und man erreicht in der Regel Millionen von Zuschauern. Aber meist nur für für einen kurzen Moment. Drehbuchschreiben ist außerdem handwerklicher, und es gibt immer inhaltliche und formale Reglementierungen, das engt ein. Es braucht einige Jahre und Tausende Seiten, von denen die meisten im Papierkorb landen, um sich damit zurechtzufinden. Für WESTWALL hat mir das strukturierte Schreiben einerseits sehr geholfen, andererseis war das »neue« Schreiben wie ein Befreiungsschlag. Anfangs ist es mir immer wieder passiert, dass ich kurz innegehalten und mich gefragt habe, ob das, was ich da mache, überhaupt »erlaubt« ist: die Freiheit, in der Zeit zu springen, der Tempowechsel, die Möglichkeit für inhaltliche Ausflüge. An diese Freiheit musste ich mich erst einmal gewöhnen.

Was hat Dich denn dazu inspiriert, den Westwall, diese gigantische, bewaffnete Grenze quer durch Europa aus dem Zweiten Weltkrieg in einem aktuellen Thriller zu verarbeiten? 

Vom Westwall hatte ich schon vor Langem gehört und hatte immer im Hinterkopf, ihn einmal in eine Geschichte einzubauen. Nicht erst durch Trumps Mauerpläne ist mir dieses monströse Bauwerk wieder in den Sinn zurückgekommen. Es ist ein hochaktuelles Symbol für alles, was wir glaubten überwunden zu haben und was plötzlich wieder zur ganz realen Drohkulisse wird: faschistisches Gedankengut, nationale Abgrenzung und aggressive Propaganda. Es werden wieder Mauern gebaut, auch in unseren Köpfen. Mit dem Wissen um den verstörenden NSU-Komplex mit der nebulösen Rolle der Verfassungsschutz- und Ermittlungsbehörden habe ich dann den Plot zu WESTWALL entwickelt. Schon im Vorfeld hatte ich gemerkt, welche ambivalente Faszination vom Westwall auf viele Menschen ausgeht, ein wohliger Grusel, der sich nur schwer einordnen lässt. Ich glaube, es hat etwas mit der Faszination des Bösen zu tun, dem Monströsen, das von diesem Bauwerk ausgeht. Und es war tatsächlich ein perfider Baustein in der deutschen Kriegsmaschinerie. Militärisch war der Westwall bei Weitem nicht so modern und unüberwindbar, wie damals behauptet wurde, aber durch seine propagandistische Macht hielt er dem NS-Regime den Rücken frei für den Überfall auf den Osten. Kein Staat wagte Nazi-Deutschland vom Westen her zu stoppen.

Sei ehrlich, hast Du bei dem Stoff doch noch einen Film oder eine Serie im Hinterkopf??

Ursprünglich hatte ich den Thrillerplot tatsächlich als sechsteilige Serie für einen Streamingdienst geplant. Ich kam gerade mit einem anderen Serienprojekt ziemlich geschreddert aus den Mühlen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, und als einige Leser (und vor allem Leserinnen) des Plots mich darauf ansprachen, ob es denn keinen Roman dazu gäbe, war die Initialzündung gekommen. Ich habe mich sofort ans Schreiben gemacht, auch im Wissen, dass ich in der Romanform viel tiefer und unabhängiger in die Materie und die Figuren eindringen kann. Jetzt ist das Buch fertig und der Ball kommt zurück. Ich habe gerade mit guten Partnern ein neues Serienkonzept von WESTWALL erstellt, und hoffe, dass wir damit einen der großen Streamingdienste oder Sender überzeugen können.

Man spürt, Du hast viel recherchiert – warst Du selbst vor Ort?

Den Westwall habe ich während der Arbeit am Roman mehrmals besichtigt und war trotz der vielen Bilder und Videos überrascht, wie fremd und düster die Überbleibsel der Drachenzähne und Bunker in der Landschaft wirken. Meine Recherchen haben vielleicht ein Drittel der Arbeitszeit ausgemacht, da ich so viele Experten wie möglich treffen wollte, wenn möglich mehrmals. Gerade bei politischen Themen, aber auch in allen Details möchte ich nicht einfach ins Blaue schreiben, sondern authentisch bleiben. Und wenn ich mal die Realität verändere, möchte ich wenigstens wissen, wie es wirklich ist. Auf diese Weise bin ich in Sachen Bombenbau unfreiwillig zum Experten für den Bau von Waffen aus Haushaltsgegenständen geworden! Erfreulicherweise bin ich bei den Recherchen vielen sehr geduldigen und kooperativen Menschen begegnet, nur wenige musste ich sehr lange beknien. Manchmal wurde ich auch ganz abgewiesen, vor allem, wenn es um die Arbeit von V-Leuten ging. Immerhin durfte ich einmal in den Bundesverfassungsschutz hineinschauen, was für Außenstehende keine Selbstverständlichkeit ist. Es war schon eine sehr spezielle Erfahrung, durch die verschiedenen Sicherheitsschleusen in eines der bestabgeschirmten Gebäude des Landes zu gehen und dahinter ein relativ unspektakuläres Amt vorzufinden. Bedrückend waren die Recherchen am politisch rechten Rand mit seinen irrwitzigen Verschwörungstheorien. Da schaut man schon in sehr tiefe Abgründe, die einen nicht mehr so schnell loslassen.

Keine Deiner Figuren ist nur gut oder nur böse. Ist das die zentrale Botschaft des Buchs?

Den Figuren soll es nicht anders gehen als uns selbst. Wir bestehen aus hunderten Facetten, die sich völlig unterscheiden, sogar widersprechen können. Wir können moralisch sein und trotzdem lügen und täuschen. Wir wollen oft anderes, als wir tun, und wir sind tagtäglich voller Konflikte und Widersprüche. Diese Ambivalenz ist schwer auszuhalten und kostet Kraft, heute wahrscheinlich noch mehr als in früheren Zeiten, als das Leben strukturierter und weniger durchleuchtet war. Auf den Westwall trifft dieselbe Ambivalenz zu, er fasziniert, obwohl er ein Mahnmal für Schrecken und Krieg ist. Ich denke, es ist wichtig, aus dem Schwarz-Weiß-Denken herauszukommen, das inzwischen alle Lebensbereiche durchdringt und lähmt. Niemand ist gut oder böse, wir sind in verschiedener Gewichtung gut und böse. Anstrengend, aber so ist es halt.

Am Ende des Thrillers gibt es einen Showdown mitten in den Wäldern der Eifel, bei dem sich entscheidet, ob das Gute über das Böse siegt. Was ist Deine persönliche Hoffnung für die aktuellen gesellschaftspolitischen Entwicklungen in Deutschland? Dass trotz allem das Gute überwiegt?

Ja, das hoffen wir natürlich alle. Niemand bei Verstand kann akzeptieren, dass Menschenhass immer gesellschaftsfähiger wird, und zum Glück steht die Mehrheit dagegen auf. Mir war aber sehr wichtig, dass WESTWALL kein klebriges, verlogenes Happy Ending hat, sondern ein ambivalentes Ende, das die Figuren allesamt innerlich verletzt oder zumindest verändert zurücklässt, und die Lage nicht rosiger zeichnet, als sie ist.

Hast Du schon Reaktionen auf das Leseexemplar von WESTWALL?

Ich habe schon während des Schreibens viele Testleser aus meinem Umfeld und der Branche gehabt. Die Reaktionen waren durchweg sehr gut, das war schon eine Erleichterung und hat mich sehr angespornt. Das Leseexemplar ist auch bei vielen Buchhändlern gut angekommen. Besonders gefreut hat mich, dass ich noch vor dem Erscheinungstermin zwei Termine auf der Leipziger Buchmesse habe, bei der „Langen Kriminacht“ am 20. März und einen Tag später beim Literaturcafé. Diese Einladungern haben mir noch einmal das Gefühl gegeben, wirklich in der Buchbranche angekommen zu sein, und ich freue ich mich schon sehr drauf!
Die Fragen stellte Christian von Zittwitz
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