Das Sonntagsgespräch Kerstin Carlstedt: Wir geben Autoren und ihren Büchern die Chance, sichtbar zu werden

Eine Flut von Titel-Neuerscheinungen, immer weniger Sendeplatz für Literatur im Fernsehen – da ist es nicht leicht, aufzufallen. Um den vielen Autoren trotzdem eine Möglichkeit zu geben, sich und ihre Arbeit vor großem Publikum zu präsentieren, hat Kerstin Carlstedt in Kooperation mit CULTurMAG das Internetportal Interview Lounge initiiert. BuchMarkt sprach mit der Journalistin über ihre Idee.

BuchMarkt: Was genau machen Sie bei Interview Lounge?

Kerstin Carlstedt in Aktion

Kerstin Carlstedt: Wir zeigen Video-Gespräche mit Autorinnen und Autoren, die Menschen hinter den Büchern mit all ihren Facetten, ihrem Können und Nicht-Können, ihren Freuden und Sorgen. Mutige Fragen. Bewegende Antworten. Die ganze Wahrheit. Interview Lounge ist das Literaturfernsehen im Internet. Wir unterstützen Autoren und Verlage dabei, audiovisuelle Inhalte für das Internet zu realisieren. Darüber hinaus geben wir regelmäßig Buch-Tipps von Profis der Buchbranche und liefern Kostproben aus den aktuellen Büchern, also Mini-Lesungen von den Autoren selbst vorgetragen.

Können solche Video-Interviews die Bekanntheit oder Beliebtheit der Autoren bei den Lesern wirklich steigern?

Ja, wir wissen inzwischen, dass Autoren, die auf Facebook, Twitter und Youtube gut aufgestellt sind, sehr oft höher in der Gunst der Leser stehen, als Autoren, die sich der fortschreitenden Digitalisierung verschließen. Bücher verkaufen sich oft nicht von selbst – und man kann etwas dafür tun, dass sie über die rein physische Präsenz in Buchhandlungen und in klassischen Medien hinaus sichtbar werden.

Wie kamen sie auf die Idee zu einem solchen Projekt?

Die Idee hatte ich im November 2011. Es gibt eine ganze Reihe von Internetangeboten, die Autoren zeigen, die aus ihren Büchern vorlesen. Ich fand es unbegreiflich, dass man diese Situation, den Autor vor der Kamera zu haben, nicht dazu nutzt, ein Interview zu führen. Das ist meines Erachtens viel interessanter und aussagekräftiger.

Und dann haben Sie gedacht: „Das kann ich besser!“?

So ähnlich (lacht). Dann ging alles ganz schnell. Ich habe eine Kamera gekauft und das erste Interview mit einem Autor im Dezember 2011 geführt. Kurze Zeit später gingen die ersten Interviews im Internet online. Die Seite in ihrer jetzigen Form entstand in einer Nacht- und Nebelaktion Ende April 2012 – gemeinsam mit Jan Karsten, dem Herausgeber des unabhängigen Kulturportals „Culturmag.de“, wo auch die meisten unserer Video-Interviews gezeigt werden.

Begonnen haben Sie alleine, aber mittlerweile haben Sie sich Unterstützung geholt, richtig?

Genau, das Projekt wuchs und dadurch kamen immer mehr Aufgaben auf mich zu, die mit der Produktion der Inhalte gar nicht mehr viel zu tun haben. Im Herbst 2012 ist dann meine Kollegin Britta Behrendt hinzugestoßen, die ich seit unserem Redaktionsvolontariat beim Hessischen Rundfunk kenne, und die heute in Amsterdam lebt. Seit Anfang des Jahres realisiert Gabriele Rechberger für uns Interviews aus Berlin und von der Leipziger Buchmesse. Für die Frankfurter Buchmesse im Herbst 2013 stehen wir bereits in Verhandlung mit einer Redakteurin vor Ort. Die IT-technische Seite betreut der EDV-Experte Markus Schramme aus Frankfurt. Viele Ideen steuern auch immer wieder Marc-André Gustke von der Freien Akademie der Künste Hamburg und die Autorin Tanja Schwarz bei.

Warum gerade eine Plattform im Internet?

Wir sind Fernsehjournalistinnen – und bedauern, dass Literatur im Fernsehen immer weniger vorkommt. Daher ist es natürlich genial, dass mit dem Internet eine neue Form der Distribution von audiovisuellen Inhalten über Literatur entstanden ist, die nachhaltig und zukunftsträchtig ist. Ich könnte mir vorstellen, dass es das Fernsehen in dieser Form nicht mehr ewig geben wird. Die Zeit, die Menschen heute mehr vor dem Computer verbringen – sei es bei Youtube oder den Sozialen Medien – wächst und zieht dem Fernsehen Zuschauer ab. Das gilt besonders für nachwachsende Generationen, die gar nicht mehr in dieser Form mit dem Fernsehen sozialisiert wurden wie wir vor 30 oder 40 Jahren. Ich vermute, dass die Zwangsabgabe, der Rundfunkbeitrag, eines Tages politisch gar nicht mehr durchsetzbar sein wird. Das entstehende Vakuum wird vom Internet gefüllt.

Kommen die Autoren, die Sie interviewen, auf Sie zu oder fragen Sie bei den gewünschten Autoren nach?

Sowohl als auch. Es kommen Autoren auf uns zu, aber wir suchen uns auch gezielt Autoren aus, die uns interessieren oder von denen wir glauben, dass sie uns helfen können, den Interessentenkreis unseres Literaturportals zu erweitern. Wir haben kein großes Werbebudget. Unsere Inhalte, die gut verschlagwortet und daher leicht im Internet zu finden sind, unsere Aktivitäten bei den Sozialen Medien und unsere Flyer, die wir „offline“ verteilen, sind zum jetzigen Zeitpunkt die einzigen Mittel der Eigenwerbung.

Kann jeder Autor sein Buch vorstellen oder findet eine Auswahl statt?

Es findet eine Auswahl statt. Wir mussten schon Aufträge ablehnen, wenn die angebotenen Bücher nicht aktuell genug waren oder aus anderen Gründen nicht zu unserem Angebot passten. Qualität ist uns sehr wichtig, denn wir wollen und müssen glaubwürdig bleiben. Niemand vergibt Aufträge an ein Medium, wenn das Umfeld nicht stimmt.

In dem Portal finden sich auch viele Buchtipps. Von wem kommen die?

Anfänglich haben wir für die Buchtipps Buchhändler interviewt oder bei abendlichen Buchveranstaltungen gedreht. Dann wollten wir den Fokus erweitern und auch andere Profis der Buchbranche zu Wort kommen lassen: Lektoren, Kulturjournalisten und Autoren. Die Buchtipps geben uns die Chance, über Bücher zu sprechen, deren Autoren wir nicht treffen können, da wir dazu beispielsweise in die USA fliegen müssten. Das können wir zeitlich und finanziell gar nicht leisten.

Wen wollen Sie mit dem Portal erreichen?

Unsere Zielgruppe sind alle Leser, die sich ein Bild von Autoren machen wollen und Hintergrundinformationen zu Menschen und Büchern suchen. Das betrifft Buchhändler, die im Idealfall auch Leser sind, so wie alle anderen Bücherfreunde.

Kann ein Buchhändler das Portal auch für seine buchhändlerische Arbeit nutzen?

Auf jeden Fall! Mit dem Portal geben wir Buchhändlern eine Entscheidungshilfe an die Hand, wenn sie Autoren für Lesungen einladen. Das könnte sehr hilfreich sein. Mir als Leserin ging es immer so: Wenn ich ein Buch entdeckt hatte, das mich fesselte und zutiefst berührte, wollte ich auch mehr über die Autorin/den Autor wissen, sie oder ihn kennenlernen können. Vor Zeiten des World Wide Webs gab es nur die Möglichkeit, Autoren im Fernsehen, bei Lesungen oder auf Buchmessen zu erleben. Seit es das Internet gibt, hat sich diese Chance unendlich potenziert. Darin sehe ich die große Chance der „Interview Lounge“, dass wir dieses Bedürfnis nach Sichtbarkeit und Gesehen werden wollen befriedigen können.

Das Portal ist ja noch am Anfang, aber können Sie schon jetzt sagen, wie es angenommen wird? Haben Sie schon Resonanz/Reaktionen?

Alle lieben die „Interview Lounge“. So kommt es mir zumindest vor. Nein, im Ernst, wir bekommen sehr viel positive Resonanz über die Sozialen Medien und ich bin sicher, dass wir einen Markt bedienen, der wächst und dass dieses Angebot eine Zukunft hat. Wer sonst soll das Interesse nach audiovisuellen Inhalten bedienen, wenn nicht das Internet? Das Fernsehen kann es nicht, denn die Sendeplätze für Literatur sind sehr begrenzt. Und sehen Sie sich die Sendezeiten an! Daran erkennt man schnell, was für ein stiefmütterliches Dasein Kultur im deutschen Fernsehen fristet. „Aspekte“ läuft freitags um 23 Uhr, „TTT“ sonntags um 23.05 Uhr. Da sind die Einen schon im Bett und die Anderen auf der Couch sanft entschlafen.

Im Gegensatz dazu sind die Videos auf Ihrem Portal dauerhaft präsent …

Genau, die Videos der „Interview Lounge“ hingegen können zu jeder Tages- und Nachtzeit angesehen werden – und sie verschwinden auch nicht nach einer Woche aus dem Internet wie die Inhalte der Kollegen vom Fernsehen. Unsere „Zuschauerquoten“ können sich auch sehen lassen. Im ersten Jahr hatten wir etwa 55.000 Zuschauer auf der Seite, die ungefähr 250.000 Artikel/Videos angesehen haben. Die Tendenz war in den letzten Monaten deutlich steigend. Davon kann manches Kulturmedium nur träumen …

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