Das Sonntagsgespräch Karla Paul: „Literatur war für mein Empfinden nie so lebendig und vielseitig wie heute“

Karla Paul wurde 1983 am Welttag des Buches geboren, bereits in jungen Jahren zur Ausleihkönigin der örtlichen Bibliothek gekürt und arbeitet nach Stationen bei Holtzbrinck sowie Hoffmann & Campe aktuell als Verlegerin zweier Belletristik Verlage für die Edel AG in Hamburg. Nebenbei empfiehlt sie als freiberufliche Journalistin als Medium Buch auf diversen Online-Kanälen sowie in der ARD und weiteren Magazinen. Mit Gilmore Girls – 100 Seiten  hat sie bei Reclam ihr erstes Buch veröffentlicht, das promt auf die  Spiegel-Bestsellerliste gesprungen ist. Dies war Anlass für Fragen an die Autorin.

BuchMarkt: Frau Paul, böse Zungen nennen Sie ja das It-Girl der deutschen Literaturszene. Sie sind E-Book-Verlegerin, Bloggerin, Literaturexpertin, nun haben Sie auch noch ein Buch geschrieben. Welche Berufsbezeichnung würden Sie sich denn selber geben?

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„Unsere Herzen finden in Liebesromanen sowie in Serien wie den Gilmore Girls so etwas wie einen Schutzraum für die Seele und genug Statistiken belegen, wie wichtig dies als Ausgleich für die Gesundheit ist. Deswegen bin ich sehr dafür, dass Bücher und Serien ab sofort auf Rezept verschrieben werden dürfen!“

 

Karla Paul: Das ist sicherlich sehr positiv gemeint und eine Anspielung auf meine Expertise im IT/Digital-Bereich, das nehme ich selbstverständlich als Kompliment! Wenn ich mich auf einen Begriff reduzieren lassen müsste, schlage ich „Literaturlobbyistin“ vor bzw. als Alternative meinen neuen Wahlkampfhashtag: #makebooksgreatagain

Als ARD-Kritikerin und als Bloggerin haben Sie sicher schon manches Buch größer zu machen geholfen. Zu den längst etablierten Multiplikatoren sind in jüngerer Zeit die sogenannten Influencer gekommen. Was hat sich da in Bezug auf die Vermittlung von Literatur geändert?

Literatur wurde bereits seit ihrer Entstehung auf den verschiedensten Wegen verbreitet – das Internet multipliziert diese Möglichkeiten lediglich und vernetzt zusätzlich diejenigen miteinander, die bisher keinen direkten Austausch hatten. Leser, Autoren, Buchhändler, Verlagsteilnehmer – jeder diskutiert in Foren, sozialen Netzwerken oder auf Blogs miteinander bzw. veröffentlicht eigene Stimmen zu diversen Texten. Inzwischen ist Kulturkritik (Social Reading)  sowie das Veröffentlichen an sich (Social Writing) demokratischer, jeder kann teilhaben oder aber mit einsteigen sowie selbst eigene Meinungen veröffentlichen, ohne jegliche Vorkenntnis. Dadurch werden Leser begeistert, die das herkömmliche Feuilleton nicht erreicht hätte. Es bilden sich durch Hashtags Communities um Bücher und Genres herum, die vorher kaum Gesprächsthema waren. Literatur war für mein Empfinden nie so lebendig und vielseitig wie heute und ich freue mich täglich über die im Internet als auch vor Ort pulsierenden neuen Verbindungen.

Sie gelten als eine der bestvernetzten Frauen der deutschen Literaturszene. Natürlich haben Sie dieses Netzwerk auch für Ihr erstes eigenes Buch über die amerikanische TV-Serie „Gilmore Girls“ genutzt. Sind Sie trotzdem überrascht worden?

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Durch Klick aufs Cover geht’s zum Buch

 

Eine Buchveröffentlichung bleibt zu einem sehr großen Teil weiterhin ein Glücksspiel und bringt positive als auch negative Überraschungen mit sich. Bei den Gilmore Girls – 100 Seiten ist mir vor allen Dingen wichtig, wie es bei den Fans der Serie ankommt – denen, die wie ich die bisherigen Staffeln immer und immer wieder (in meinem Fall über zwei Dutzend Mal) gesehen haben und für die die Darsteller samt Handlungsort Stars Hollow inzwischen zu einer Art Familie, zu einem Zuhause geworden sind. Wir hatten im Verlag tatsächlich große Diskussionen, welche Inhalte es ins Buch schaffen, wie es aussehen wird, welche Grafiken wir verwenden etc. , weil es auch für mich trotz Sachbuchinhalt ein sehr emotionales und mit vielen Erinnerungen verbundenes Projekt ist. Glücklicherweise gefällt es den Lesern bzw. Leserinnen bisher sehr gut und nach nicht einmal einer Woche war die erste Auflage schon komplett ausverkauft. Aber Reclam druckt gerade fleißig nach, ich verschicke mit meiner Buchhändlerin vor Ort extra signierte Exemplare fürs Weihnachtsgeschäft und wir freuen und sehr über das Feedback von Leser & Handelsseite!

Internet, Social Medi

a, Smartphones finden in dieser Serie ja noch gar nicht statt. Stattdessen gucken die Heldinnen Schwarzweißfilme und lesen Bücher. Macht das einen Teil der Faszination der „Gilmore Girls“ für Sie aus? Ist es ein Gegengewicht zum High-tech-Alltag?

Mit Rorys Universitätsbeginn ziehen auch so langsam die Möglichkeiten des Internets in die Serie ein und selbstverständlich sind sie in der aktuellen 8. Staffel voll integriert. Aber das künstliche „Heile Welt Gefühl“ auf dem Land bestimmt zu einem sehr großen Teil die Serie, das ist richtig. Wir erleben diesen Trend bereits seit einigen Jahren, Magazine wie die Landlust oder Flow begeistern Millionen Leserinnen und auch im Literaturbereich erobern Bücher über das Seelenleben von Pflanzen und Tieren die Bestsellerliste. In Stars Hollow gibt es kaum Politik, Kriminalität, Alltagsprobleme – der Zuschauer kann sich in Ruhe mit einem Stück Kuchen in „Lukes Dinner“ setzen und mit seinen Gilmore-Mädels eine Tasse Kaffee trinken. Wir benötigen diese Rücksichtsorte von all dem Stress, von allen (negativen) Nachrichten, die inzwischen im Sekundentakt an unseren Bildschirmen und im realen Leben auf uns einprasseln. Unsere Herzen finden in Liebesromanen, auf dem Sofa mit der besten Freundin sowie in Serien wie den Gilmore Girls so etwas wie einen gut gefütterten und mit genug Instagram-Filtern beschönigten Schutzraum für die Seele und genug Statistiken belegen, wie wichtig dies als Ausgleich für die Gesundheit ist. Deswegen bin ich sehr dafür, dass Bücher und Serien ab sofort auf Rezept verschrieben werden dürfen.

Ich bin sicher, Sie haben den Buchhandel bei dieser Forderung zu hundert Prozent hinter sich. Gibt es denn – abgesehen von Büchern und Filmen  – solche einen Rückzugsort auch für Karla Paul?

Dank digitaler Dauererreichbarkeit fällt es natürlich zunehmend schwerer, sich tatsächlich zurückzuziehen – umso mehr, weil mir der beständige Austausch rund um Literatur tatsächlich sehr viel Spaß bereitet und ich es nicht als „Arbeit“ empfinde, die ich wesentlich leichter loslassen könnte. Nun teile ich aber mit Ihnen, Herr Montasser, die Liebe zu Nordseeinseln und habe das große Glück, Sylt meine Heimat nennen zu dürfen. Ich fahre so oft wie möglich hoch und packe mir für die Winterwochen die dicksten Romane zu tagelangen Leseeskapaden bei Grog und Butterkuchen ein. Bei aller Leidenschaft für digitale Medien, Instagram & Co  – aber stundenlang mit dem wilden Hund am noch wilderen Meer spazieren gehen, so lange, bis der Wind und das Wellenrauschen jede Sorge übertönen, da kommt einfach kein Filter und kein Statusupdate mit!

Klingt, als dürften wir bald auch ein Sylt-Buch von Ihnen erwarten? Vielleicht diesmal einen Roman? Mit Hund und Seegang?

Die nächsten Projekte sind definitiv in Planung und mit etwas Glück wird bereits 2017 die nächste Veröffentlichung zu lesen sein. Mehr würde ich gern, darf ich allerdings noch nicht verraten.

In Ihrem Fall darf man ja beim Buch nicht stehenbleiben. Gibt es denn noch andere Projekte, auf die man gespannt sein darf? In Ihrem Buch ist eine Art Familienfoto der wichtigsten Figuren aus „Gilmore Girls“ abgedruckt. Man könnte sich Karla Paul gut als Mitglied des Casts vorstellen. Sollen wir der Schöpferin der Serie, Amy Sherman-Palladino, mal vorschlagen, Sie in der dann hoffentlich stattfindenden 9. Staffel als die legendäre Bibliothekarin von Stars Hollow einzuführen?

Das ist wirklich eine hervorragende Idee!! Das würde mir im Lebenslauf auch sehr weiterhelfen, da ich ja früher oder später die Eröffnung eines kleinen Buchladens auf Sylt mit angeschlossenem Café für absolut lebensnotwenig halte. Bei aktuellem Buchbranchengehalt werde ich auch höchstens noch 250-300 Jahre sparen müssen, bis es soweit ist. Ich bin aber sehr zuversichtlich, Lesen hält ja bekanntlich jung. Selbstverständlich sind Sie jetzt schon herzlich eingeladen!

Das Gespräch führte Thomas Montasser

Im vorigen Autorengespräch sprachen wir mit Nané Lénard über ihr neues Buch „FriesenNerz“ bei C.W.Niemeyer

 

 

 

 

 

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