Das Autorengespräch Julian Nebel über Adele Spitzeder: „Da musste natürlich ein Buch her!“

Julian Nebel

Julian Nebel lebt und arbeitet als Autor und Pressesprecher in München bei der Münchner Verlagsgruppe. Der studierte Jurist hat ein besonderes Interesse an spektakulären Kriminalfällen und ist zufällig auf einen Stoff gestoßen, der ihn zum Autor gemacht hat: Die unglaubliche Geschichte von Adele Spitzeder, die im 19. Jahrhundert eine Bank gründete und mit ihrem Schneeballsystem zehntausende Menschen ihrer Ersparnisse beraubte. Daraus entstand sein Buch Adele Spitzeder – Der größte Bankenbetrug aller Zeiten (FinanzBuch Verlag), das im November erschienen ist. Warum diese wahre Geschichte von vor 150 Jahren auch und gerade heute noch eine so große Faszination auf ihn ausübt, erklärt er uns im Autorengespräch:

BuchMarkt: Erklären Sie nochmal: Worum geht es in dem Buch?

Julian Nebel: In Kürze: Um eine arbeitslose Schauspielerin, die auf großem Fuße lebte, und nach einer Möglichkeit sucht, ihren luxuriösen Lebensstil ohne Arbeit zu finanzieren. Das ist ihr auch gelungen und ihre Methode war denkbar einfach. Sie versprach 10 Prozent Zinsen im Monat, was natürlich auch schon im Jahr 1869 ein absurder Zinssatz war. Das führte natürlich dazu, dass viele Leute bei Adele Spitzeder ihr Geld anlegten; die Zinsen zahlte sie immer von den Einlagen der nächsten Einzahler aus. Sie hat damit das erste aktenkundige Schneeballsystem der Welt geschaffen. Das ging drei Jahre gut, in denen sie enorme Reichtümer anhäufen konnte. Am Ende brach das dann zusammen, wie es halt bei Schneeballsystemen so ist. Das Tragische war, dass dann über 30.000 Menschen ihr Geld verloren hatten. Und das noch Tragischere: Es waren nur Menschen, die ohnehin schon wenig hatten und das Wenige, das sie hatten, der Adele Spitzeder anvertraut hatten. Der Staatsanwalt sagte damals: Die Leute haben nicht viel verloren, aber eben alles, was sie hatten.

Haben Sie, aus heutiger Sicht, eine Erklärung dafür, warum ihr so viele Leute zum Opfer gefallen sind?

Dass die Menschen eben anfällig sind, wenn ihnen schnelle Gewinne versprochen werden, ist glaube ich einleuchtend. Da gibt es ja auch in der neueren Geschichte genügend Beispiele. Aber die Ursachen des Spitzeder-Skandals sind umfassender. Es gab erstmals Lohnarbeiter, die ein bisschen Geld verdienten und nach Möglichkeiten suchten, dieses Geld zu vermehren. Denn es war ja sichtbar, dass Reichtum und Geldvermehrung nicht mehr dem Adel vorbehalten waren. Bürgerliche wurden reich, es hieß ja nicht umsonst Gründerzeit. Allgemein war es eine Umbruchzeit. Politisch, das Deutsche Reich wurde gegründet, auf einmal gab es einen Kaiser in Berlin. Wirtschaftlich, es gab erstmals Gewerbefreiheit und ein Kreditwesen, das Unternehmensgründungen erlaubte. Ein Opfer der Adele Spitzeder hat ja dann auch wörtlich gesagt: „Da hab i mir denkt, wenn die in Berlin an Kaiser ham und die in Giesing solche Fabriken, warum sollen dann mir net a Spitzeder ham?“
Außerdem war sie ihrer Zeit voraus. Sie hat die Wirkung der Massenmedien erkannt. Sie hat Zeitungen gegründet und aufgekauft, die positiv über sie und ihre Bank berichtet haben. Und sie war karitativ tätig; hat eine Volksküche gegründet, Kirchenglocken gestiftet und war Patin von fast 70 Kindern.

Wie entstand die Idee, daraus ein Buch zu machen?

Ich bin über den Namen Adele Spitzeder gestolpert, als ich von ihrer anonymen Grabstätte auf dem Alten Südlichen Friedhof in München hörte – und von ihrem gigantischen Betrug. Da musste natürlich ein Buch her! Bisher hat Adele Spitzeder immer nur in Sammelbänden eine Rolle gespielt; in Büchern über kriminelle Frauen, über historische Verbrechen in Bayern, über Ludwig II und seine Frauen; und es gibt viele Theaterstücke über sie, das erste wurde schon 1872, im Jahr ihrer Verhaftung, in Königsberg in Ostpreußen aufgeführt. Und dann gibt es Verfilmungen, aus den 1970er Jahren mit Ruth Drexel und 2012 mit Birgit Minichmayr. Außerdem hat Spitzeder selbst im Gefängnis ihre Lebenserinnerungen aufgeschrieben. Sehr lesenswert, aber auch schwer erträglich, eine selbstgerechte Rechtfertigungsschrift.

Und so sind Sie dann zum Schreiben gekommen?

Ich habe natürlich das Glück, im FinanzBuch Verlag zu arbeiten, der Weg zum Buch war also nicht weit. Denn die Geschichte ist so skurril und einzigartig – eine Frau, offen lesbisch, die eine Bank und das erste Schneeballsystem gründet -, dass keine große Überzeugungsarbeit nötig war.

Mit welchem Argument kann der Buchhändler das Buch am besten verkaufen?

Ich fand besonders ansprechend, dass sich Geschichte tatsächlich wiederholt, jedenfalls aber reimt. Es zeigt, wie leichtgläubig die Menschen werden, wenn kurzfristige Gewinne versprochen werden. Nur befinden wir uns nicht in der Dotcom-Blase oder bei Bitcoins, sondern im 19. Jahrhundert, in einem ansonsten sehr heilen, heimeligen Umfeld. Ich glaube, es ist einfach eine schöne Geschichte, in die man sich ein bisschen fallen lassen kann und über die man sich auch ein wenig wundern kann.

Welche Leserschaft könnte sich dadurch vor allem angesprochen fühlen?

All jene, die skurrile, wahre Geschichte(n) mögen. Dann empfehle ich das Buch allen, die sich mit Börse, Geldanlage und Geldvermehrung beschäftigen. Mich freut natürlich, dass das Feedback, ws ich bekam, ganz überwiegend positiv ist, auch von Leuten, die mit Finanzthemen gar nichts anfangen können und auch grundsätzlich nur Belletristik lesen.

In welchem literarischen/thematischen Umfeld kann der Buchhändler das Buch im Laden passend platzieren?

Ich persönlich würde es ja in die Geschichte oder zur Wirtschaftsgeschichte stellen. Ist es zu größenwahnsinnig, wenn ich die Adele Spitzeder irgendwo zwischen Fugger-Büchern und Clarks Schlafwandlern verorte? In München und Bayern passt es natürlich zu Regionalia.

Sie sind hauptberuflich Pressesprecher für die Münchner Verlagsgruppe. Wann und wie haben Sie das Buch geschrieben?

Tatsächlich habe ich ausschließlich morgens vor der Arbeit geschrieben, ab 4 Uhr früh. Da konnte ich relativ klar denken. Korrektur gelesen dann abends auf der Heimfahrt von der Arbeit. Ich dachte mir: Was ich abends erschöpft nicht mehr verstehe, wird auch sonst niemand verstehen. Und am Wochenende war schreibfrei.

Hat Ihre Arbeit als Pressesprecher im Verlagsbereich auch die Arbeit am Buch bzw. als Autor beeinflusst?

Absolut. Ich hoffe, es ist nicht verwerflich, diese Gedanken gehabt zu haben. Zum Beispiel habe ich den Münchner Zeitungskrieg, den Adele Spitzeder vom Zaun brach, auch aufgenommen, weil ich wusste, dass dies Journalisten sicher interessiert. Und auch das Erscheinungsdatum war auf den Jahrestag ihrer Verhaftung terminiert, was der 12. November war. Wenn sich etwas jährt, ist eine Berichterstattung natürlich wahrscheinlicher.

Ihr Buch erscheint im FinanzBuch Verlag – wie ist es, in einem Verlag verlegt zu werden, für den Sie auch anderweitig tätig sind?

Ich glaube, es macht vieles leichter. Denn zum einen waren die Wege natürlich sehr kurz, Korrekturen oder letzte Änderungswünsche konnte ich in der Kaffeeküche besprechen. Die Versorgung von Journalisten und Multiplikatoren mit Freiexemplaren ist natürlich leichter. Außerdem sehe ich die täglichen Absätze. Aber das wiederum ist gar nicht so gut, es hat ds Potential zu einer Obsession zu werden, genauso wie stündlich die Aktienkurse zu checken oder nachts aufstehen zu müssen, um sicherzugehen, dass das Bügeleisen ausgeschaltet ist.

Was lesen Sie privat gerne/aktuell?

Alles. Aber das ist natürlich eine langweilige Antwort; 50 Prozent Sachbuch, 50 Prozent Belletristik. Ich führe außerdem Buch über alles, was ich gelesen habe. Und wenn ich mir die Liste so ansehe, dann ist da wohl jede Literaturgattung dabei – bis auf Romanzen. Die ertrage ich nicht. Und bei Sachbüchern: Gerne Geschichte, Religion, Astronomie. Aber allein das schließt schon wieder so viel aus. Ich sollte zu meiner ersten Antwort stehen: Alles.

Haben Sie schon Pläne für neue Buch-Projekte?

Tatsächlich habe ich eine Idee, die mir kam, als ich in einem heruntergekommenen Budapester Antiquariat stöberte und eine Ecke mit alten deutschsprachigen Büchern entdeckte. Aber mehr kann ich nicht verraten.

Welche Frage, die wir nicht gestellt haben, hätten Sie dennoch gerne beantwortet? Hier können Sie dies nun tun:

Welches Buch zu unrecht vergessen ist? Der Tunnel von Bernhard Kellermann von 1913: Ein Tunnel zwischen Europa und Amerika. Als er fertig ist, braucht ihn niemand mehr, da geht dann fliegen schneller. Es ist halt alles eitel.

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