Das Porträt eines Provokateurs Julia Encke über einen Schriftsteller, „der niemanden kalt lässt“

Julia Encke arbeitete von  2001 bis 2005 zunächst im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung, gehört seit Sommer 2005 nun aber dem Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin an. Seit 2015 verantwortet sie dort das Literaturressort. 2005 erschien ihre Dissertation Augenblicke der Gefahr. Der Krieg und die Sinne 1914–1934, 2014 dann Charisma und Politik. Warum unsere Demokratie mehr Leidenschaft braucht.  Vor ein paar Tagen erschien bei Rowohlt ihr neuestes Werk unter dem Titel Wer ist Michel Houellebecq. Hier geht sie der Frage nach, worin seine Provokation besteht und sie stellt fest: „Michel Houellebecq ist jemand, den man aus der Distanz besser erkennen kann als in unmittelbarem Kontakt“. Anlass für Fragen an die Autorin:

BuchMarkt: Frau Encke, worum geht es in dem Buch?

Julia Encke (c)privat

Julia Encke: Es geht um den französischen Schriftsteller Michel Houellebecq, der ja als großer Provokateur bekannt ist. Wann immer ein neuer Roman von ihm erscheint, löst er eine Debatte aus. Und wann immer er öffentlich auftritt, muss man mit etwas Unvorhersehbarem rechnen. Ich bin der Frage nachgegangen, worin seine Provokation eigentlich besteht und erzähle das anhand seiner Lebensgeschichte und seines Werks.

Ist Wer ist Michel Houellebecq? eine Biographie?

Es geht natürlich auch um Biographisches. Aber es gehört zur Figur Houellebecq, denn er stilisiert sich ja zu einer Art Kunstfigur, dass er von seinem Leben nicht viel preisgibt und daraus auch gerne ein Rätsel macht. Lange war zum Beispiel nicht klar, in welchem Jahr er geboren worden ist, 1956 oder 1958. Seine Mutter, sagt er, habe ihm immer erzählt, sein Geburtsjahr falsch angegeben zu haben, damit er, anstatt mit sechs, schon mit vier Jahren zur Schule gehen konnte. Solche Dinge kommen vor, weil sie zu verstehen helfen, was für ein Bild er von sich entwirft, aber es ist keine klassische Biographie, die sich an der Chronologie seiner Lebensdaten langhangelt. Sein Leben, sein Werk und sein Wirken als Intellektueller werden in gleicher Weise behandelt.

Haben Sie ihn getroffen?

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Ja, über viele Jahre lang bin ich ihm immer wieder begegnet. Ich habe ihn zu seinen Büchern interviewt, seine Lesungen besucht. Wenn er irgendwo auftrat, war ich gerne da. Als er seinen Roman „Die Möglichkeit einer Insel“ in Spanien verfilmte, war ich eine Woche bei den Dreharbeiten dabei. Da kam es auch mal vor, dass wir zusammen an der Bar saßen. Aber die meiste Zeit, die ich mit ihm und seinem Filmteam dort verbrachte, hielt ich Abstand und sah zu. Grundsätzlich gilt: Michel Houellebecq ist jemand, den man aus der Distanz besser erkennen kann als in unmittelbarem Kontakt.

Und wie ist er in unmittelbarem Kontakt?

Er ist sehr lustig und zugleich sehr ernsthaft. Und er spricht auf diese ziemlich anstrengende Weise, mit sehr, sehr langen Pausen zwischendurch, dass man immer denkt, das war’s , jetzt kommt nichts mehr. Das liegt auch daran, dass er ja immer ein bisschen weggedämmert wirkt. Aber dann ist er wieder da und hat einfach nur ein wenig nachgedacht.

Mit welchem Argument kann der Buchhändler das Buch am besten verkaufen?

Sie wollen wissen, was es mit diesem Schriftsteller auf sich hat, der sich wie ein Clochard inszeniert, um im nächsten Moment im Intellektuellen-Look aufzutauchen? Der von allen Seiten angefeindet wird, aber trotzdem als einer der wichtigsten zeitgenössischsten Schriftsteller gilt? Dessen Bücher heftige Gesellschaftsdebatten auslösen und der den wichtigsten Literaturpreis in Frankreich bekommen hat? Dann lesen Sie dieses Buch!

Welche Leserschaft soll angesprochen werden?

Es ist ein Buch für Leserinnen und Leser, die sich für Houellebecq interessieren, für die Person und für das Werk – wobei man kein Fan sein muss. Man kann ihn auch ablehnen. Wenn er den Islam „die bescheuertste Religion der Welt“ nennt, oder die Prostitution als eheerhaltende Maßnahme preist, lässt das ja niemanden kalt.

Wo könnte der Buchhändler das Buch im Laden angemessen platzieren, in welchem literarischen Umfeld?

Neben Houellebecqs Romanen, überhaupt neben seinem Werk. Aber auch bei den literarischen Biographien.

Was lesen Sie privat aktuell?

Ich habe gerade angefangen, die Kriegstagebücher von Heinrich Böll zu lesen. Ich habe Böll ehrlich gesagt seit der Schule nicht gelesen, mal sehen, ob mir das gefällt.

Sie sind Literaturkritikerin bei der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und kriegen viele Bücher von den Verlagen geschickt. Gehen Sie überhaupt noch in Buchhandlungen?

Aber ja! Ich arbeite in Berlin in einem Redaktionsgebäude, das sich direkt neben einer großen Buchhandlung befindet, die praktischerweise einen Hinterausgang hat, der neben der FAS mündet. Also gehe ich jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit durch die Buchhandlung und gucke, was sich verändert hat, ob es neue Bücher gibt und wo sie liegen. Das ist so ein privates Hobby von mir. Aber auch sonst gehöre ich zu denen, die an Buchhandlungen schlecht vorbeigehen können. Stehen bleibe ich eigentlich immer, und sehr oft gehe ich auch hinein.

 

 

 

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