"Nicht, was erzählt wird, macht große Literatur aus – sondern wie erzählt wird" Jürgen Kill (50)

Jürgen Kill (c) Frese-München

Jürgen Kill wird heute 50 Jahre alt. Horst Lauinger (Manesse) gratuliert dem Liebeskind-Verleger zum runden Geburtstag:

 

Judge a book by it‘s cover. Für keinen deutschen Verlag gilt diese Order so zuverlässig wie für Liebeskind, und das seit bald zwanzig Jahren. Sowie sich auf einem Buchrücken das charakteristische hellgrüne L findet, kann man getrost davon ausgehen, dass der Inhalt kein Jota hinter der gewinnenden Optik zurückbleibt. Das Cover als ein Versprechen, das von dem, was folgt, eingelöst wird – so oder so ähnlich muss das Ideal gelautet haben, mit dem Jürgen Christian Kill, gelernter Verlagsbuchhändler, im Jahr 2000 antrat. Saison um Saison, wenn die gedruckten Vorschauen eintrudeln (ja, es gibt sie noch!), lege ich mir ein knappes Dutzend beiseite. Hand aufs Herz: Für das Gros der Prospekte tut es ein rascher Blick. Routiniertes Abnicken des Erwartbaren. Nicht so bei der Liebeskind-Vorschau. Die zählt zu jenem Dutzend, das aufmerksam durchblättert sein will. Was für famose Cover haben einen da in all den Jahren angesprungen! Mein Favorit: James Sallis‘ Driver, dicht gefolgt von Driver 2 und Deine Augen hat der Tod, Pollocks Knockemstiff, Richlers Cocksure, Dicks Unterwegs in einem kleinen Land, Ogawas Zärtliche Klagen, Dexters God’s Pocket, hach, eins verlockender als das andere. Und was für fabelhafte Lektüren verbergen sich dahinter. «Die Wirklichkeit ist brutal, und das grundlos» … «Er schaute wieder in das Buch, las ein paar Zeilen, bis er an dem Wort Ungebräuchlichkeit hängen blieb. Was für ein Scheißwort war das denn? Er schlug das Buch zu und legte es zurück auf den Nachttisch» (Driver) … «Meistens waren die Dinge so, wie sie aussahen» … «Du kannst gar nichts machen, das so schlimm oder so gut ist, dass es sich nicht klärt. Und am Ende bist du, was du immer schon warst» (God’s Pocket). Alles Zitate aus Liebeskind-Titeln, ein Zufallspotpourri der prägnantesten Sätze, die ich mir seinerzeit angestrichen habe. Was meist lapidar und beiläufig daherkommt, hat’s in sich, das suggestive Hardboiled der Plots und Sounds, die kunstvolle Lakonie der Dialoge, die rabenschwarze Poesie und vibrierende Coolness dieser Romane, sie gehen einem nicht mehr aus dem Kopf. Seit ich 2001 Denis Johnsons «Engel» gelesen habe (erschienen nicht bei Liebeskind, sondern im leider kurzlebigen Alexander Fest Verlag), bin ich ein Fan des American noir. Schöne Koinzidenz, 2001 ist auch das erste Liebeskind-Programm erschienen: Lorette Nobecourts Gespräch mit Anna, Yoko Ogawas Hotel Iris, Paolo Theobaldis Der Duft der Dinge, John Bath‘ Die schwimmende Oper und Philippe Garniers Lob der Lauheit. Schon hier, ganz am Beginn, zeigte sich, dass mit dieser Münchner Neugründung in Zukunft zu rechnen sein würde, dass sie mehr sein wollte als ein One-Season-Wonder.

Nicht, was erzählt wird, macht große Literatur aus – so das Motto des Verlegers –, sondern wie erzählt wird. Wie konsequent hat Jürgen Kill dies beherzigt und im Laufe der Jahre in die Tat umgesetzt! Was für eine Fülle an großartigen literarischen Entdeckungen, „dreckigen Meisterwerken“ (Denis Scheck) und Glorreichen Ketzereien hat er aus dem Ärmel gezaubert und mit Susanne Finks goldwerter Unterstützung unters Lesevolk gebracht!

Lieber Jürgen, man wird Dich in den nächsten Wochen und Monaten über den grünen Klee loben. Auch wenn Dir das als Mensch bar aller Prätention widerstrebt, es hilft nix, da musst Du jetzt durch. Du wirst Dir eine Menge Komplimente einfangen. James Sallis, dessen neuen Wurf Willnot Du im Februar herausbringst (hooray!), würde es wohl so formulieren: «Ein Kompliment ist wie ein Schuss in den Rücken. Die Kugel trifft dich immer unvorbereitet. Dann heißt es: Ruhe bewahren und tief durchatmen.» Im Unterschied zu Kugeln bringen einen Komplimente nicht um. Und was Dich betrifft: Sie sind allesamt wahr.

Damals an der Theke Deines Ladens im Gärtnerplatzviertel – war es 2003 oder 2004? – hast Du mit dem Marathon Man gedealt, und heute bist Du selber einer. Wie weiland Driver und Standard gehörst Du zu den stolzen Männern, die weder Grund noch Notwendigkeit für belanglosen Small Talk sehen. Stattdessen lieber etwas Substantielles im Modus geistreicher Nonchalance, dazu Lakonie, Charakter, Format & Stil. Alles, was Deinen Verlag und Deine Bücher auszeichnet, haben die Götter auch Dir zuteilwerden lassen, lieber Jürgen. Ich, der ich mir unserer «kulturellen Juxtaposition» (noch so ein Zitatfund aus einem Deiner Bücher!) bewusst bin und mich obendrein glücklich schätze, mit Dir befreundet sein zu dürfen, ernenne Dich hiermit offiziell zum Klassiker unter den Verlegern! Lass Dich feiern! Genieß die Freuden des gemäßigten Lebens! Und zuletzt: Be good and keep away from Knockemstiff!

Horst Lauinger, Manesse Verlag

Kontakt: j.c.kill@liebeskind.de

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