Michaela Kastel im Autorengespräch über "So dunkel der Wald" und ihre Doppelrolle als Autorin und Buchhändlerin „Ich mag Geschichten, die in dunkle Tiefen führen“

In dieser Woche ist ihr Thriller So dunkel der Wald als Spitzentitel bei Emons  erschienen: Michaela Kastel, geboren 1987, studierte sich nach ihrem Schulabschluss an einer katholischen Privatschule quer durch das Angebot der Universität Wien, ehe sie beschloss, Traum in Wirklichkeit zu verwandeln und Schriftstellerin zu werden. Sie lebt in Wien, wo sie auch als Buchhändlerin arbeitet. Noch vor dem Erscheinungstermin hat übrigens die österreichische Filmproduktion Nowotny & Nowotny den Stoff optioniert: Die Wiener wollen Kastels Roman nun auf die Kinoleinwand bringen.

Michaela Kastel, Autorin und Buchhändlerin: „Die Vorstellung, Kunden mein eigenes Buch zu empfehlen, ist schon etwas merkwürdig.“ (© Marie Bleyer)

„So dunkel der Wald“ ist ein düsterer Thriller über eine Schicksalsgemeinschaft entführter Kinder. Was interessiert Sie als Autorin an diesem Thema?
Ich mag Geschichten, die in dunkle Tiefen führen, mit komplizierten, nicht unbedingt eingängigen Charakteren, deren Schicksal bis zum Schluss ungewiss bleibt. Es gibt mir Raum zum Denken, und das ist es, was mir bei vielen Büchern leider fehlt – ein Grund, über die Geschehnisse nachzudenken. Für mich ist das Plotten eines Buches immer eine Art Gedankenexperiment. Wie verhält man sich in gewissen Situationen? Welche Konsequenzen ergeben sich daraus? Je komplizierter, umso besser. Das eröffnet dir als Autorin völlig neue Blickwinkel, die im besten Fall zu einer schlüssigen Geschichte werden. Und natürlich spielt auch die Atmosphäre eine entscheidende Rolle. Bilder, die dir im Kopf herumspuken, Gefühle, Farben. In „So dunkel der Wald“ wollte ich beides, Psychologie und Atmosphäre, miteinander verbinden.

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Ihr Roman ist düster, die Atmosphäre beklemmend. Die Spannung wird auch nicht durch ein klassisches Happy-End aufgelöst, wie es bei anderen Geschichten dieser Art meist der Fall ist. Welche Absicht steckt dahinter, dem Leser die ersehnte „Genugtuung“ zu verweigern?
Steckt eine Absicht dahinter? Ich bin mir da gar nicht so sicher. Manche Geschichten müssen aufs Komplizierteste konstruiert werden, um zu funktionieren, andere schreiben sich von selbst und stehen am Schluss einfach da. Was davon besser ist, sei dahingestellt. Ich persönlich könnte mir keinen anderen Ausgang für So dunkel der Wald vorstellen – vielleicht ist es kein glückliches Ende, aber ein reales, was mir bei meinen Büchern am wichtigsten ist. Die Figuren folgen ihrem Weg. Mehr ist nicht nötig.

Sie arbeiten selber als Buchhändlerin in der Buchhandlung Laaber in Wien. Wem und wie würden Sie Ihr Buch empfehlen? Wie würden Sie es einem Kunden beschreiben?
Ich würde es Lesern empfehlen, die sich gern in die Psyche anderer Menschen hineindenken. Die vor den hässlichen Seiten des Lebens nicht die Augen verschließen und sich nicht zwingend mit den Hauptcharakteren identifizieren müssen, um sich von einer Geschichte mitreißen zu lassen. Es ist ein sehr emotionales, vielleicht auch forderndes Buch, auf das man sich auf jeden Fall einlassen sollte. Wobei die Vorstellung, Kunden mein eigenes Buch zu empfehlen, schon etwas merkwürdig ist.

Erschreckend ist vor allem das Verhalten der Opfer: Als die Freiheit plötzlich zum Greifen nah ist, entwickelt sich die Situation völlig unerwartet. Wie plausibel ist das Verhalten der Kinder angesichts der Extremsituation, in der sie sich über Jahre befunden haben?
Gegenfrage: Kann man hier überhaupt noch von „plausibel“ oder „nicht plausibel“ sprechen? Wer kann schon sagen, wie sich Menschen, die so etwas erlebt haben, in gewissen Situationen verhalten? Ich persönlich kann mir sehr gut vorstellen, dass einem die Gewohnheit durchaus zum Verhängnis werden kann. Menschen wagen sich ungern aus ihrer Komfortzone heraus, selbst wenn das bedeutet, auf ewig ein Gefangener zu sein. Dazu sind gar keine Gitterstäbe oder dunkle Wälder nötig, sondern allein die Angst vor Veränderung und vor etwas Neuem. So geht es zum Teil auch meinen Protagonisten, und ich denke, das ist gar nicht so unrealistisch.

Die Charaktere in Ihrem Buch sind tatsächlich weder schwarz noch weiß, es gibt keine saubere Trennung zwischen Gut und Böse. Was zeichnet Ihre Figuren aus?
Ich denke, ihre Authentizität. Ich wage nicht zu behaupten, dass Menschen in solch einer Situation genauso handeln, denken und fühlen würden, wie es meine Protagonisten tun. Aber es ist eine Möglichkeit. Meine Überlegung bei der Charakterentwicklung war folgende: Was passiert mit einem Menschen, der sein Leben lang Isolation und Gewalt ausgesetzt ist? Wie entwickelt er sich? Wovor hat er Angst, wozu ist er fähig? Das ergibt eine Bandbreite an Möglichkeiten: Auf der einen Seite Ronja, die trotz ihres Traumas an Liebe und Hoffnung glaubt. Auf der anderen Seite Jannik, für den alle Hoffnung zu spät kommt. Die ganze Geschichte basiert auf meiner Überzeugung, dass all das genauso passieren könnte. Irgendwo, irgendwann. Das macht es erschreckend real, auch wenn es Fiction ist.

Wie ging es Ihnen beim Schreiben? Hat Sie das Thema persönlich belastet?
Überhaupt nicht. Belasten können dich als Autorin Deadlines, Lektorate und schlechte Rezensionen. Aber das Thema? Ich glaube kaum, dass der Regisseur eines Horrorfilms sich während der Dreharbeiten gruselt. Dafür ist man viel zu nah an den Geschehnissen dran, betrachtet das Ganze viel zu nüchtern und kritisch. Manchmal reibe ich mir irre grinsend die Hände, wenn ich das Gefühl habe, eine besonders intensive Szene geschrieben zu haben. Es ist also mehr die Euphorie des Erschaffens, die dich als Autorin mitreißt, als die Geschichte selbst. Wobei ich zugeben muss, dass ich durchaus das eine oder andere Mal schlucken musste, als ich das Buch im Zuge der Lektoratsarbeiten nach langer Zeit wieder von vorne bis hinten durchgelesen habe. Man hat dann endlich die nötige Distanz, um die Geschehnisse so auf sich wirken zu lassen, wie es ein Leser tut.

Immer wieder kommen Missbrauchsfälle an die Öffentlichkeit, bei denen die Opfer über Jahre hinweg gefangen gehalten wurden. Haben Sie sich intensiv mit diesen realen Verbrechen beschäftigt und haben sie vielleicht sogar Eingang in Ihren Roman gefunden?
Offen gestanden spielten reale Fälle für mich überhaupt keine Rolle. Es ist eine Geschichte, die in meinem Kopf entstand, nicht mehr und nicht weniger. Parallelen sind möglich,  dennoch glaube ich nicht, dass man das eine Schicksal mit dem anderen vergleichen könnte oder sollte. Wissen wir, was alles auf der Welt passiert? Jetzt, in diesem Augenblick? Ich versuche mich nicht von der Realität beeinflussen zu lassen, da es auch nie meine Absicht war, ein Fallbeispiel zu liefern. Mir ging es um die Bilder in meinem Kopf, um die Psychologie, die dahintersteckt. Eines Tages hatte ich diese Figuren vor Augen, allein im Wald, und mir war klar, mit ihnen war etwas Schreckliches geschehen. Ihr Schicksal wollte ich erzählen, und das ist mir hoffentlich gelungen.

Schockieren Sie solche Nachrichten denn noch?
Mich schocken weniger die Gräueltaten, die ans Tageslicht kommen, als all jene Dinge, die immer noch stattfinden, ohne dass wir davon wissen. Über Jahrzehnte hinweg. Das ist der wahre Horror, den man nur schwer aus dem Kopf kriegen kann.

Wie schwer ist die Umstellung zwischen Ihren beiden Berufen als Autorin und als Buchhändlerin? Fällt es in einer intensiven Schreibphase schwer parallel auch am Verkaufstresen zu stehen oder ist gerade diese Mischung Ihr Erfolgsgeheimnis?
Es ist niemals leicht, zwei Berufe zu haben. Manchmal kommen sie sich natürlich in die Quere, doch es ist alles eine Frage des Zeitmanagements. Wenn ich gerade an einem Buch schreibe, lebe ich ohnehin in meiner eigenen Welt. Es ist dann eher mein Privatleben, das darunter zu leiden hat und weniger der Job in der Buchhandlung – was ja auch klar ist, denn schließlich lebe ich davon. Aber sind wir ehrlich: Gibt es etwas Besseres, als live und in Farbe mitzuerleben, wie das eigene Buch über den Ladentisch wandert? Von wildfremden Menschen gekauft wird? Ich glaube, nicht. Außerdem hat man einen ganz anderen Einblick in die Buchbranche, versteht die Mechanismen, die dahinterstecken, und kann das für sich nutzen. Es hat also durchaus seine Vorteile, Schriftstellerin und Buchhändlerin zu sein.

Die Fragen stellte Jörn Meyer

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