Das Sonntagsgespräch Hans-Jürgen Hofmann: „Der Einzelhandel wird seine Struktur komplett verändern!“

Seit vielen Jahren betreibt Hans-Jürgen Hofmann ein Möbelgeschäft in der Bremer Innenstadt – und das mit Leib und Seeele. Das Arbeiten im Einzelhandel bezeichnet er als „eines der letzten Abenteuer der Menschheit“. In seinem Buch Der Ladenhüter zieht er nun eine Bilanz dieses Abenteuers und erzählt humorvolle Anekdoten aus seinem Alltag. BuchMarkt sprach mit ihm über „das Buch für alle Verkäufer“ (wie Hofmann im Vorwort schreibt) und seine Einschätzung der Zukunft des deutschen Einzelhandels.

BuchMarkt: Herr Hofmann, aus welchem Anlass haben Sie dieses Buch geschrieben? Wollten Sie sich den Frust einfach mal von der Seele schreiben? Worum genau geht es überhaupt?

Hans-Jürgen Hofmann
Schwarzkopf & Schwarzkopf

Hans-Jürgen Hofmann: Ich habe mit vielen Kollegen auch aus anderen Branchen gesprochen, und alle haben ähnliche Erfahrungen wie ich im Einzelhandel gemacht. Häufig zu hören war: Da müsste man mal ein Buch drüber schreiben. Das habe ich dann getan. Leider ist das menschliche Gehirn ja so konzipiert, dass sich negative Erfahrungen besonders einprägen. Daher schildere ich eher die skurrilen und fragwürdigen Ereignisse. Meine Motivation ist eine doppelte: Zum einen wollte ich mir die Erlebnisse „von der Seele schreiben“ und erlebe dadurch tatsächlich eine gewisse Läuterung. Zum anderen möchte ich für mehr menschlichen Umgang im Einzelhandel werben. Ich möchte daran erinnern, dass wir allesamt Menschen sind, und uns dementsprechend begegnen sollten.

Wie steht es ihrer Meinung nach denn um den Beruf des Einzelhändlers insgesamt?

Der Einzelhandel wird in den nächsten Jahren seine Struktur komplett verändern: Die kleinen, oft inhabergeführten Geschäfte werden verschwinden. Läden wird es nur noch als Dependancen großer Ketten oder direkt von Herstellern geben. Diese werden nur noch die Aufgabe haben, die Produkte sinnlich zu erfahrbar zu machen und die Kunden individuell zu beraten, es wird nichts mehr am Lager sein. Die Lieferung erfolgt direkt ab Werk mit Hilfe von Kurierdiensten. Eine ganze Reihe von Buchhändlern, mit denen ich gesprochen habe, hat mir bestätigt, dass sie ganz ähnliche Erfahrungen gemacht haben.

Gibt es aus diesen vielfältigen Erfahrungen auch Erkenntnisse, die Sie jedem Einzelhändler mitgeben können?

Meine Erfahrungen sind höchst unterschiedlich, daher auch die 33 Kapitel. Um zwei grundsätzliche Erfahrungen zu nennen: Man sollte sich nicht am äußeren Eindruck orientieren. Und die Kunden, mit denen man die meiste Arbeit hat, für die man am meisten tut und eine Menge Vorleistungen erbringt, werden nicht unbedingt die besten Kunden.

Was war denn die schönste und was die traurigste Geschichte, die Sie in Ihrem Laden mit dem Kunden erlebt haben?

Die schönste Geschichte kommt häufiger vor: Kunden rufen nach der Auslieferung an und bedanken sich für die gute Beratung und die gute Ausführung des Auftrages. Die traurigste Geschichte ist die der Dame Mitte siebzig, die sich einen neuen Esstisch ausgesucht hatte und am nächsten Tag mit ihrer Tochter wiederkam. Die Tochter kommentierte das Vorhaben nur mit dem Satz: „Mutti, du brauchst doch keinen neuen Tisch mehr!“

Und die komischste Geschichte?

Die skurrilste Geschichte handelt von einer Psychologin, die in ihrem Inneren fühlen wollte, ob die neuen Möbel in den Raum passen. Sie entwickelte eine geradezu unglaubliche Logik. Die Kurzfassung geht ungefähr so: „Ich nehme dann die beiden Sessel und den Teppich. Der Teppich gefällt mir so gut, dass ich gleich noch einen zweiten für zuhause nehme. Ich weiß aber noch nicht genau, in welcher Farbe. Deshalb nehme ich erst nur einen und probiere es aus. Und wenn ich es sowieso ausprobiere, kann ich ja erst noch nach einem anderen Teppich gucken. Die Sessel bestelle ich dann, wenn ich weiß, welcher Teppich es wird.“

Warum sind Sie trotz all dieser Erfahrungen Einzelhändler?

Ich schätze den Kontakt mit Menschen, auch und gerade mit den unterschiedlichsten Typen. Und ich suche die Herausforderung.

Etwas provokativ formuliert: Braucht man in Zeiten des Internets überhaupt noch Einzelhändler?

Um einen Kaufanreiz zu schaffen und eine Entscheidung des Kunden möglich zu machen, braucht man definitiv Läden. Die Menschen wollen die Gegenstände sehen, anschauen und anfassen, bevor sie etwas kaufen. In meinen Augen ist zudem die persönliche Beratung wunderbar, um die Komplexität zu reduzieren. Das Angebot, das dem Kunden zur Verfügung steht, wird ja durch die neuen Medien immer größer und unüberschaubarer. Deshalb nimmt die Bedeutung der Beratung zu.

Es kommt ja öfters vor, dass sich Kunden im Laden beraten lassen, aber dann doch zuhause im Internet bestellen. Wie reagieren Sie, wenn Sie merken, dass Kunden sich nur bei Ihnen informieren, aber nicht kaufen wollen?

Wenn ich diese Absicht bei einem Kunden bemerke, spreche ich es offen an und weise darauf hin, dass unsere Dienstleistungen auch honoriert werden sollten. Langfristig denke ich, ist eine mögliche Lösung die Erhebung einer Beratungspauschale, welche beim Kauf erstattet wird. Solche Modelle gibt es z.B. in den USA bereits.

Wie gehen Sie als Einzelhändler denn mit dem Internet um?

Ich nutze es ziemlich pragmatisch. Um auf mein Geschäft aufmerksam zu machen, für Recherchen und für Kontakte zu Herstellern und Kunden. Das Problem des Preisvergleichs und intensiver Verhandlungen beschäftigt uns in der Möbelbranche schon lange. Nur ist es durch das Internet zu einer regelrechten Plage geworden. Deshalb strukturiere ich im Vorfeld mein Sortiment so, dass es möglichst wenig Vergleichsmöglichkeiten gibt.

Und wie überzeugen Sie Ihre Kunden, bei Ihnen zu kaufen?

Durch Kompetenz und Beziehungsarbeit. Wenn wir zusammen gelacht haben, ist das Wichtigste geschafft.

Was bringt Sie ganz besonders auf die Palme?

Mich bringt auf die Palme, wenn ich das Gefühl habe, dass meine Gutmütigkeit ausgenutzt werden soll. Beispiel: Wir stellen in der Wohnung des Kunden ein Sofa zur Probe. Die Beratung dauert, und es geht auf 22 Uhr zu. Dann beginnt der Kunde, zu feilschen und nach Fehlern zu suchen, um den Preis zu drücken.

Haben Sie Tipps und Tricks, ruhig und höflich zu bleiben?

Tricks? Ich atme aus, ich spüre den Boden, ich mache mir klar, dass es nur eine professionelle Angelegenheit ist und mit mir persönlich nichts zu tun hat.

Sind Sie selbst konsequent und kaufen nichts im Internet?

Ich kaufe im Internet Dinge, die nicht sehr sexy sind, also zum Beispiel Toner für den Laserdrucker oder anderen Bürobedarf. Und Sachen, die im Handel nicht ohne Weiteres zu bekommen sind. Für unsere Deckenbeleuchtung brauchen wir z.B. sehr spezielle Leuchtmittel, die ich online kaufe. Und ich buche Reisen übers Netz. Im Übrigen bin ich nicht gegen Käufe im Internet, ich bin gegen Beratungsdiebstahl. Und ich kann mir vorstellen, dass eine gute Beratung zum Beispiel durch das Urheberschutzgesetz geschützt werden könnte …

Der Ladenhüter. Arbeiten im deutschen Einzelhandel – eines der letzten Abenteuer der Menschheit von Hans-Jürgen Hofmann ist am 1. Mai 2013 bei Schwarzkopf & Schwarzkopf erschienen.

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