Autoren im Gespräch Greta Taubert über ihr Buch „Im Club der Zeitmillionäre“

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Greta Taubert lebt als freie Autorin in Leipzig. Für Die Zeit, Cicero, taz und die FAS berichtete sie von überall dort, wo es unbequem, schmutzig und riskant ist: von Blutrachehäusern in den Albanischen Alpen, von Kinderhändlern im äthiopischen Hochland und Guerillacamps in Mecklenburg-Vorpommern. Die Initiative newsroom.de zählt sie zu den 500 exzellentesten Frauen der deutschen Medienszene. Ihre Arbeit wurde mit dem „Medienpreis der Kindernothilfe“ ausgezeichnet.
Immer freitags hier um 14 Uhr ein Autorengespräch:  Heute mit Greta Taubert über ihr Buch „Im Club der Zeitmillionäre“ :
In Ihrem Buch „Im Club der Zeitmillionäre“ (Eichborn) machen Sie sich auf die Suche nach einem anderen Reichtum. Wie sieht der aus?
Wir alle kennen die Formel: Zeit ist Geld. Aber meistens wird diese Floskel gebraucht, wenn wir gehetzt sind. Hinter ihr steckt der Gedanke, dass jede Minute effizient in Geld verwandelt werden soll. Ich habe mich gefragt, ob man diese Formel auch umdrehen kann. Welcher Reichtum steckt in der Zeit selbst?
Und, was haben Sie gefunden?
Anders als beim Geldwohlstand geht es beim Zeitwohlstand nicht darum, die Ressource anzuhäufen. Mehr Zeit bedeutet nicht mehr Glück. Ich habe mir ein Jahr lang Zeit genommen um herauszufinden, wann Zeit reich macht. Dafür habe ich selbst Experimente gemacht und Menschen getroffen, die sich aus den festen Strukturen der Erwerbsarbeit herausgelöst und nach Möglichkeiten gesucht haben, ihre Zeit so souverän und sinnvoll wie möglich zu gestalten. Und genau darum geht es beim Zeitwohlstand: selbstbestimmt über seine Zeit verfügen zu können.
Geben Sie uns ein Beispiel!
Eine Zeitmillionärin hat zum Beispiel ihren festen Job in einer Kommunikationsagentur gekündigt und arbeitet jetzt teilweise auf einem Gemüsefeld. Dort wird sie für ihren Arbeitseinsatz mit Gemüse bezahlt. Den anderen Teil ihrer Zeit macht sie freie Designprojekte gegen Geld. Sie hat insgesamt sicher weniger Geld als ihre ehemaligen Studienkollegen und hat auch weniger Karrierechancen – aber sie erlebt Freiheit und Unabhängigkeit. Jeden Tag.
Das Wort „Zeitmillionäre“ klingt auch ein wenig nach Zeitverschwendung. Ist das denn etwas Edles?
Ja, seine Zeit zu verschwenden ist etwas sehr Luxuriöses. Der Philosoph Georges Batailles redet in diesem Zusammenhang sogar von „Glorioser Verschwendung“. Zeit ungenutzt verstreichen zu lassen, ist heute etwas sehr Seltenes. Nicht das Smartphone zu zücken, wenn ich an der Kassenschlange stehe oder an der Bushaltestelle oder sogar auf dem Klo – das sieht man heute kaum noch. Wir haben das längst verinnerlicht, jede Minute unserer Zeit irgendwie zu nutzen. Luxus bedeutet, sich unvernünftig, irrational und unangemessen zu verhalten, mit den Üblichkeiten zu brechen. Insofern ist es wirklich etwas ziemlich Dekadentes, das Telefon stecken zu lassen, wenn es piept und zu sagen: Ich möchte lieber nicht.
Sie haben ein Jahr lang alle Aufträge und Anfragen abgesagt. Wie ging es Ihnen dabei?
Am Anfang sehr gut. Ich hatte das Gefühl, etwas fast schon Revolutionäres zu tun. Nicht mehr mitspielen, nicht mehr funktionieren, nicht mehr hetzen. Stattdessen habe ich die Zustände von Langeweile, Muße und Nichtstun ausgeforscht. Ich saß dann auf einer Bank in meiner Straße, habe dem Leben zugeguckt und vor mich hingeträumt. Wenn mich die Nachbarn fragten, was ich tue, habe ich ganz glücklich geantwortet: Nichts. Aber nach einigen Monaten ging es mir immer schlechter. Ich hatte das Gefühl, den Kontakt zur Welt zu verlieren und überflüssig zu sein. Da begriff ich, dass es beim Zeitwohlstand nicht darum geht, einfach nur mehr Zeit zu haben, sondern sie sinnvoll für sich selbst und für die Gemeinschaft zu verwenden. Der Soziologe Hartmut Rosa nennt das, „Resonanz“ zu erfahren. Und genau darum geht es beim Zeitwohlstand.
Was hat Zeitwohlstand mit Reichtum zu tun?

Zeitwohlstand schlägt einen neuen Statusbegriff vor: Nicht Geld, Autos, Güter, Macht sind die erstrebenswerten Symbole, sondern sinnvoll verbrachte Zeit. Wir können ja nicht ewig so weitermachen mit unserem materiellen Hunger. Das hat die Ressourcen der Erde und auch von uns selbst in den letzten Jahren fast völlig erschöpft. Wir sind jetzt an einem Punkt der Geschichte angekommen, in dem wir nach einem neuen Ideal streben sollten, nach einer anderen Form des Wachstums. Warum nicht nach dem, was uns allen fehlt: Zeit.

Wie kann das konkret funktionieren?
Wir brauchen einen neuen gesellschaftlichen Konsens darüber, wonach wir als Einzelne und als Gesellschaft streben wollen. Im Moment scheint es alternativlos zu sein, dass jeder Mensch so viel wie möglich arbeitet, Geld verdient, konsumiert, vorsorgt. Wir stehen aber vor tiefgreifenden Veränderungen: durch die zunehmende Digitalisierung, Technisierung und auch Migration werden wir bald weniger Arbeit als Arbeitende haben. Die alte Formel: „Wohlstand ist, was Arbeit schafft“ stimmt bald nicht mehr. Wir müssen jetzt den Diskurs um Arbeitszeitverkürzung, Flexibilisierung und Grundeinkommen aufnehmen. Da sind alle gefragt: von Politik über Wirtschaft bis zum Einzelnen.
Wie sieht Ihr persönlicher Zeitreichtum aus?
Ich fühle mich arm, wenn ich meine Zeit an Strukturen, Routinen und Menschen verwende, die mir nichts bedeuten. Ich fühle mich reich, wenn ich Momente der Fülle erlebe. Beim Zeitwohlstand geht es darum, reich an glücklichen und als sinnvoll erlebten Momenten zu sein.
Wie erreicht man diese Momente? Gibt es einen Dreipunkte-Plan?
Nein, den kann es nicht geben, weil die Frage danach, was wir als Glück und Sinn erleben sehr unterschiedlich ist. Aber dem willigen Momentalisten würde ich Folgendes mit auf den Weg geben:
  • Sich in Momente voll und ganz hineinzubegeben. Viele von uns sind ständig gehetzt und versuchen jede Minute so effizient wie möglich zu nutzen. Mit dem Smartphone an der Kassenschlange, mit dem Telefon in der U-Bahn, mit dem Laptop auf Bahnreisen – dadurch schotten wir uns immer mehr von der Welt, die uns umgibt, ab. Wir spüren dadurch immer weniger: nicht die Welt, nicht die Zeit, nicht uns selbst.
  • Sich von dem Glauben verabschieden, dass Mehr immer auch Besser ist. Oft glauben wir, dass mehr Geld, mehr Klamotten, mehr PS, mehr Aufträge, mehr Erfolg, auch mehr Freizeit anstreben sollten. Dafür strampeln wir uns ab. Es geht aber nicht darum, immer mehr zu wollen, sondern in dem, was wir haben und sind, das Glück zu erkennen und damit achtsam umzugehen.
  • Sich Dehnungsfugen im Alltag schaffen. Wir haben oft einen Plan davon, wie unser Tag, unsere Woche und auch unser Leben zu verlaufen haben. Wenn das nicht klappt, sind wir frustriert und ärgern uns. Wenn wir uns davon verabschieden, dass das Leben nur aus Planerfüllen besteht, haben wir die Gelegenheit, uns auf die Welt einzulassen. Bewusste kleine Zeitinseln zu schaffen, sich mal umzugucken, sich zu verorten, zu riechen, schmecken und fühlen – das sind manchmal nur ein paar Minuten, aber sie sind wertvolle Momente. Und um die geht es am Ende.

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