Wend Kässens über 40 Jahre Deutscher Literaturfonds „Überregional, marktunabhängig und jenseits politischer Vorgaben“

Wend Kässens

Im Jubiläumsjahr 2020 feiert der Deutsche Literaturfonds nicht nur sein 40-jähriges Bestehen, sondern vergibt auch zum zehnten Mal die Kranichsteiner Jugendliteratur-Stipendien. Wir sprachen dazu mit Wend Kässens (Geschäftsführender Vorstand des Fonds):

BuchMarkt: Herr Kässens, was zeichnet diese Stipendien aus? Und erwartet die beiden diesjährigen Stipendiatinnen Kristin Höller und Dita Zipfel aus diesem Anlass etwas Besonderes?

Wend Kässens: Diese Stipendien sind für junge Jugendbuchautorinnen und -autoren gedacht, die ein besonders gutes erstes Buch vorgelegt haben und nun Zeit und Ruhe benötigen für ein zweites Buch. Es ist bekannt, daß das zweite Buch eine besondere Herausforderung ist. Dafür stellt der Literaturfonds seit diesem Jahr für zwei sechsmonatige Stipendien jeweils € 18000.- zur Verfügung. Dazu ist aus Anlaß des Jubiläums und in Zusammenarbeit mit dem AKJ (Arbeitskreis für Jugendliteratur) eine „Stipendiaten-Tour“ in sechs Terminen aus Lesungen, workshops und Gesprächen geplant. Die sollen an besonderen Orten für junge Leserinnen und Leser stattfinden. Honorar und Reisekosten übernimmt der Literaturfonds. Schließlich werden die beiden Stipendiatinnen in die Herbsttagung des AKJ im November in Würzburg eingebunden, auf der die Zukunft des Jugendbuches Thema sein wird. Auch hier ist der Deutsche Literaturfonds beteiligt. Ab 2021 erhöht sich die Zahl der Stipendien. Zu den Jugendbuchstipendien kommen zwei Kinderbuchstipendien in gleicher Höhe.

40 Jahre Deutscher Literaturfonds – wie wird das gefeiert?

Schon Ende Januar haben wir das Jubiläumsjahr mit einer zweitägigen Tagung im Deutschen Literaturinstitut Leipzig eingeläutet, mit Themen wie „Erzählerische Freiheit, Fake und Fiktion“, „Political Correctness oder Literatur“, „Die Sache mit dem Geld“ oder „Urheberrecht und digitale Plattformen – geht das zusammen?“ Der Tag, an dem 1980 sieben großen Literaturorganisationen der Bundesrepublik Deutschland die Unterschrift unter das Gründungsdokument des Deutschen Literaturfonds leisteten, war der 7. Oktober. Von Beginn an war vorgesehen, daß der Bund diese Institution fördert. Am 7. Oktober 2020 findet in Berlin das Jubiläum statt, im Beisein von Autorinnen und Autoren. Die Staatsministerin für Kultur und Medien, Monika Grütters, wird die Festrede halten und erstmals den neu ins Leben gerufenen „Großen Preis des Deutschen Literaturfonds“ überreichen. Dieser Preis ist mit  50.000 Euro dotiert, aus dem bisherigen „Kranichsteiner Literaturpreis“ hervorgegangen, und steht damit neben dem Büchner-Preis – der Spitzenförderung der deutschsprachigen Literatur angemessen.

Der Fonds widmet sich betont der Spitzenförderung deutschsprachiger Gegenwartsliteratur und dem Erhalt literarischer Traditionen. Hat sich an diesen Anforderungen über die Jahrzehnte hinweg etwas geändert – oder ist etwas hinzugekommen?

Als Hauptaufgabe wurde die Förderung deutschsprachiger Autoren und Autorinnen durch Stipendien genannt. Die sind inzwischen mit jeweils 3000 Euro im Monat dotiert, maximal ein Jahr lang.  Es kam sehr früh die Förderung qualifizierter Übersetzungen literarisch herausragender Werke der internationalen Gegenwartsliteratur ins Deutsche hinzu. Ein weiterer Bereich war und ist die Vermittlungsförderung, dazu zählen die Sicherung wichtiger literarischer Traditionen und Editionen; aber auch die Förderung periodisch erscheinender Publikationen, die zeitgenössische literarische Entwicklungen abbilden und begleiten; die Finanzierung von Veranstaltungen, die der Weiterentwicklung zeitgenössischer deutschsprachiger Literatur dienen; seit einigen Jahren auch die Unterstützung von Initiativen, die das Interesse an Literatur im pädagogischen Bereich (Schulen und Hochschulen) und im breiten Publikum wecken. Darüber hinaus gibt es Initiativen und mehrjährige Kooperationen, die in den letzten Jahren erschlossen wurden (u.a. mit dem Deutschen Kinder- und Jugendtheaterzentrum in Frankfurt, Finanzierung der jährlich erscheinenden Lyrikempfehlungen und Förderung des Tandemprojekts „Weiter Schreiben“). Dieses deutlich erweiterte Spektrum unserer Arbeit ist in den letzten Jahren entstanden und wurde noch einmal vorangebracht durch die Verdoppelung unseres Etats durch das Bundeskulturministerium im Jahr 2018. Die hat es uns auch ermöglicht, die Agentur Politycki & Partner zur Etablierung und Unterstützung unserer Öffentlichkeitsarbeit zu engagieren. Bis dahin bestand unser Darmstädter Büro aus dem Lektor und einer Mitarbeiterin für Planung und Verwaltung. Alle anderen Posten sind Ehrenämter. Inzwischen konnte das fest angestellte Personal um eine weitere Mitarbeiterin aufgestockt werden.

 Was macht ihn so besonders und wichtig?

Der Deutsche Literaturfonds ist in Deutschland die finanziell potenteste Organisation zur Förderung der deutschsprachigen Literatur. Es stehen ihm im Moment zwei Mio. Euro im Jahr zur Verfügung. Er fördert die deutschsprachige Gegenwartsliteratur überregional, marktunabhängig und jenseits politischer Vorgaben. Er ist eine Organisation von Autoren für Autoren. Die Entscheidungen treffen jeweils für zwei Jahre engagierte Kuratoren, die von den Gründungsvereinen bzw. Mitgliedsverbänden delegiert werden, Autoren, Kritiker, Verleger und Bibliothekare. Einmalige Verlängerung ist möglich. Das Kuratorium tagt dreimal jährlich, um die Anträge von Autorinnen und Autoren abzuarbeiten. Daneben gibt es für die diversen Preise des Fonds Jurys, die vom Kuratorium bestimmt werden und ebenfalls zeitlich begrenzt tätig sind. So ist die Unabhängigkeit gewährleistet und die jeweilige Debatte darüber, was als Spitzenförderung gelten kann und was eher nicht. 10 bis 12 % der rund 350-400 Anträge im Jahr können positiv beschieden werden. Der Deutsche Literaturfonds fördert die deutschsprachige Gegenwartsliteratur überregional, marktunabhängig und jenseits politischer Vorgaben.

Welche Preise werden heute vom Literaturfonds vergeben?

Wir vergeben den „Großen Preis des Deutschen Literaturfonds“, den „Paul-Celan-Preis für Übersetzung“, den „Kranichsteiner Literaturförderpreis“, das New-York-Stipendium und das London-Stipendium, dazu das „Kranichsteiner Jugendliteratur-Stipendium“.

Wie würden Sie selbst den Stellenwert von Literatur heute bezeichnen?

Sie ist nicht nur eine unverzichtbare und lustvolle Schule des differenzierten Denkens und Sprechens. Sie ist selber so flexibel und vielfältig wie das Leben, erweitert den Horizont und gibt uns die Möglichkeit, auch komplexe gesellschaftliche, soziale und ökonomische Zusammenhänge nachvollziehen, kommunizieren und neu gestalten zu können. Oder wie Brigitte Kronauer es auf den Punkt gebracht hat: „Indem Literatur die grundsätzliche Ambivalenz, Glanz und Hinfälligkeit ihrer Gegenstände in Erinnerung bringt, ihrer Menschen, Leidenschaften, Ideen, ist sie die beste Arznei gegen drei schwere Plagen: gegen Ideologie, Kitsch, Wissenschaftsgläubigkeit. Ein Trost durch Erkenntnis, nicht durch Betäubung.“

Was ist das zentrale Ziel des Fonds heute?

Gute Literatur im weiten Spektrum aller Gattungen zu ermöglichen und zu vermitteln! Die Existenz und die Zukunft von herausragenden Schriftstellern und Schriftstellerinnen zu sichern.

Franziska Altepost

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