Rob van Essen über seinen preisgekrönten Roman „Der gute Sohn" (homunculus) „Das Auto als Quasselstrippe“

Mit seinem Roman Der gute Sohn (homunculus Verlag) gewann der niederländische Autor Rob van Essen (geb. 1963) im vergangenen Jahr den „niederländischen Booker“: den Libris Prijs, einen hochdotierten Preis des Buchhandels für das beste literarische Werk des Vorjahres. Van Essen ist Autor von insgesamt 12 Büchern. Sein Roman wurde in den Niederlanden über 73.000mal verkauft, die deutsche Ausgabe erschien in diesem Jahr und wird am 5. Juni in der neuen Ausgabe des Literarischen Quartetts vorgestellt – Anlass für unser heutiges Autorengespräch.

Rob van Essen vor dem Amsterdamer Rijksmuseum. Hier war zu Beginn dieses Jahrhunderts der Diamantenschädel von Damien Hirst ausgestellt, der im Roman, wie sich im Laufe der Handlung herausstellt, eine wichtige Rolle spielt. Die Hauptperson des Guten Sohnes besucht die Ausstellung, sieht den Schädel und ist davon so schockiert, dass er den Glauben an die Kunst verliert. Und ihn auch nie wiederfindet. „Ich habe den Schädel auch gesehen, und er hat bei mir einen niederschmetternden Eindruck hinterlassen, aber zum Glück habe ich meinen Glauben an die Kunst nicht verloren“, so Autor Rob van Essen

Der gute Sohn ist Roadnovel, Thriller, Dystopie, Science-Fiction und gleichzeitig autobiografisches Zeugnis – wie viel Genre(literatur) steckt alles in allem in Ihrem Buch?

„Der gute Sohn“ /Übersetzt hat Ulrich Faure

Rob van Essen: Ich glaube, diese Auflistung ist recht vollständig: Roadnovel, Science-Fiction, Dystopie, Autobiografisches – alles ist dabei. Ich mag es sehr, in meinen Büchern verschiedene Genres zu vermischen. Ich glaube, dass wir als Leser durch Romane, Film und Fernsehen gut dafür gerüstet sind, dass uns viele Genres vertraut sind, und mir gefällt es, sie alle in einem Roman zusammenzubringen, auch um den Leser zu überraschen. Ich denke, eine der wichtigsten Aufgaben eines Autors ist es, den Leser zu überraschen, damit er nicht ahnt, was auf der nächsten Seite auf ihn zukommt. Darin sehe ich meinen Auftrag als Schriftsteller.

Warum kann sich Ihr Erzähler ausgerechnet einem selbstfahrenden, sprechenden Auto – genaugenommen einer KI – so anvertrauen, wie er es bei keinem Menschen kann?

Das funktioniert gerade in dieser speziellen Situation, denke ich. Während ich die Passagen mit dem Psychiater, dem Therapeuten und dem Erzähler schrieb, wurde mir anhand der fertigen Szenen klar, dass ein Auto all diese intimen Fragen stellen muss. Das geschieht in einem Momentdes absoluten Vertrauens. Ich habe versucht, ein Gleichgewicht herzustellen zwischen der Absurdität der Situation und der Emotionalität des Erzählers. Und das Erzähl-Ich fühlt sich wohl dabei; das Auto ist natürlich als empathisches Wesen programmiert, und das macht schon etwas aus.

Hier liest Rob van Essen den Anfang seines 3. Kapitels:

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Die Mutter Ihres Erzählers leidet an Depression, von der sie letztendlich durch ihre Demenz „geheilt“ wird. Ist das ein vernichtender oder hoffnungsvoller Gedanke?

Das ist vor allem ironisch gemeint. Die Passagen mit der Mutter sind sehr autobiografisch. Ich habe meine Mutter allmählich dement werden sehen. Und sie wurde dabei immer ruhiger und vielleicht auch glücklicher. Aber das ist nur eine Ausnahme. Im Heim, wo sie lebte, wurden Menschen auch immer depressiver, ängstlicher oder aggressiver. Sie war wirklich eine Ausnahme, für sie war die beginnende Demenz eine Art Idealzustand. Ich glaube, meine Mutter wurde glücklicher, weil sie keine Angst mehr haben musste. Sie war geistig nicht mehr in der Lage, um Angst vor dem Tod zu empfinden. Sie hatte ihr ganzes Leben Angst vor dem Tod. Und Angst vor der Hölle. Als das weggefallen war, wurde sie viel ruhiger. Vielleicht kann man sagen,dass sie mehr zu sich fand oder auch weniger, auf jeden Fall war sie glücklicher. Aber: Sie war im Heim eine Ausnahme.

In Ihrer Zukunftsvision ist das Ende der Literatur eingetreten. Woran wäre (oder ist) Ihrer Meinung nach der „Tod der Literatur“ ein zu erkennen?

Der Tod der Literatur – das ist eine ironische Passage, die ich zwischengeschaltet habe, weil mich das als Verfasser des Buches etwas angeht. Und ich beschreibe auch, wie in naher Zukunft immer mehr Menschen schreiben und immer weniger lesen. Die Leute wollen auch immer weniger über andere lesen, sie wollen über sich selbst lesen, über ihre eigenen Abenteuer und Erwartungen. Menschen fühlen sich heute auch schneller beleidigt von dem, was sie lesen, sie wollen keine Sachen lesen, die sie entrüsten. Sie nehmen es dem Autor übel, wenn er ihnen falsche Dinge und Szenen in den Kopf pflanzt. Das halte ich für eine interessante Entwicklung.

Das Buch beschreibt also auch die Emanzipation des Lesers auf eine ironische Weise. Der Leser hat jahre- und jahrhundertelang alles akzeptiert, was der Autor ihm vorgesetzt hat, jetzt aber das Lesen aufgegeben, weil er sich fragt: Will ich das alles in meinem Kopf haben? Das, denke ich, ist das Ende der Literatur.

Hier führt Rob van Essen zu einigen Stellen des Romangeschehens in Amsterdam:

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Der gute Sohn spielt vor allem in der ganz nahen Zukunft. Angenommen, Ihre Zukunftsvision wird wahr: Auf was freuen Sie sich, und worauf könnten Sie verzichten?

Ich würde gern einen Ausflug in so einem Auto machen. Das würde mir gefallen, ein empathischer und therapeutischer Sitz im Auto. Das wär’s. Die anderen Sachen – die Temperatur steigt, das Basiseinkommen ist eingeführt, da habe ich so meine Bedenken, ob wirklich unvermeidlich damit einhergeht, dass jeder damit glücklich wird –, keine Ahnung. Ich sehe nicht völlig schwarz, und ich weiß natürlich, dass Vorhersagen nicht unbedingt eintreten müssen. Es kann alles ganz anders kommen, als ich es beschreibe. Da muss man abwarten, wie es sich entwickelt.

Mit welchem Argument kann der Buchhändler das Buch am besten verkaufen?

Eine solche Kombination von Mutter/Sohn-Geschichte, Road Novel und Dystopie kriegen Sie so schnell nicht wieder.

3 Wörter, die das Buch optimal beschreiben?

Seltsamer anrührender Roadtrip.

Die Fragen stellte Franziska Altepost

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