Das Sonntagsgespräch Dr. Karl-Ludwig von Wendt (Karl Olsberg) über den digitalen Wandel, Self Publisher und seine Skepsis

Dr.Karl-Ludwig von  Wendt (als Autor Karl Olsberg) war Berater bei McKinsey und gründete seine erste Digitalfirma, als Jeff Bezos noch Investmentbanker war. Seitdem hat er „die Höhen und Tiefen der digitalen Revolution aus verschiedenen Perspektiven verfolgt, teilweise mitgestaltet und zehn Jahre lang als Berater verschiedene Handelsunternehmen bei der Digitalisierung begleitet“.

Als Autor und Unternehmer hat er die Branche in den letzten Jahren auch von innen kennengelernt. All das bringt ihn zu der Schlussfolgerung, dass „der digitale Wandel in der Buchbranche immer noch dramatisch unterschätzt wird.“ Diese Bemerkung führte zu diesem Gespräch:

BuchMarkt: Der Buchhandel kennt Sie als Karl Olsberg; Ihr neuer Roman wird am 15.8. bei Aufbau kommen…. Es wirkt manchmal so, als hätten Sie ein wenig Unbehagen bei dieser „klassischen“ Rollenverteilung zwischen Verlag und Autor.

„Die Digitalisierung der Buchbranche ist nicht bewältigt“

Dr. Karl von Wendt: Kein Unbehagen, eher wohl Skepsis, ob das klassische Rollenmodell auf Dauer noch so erhalten bleiben kann. Ich arbeite sehr gerne mit Verlagen zusammen, aber als Selfpulisher habe ich auch Vorteile – vor allem eine viel größere Geschwindigkeit und Flexibilität.

Sie glauben, dass der digitale Wandel in der Branche noch unterschätzt wird? Wurde nicht gerade gemeldet, dass das E-Buch weit hinter den Prognosen herhinkt…?

Digitales Lesen wächst weiter stark. Das Problem ist, dass oft über die falschen Dinge geredet wird. Dass der E-Book-Umsatz stagniert, liegt vor allem an einem starken Preisrückgang, der das Absatzwachstum kompensiert. Dabei sind Flatrates wie Kindle Unlimited, die weiterhin stark wachsen, nicht einmal eingerechnet.

Laut Börsenverein ist der Buchmarkt „Stabil im Medienwandel“…

… aber die Wahrheit ist, dass der Branchenumsatz seit 2010 unter Berücksichtigung der Inflationsrate real um fast 12% gesunken ist. Da in dieser Zeit der Umsatzanteil des E-Books laut Börsenverein von praktisch 0 auf 4,5% gestiegen ist und der Stationärhandel bisher kaum von digitalem Lesen profitiert, muss man schon durch eine sehr rosarote Brille schauen, um da von „stabil“ zu reden.

An anderer Stelle sprachen Sie gar von Augenwischerei…

Ich schätze allen Unkenrufen zum Trotz die Arbeit des Börsenvereins sehr – um Start-ups zum Beispiel kümmert sich der Verband vorbildlich. Aber Selbstberuhigung und Schönfärberei halte ich zumindest für die Diskussion innerhalb der Branche nicht für hilfreich, denn sie verschleiert den tatsächlich vorhandenen dringenden Handlungsbedarf. Die Digitalisierung der Buchbranche ist nicht „bewältigt“, sie hat noch nicht einmal richtig angefangen. Der Kindle wurde in Deutschland vor gerade mal fünf Jahren eingeführt. Glaubt wirklich irgendjemand ernsthaft, dass es das jetzt gewesen ist und wir zur alten Tagesordnung zurückkehren können?

Wo würden Sie denn ansetzen?

Das größte Problem der Branche ist in meinen Augen nicht die Abwanderung der Leser vom gedruckten Buch zum Verlags-E-Book, sondern die Abwanderung der Autoren zu Selfpublishing-Portalen, und hier hat Amazon eine klare Spizenposition. Ich bin „Hybridautor“, der sowohl in Verlagen als auch im Selfpublishing veröffentlicht. Letzteres wird in der Branche nach meiner Beobachtung oft immer noch mit kopfschüttelnder Verwunderung betrachtet, selbst wenn es heute für Verlage zum guten Ton gehört, da auch irgendwie mitzumischen. Dabei sehe ich Selfpublishing mittelfristig als eine ernste Bedrohung des klassischen Verlagsmodells an. Hugh Howey hat gerade vorgerechnet, dass in den USA erfolgreiche Selfpublisher im Durchschnitt mehr verdienen als erfolgreiche Nachwuchsautoren in klassischen Verlagen. Meine eigene Erfahrung bestätigt das.

Inwiefern?

Ich habe in den letzten Jahren mit Selfpublishing viel mehr Bücher verkauft und damit auch weitaus mehr Geld verdient als mit Verlagstiteln. Gedruckte Bücher, wohlgemerkt, nicht „nur“ E-Books. Ich habe in achtzehn Monaten acht Jugendbücher zum Computerspiel Minecraft veröffentlicht – etwas, das in klassischen Verlagen in dieser Frequenz völlig undenkbar wäre. Mancher wird mir vermutlich unterstellen, dass es hier bloß um billige, schlechte Massenware geht – die Bewertungen der Leser und die begeisterten Zuschriften vieler Eltern, deren lesefaule Söhne teils zum ersten Mal freiwillig ein Buch in die Hand nehmen und es gleich mehrfach lesen, sagen allerdings etwas anderes.

Wieso dann immer noch beides – Verlag und Selfpublishing?

Ich muss mir bei jedem neuen Projekt überlegen, ob ich es allein oder mit einem Verlag machen soll, und die Entscheidung ist nicht immer leicht. Als Selfpublisher erreiche ich meine Leser viel direkter, und vor allem bin ich sehr viel schneller. Andererseits erreiche ich über den Verlag auch den stationären Buchhandel – das ist in meinen Augen der größte Pluspunkt. Doch besonders Amazon umgarnt gerade professionelle und semiprofessionelle Autoren, die durchaus die Wahl haben, ob sie ihre Bücher in Verlagen veröffentlichen wollen. 90% meiner Selfpublishing-Bücher habe ich über Amazon verkauft. Es hätten noch wesentlich mehr sein können, wenn ich mich exklusiv an Amazon gebunden hätte.

Welchen Vorteil hätte diese Exklusivität gehabt?

Wäre ich exklusiv bei Amazon, hätte mich die Amazon Marketing-Maschine noch ganz anders „pushen“ können, und meine E-Books wären in der Kindle Unlimited-Flatrate enthalten. Doch ich habe mich auch als Selfpublisher immer um einen zweiten Vertriebsweg (Epubli) bemüht, denn ich habe als Bonnier-Verlagsautor 2014 die negativen Auswirkungen der erdrückenden Amazon-Marktmacht zu spüren bekommen. Ich mag mir gar nicht vorstellen, was passiert, falls Amazon in ein paar Jahren hunderte Stationärfilialen in Deutschland eröffnen sollte und dann viele erfolgreiche Nachwuchsautoren exklusiv dort zu haben sind. Mir liegt sehr viel an der Vielfalt des deutschen Buchmarkts, gerade auch des Stationärbuchhandels. Ich glaube, Verlage sind sich oft gar nicht bewusst, wie eng ihr Schicksal mit dem Erhalt dieser Vielfalt verknüpft ist.

Wie meinen Sie das?

Russell Grandinetti von Amazon hat einmal gesagt: „Im Buchmarkt sind nur zwei Akteure zwingend notwendig – Leser und Autoren. Alle dazwischen haben sowohl Chancen als auch Risiken.“ Was er damit meint: Amazon braucht keine Verlage, um Autoren und Leser zusammenzubringen. Und in einer Welt ohne Stationärhandel – oder mit 2, 3 großen Ketten, die alles dominieren – bräuchte ich als Autor ebenfalls keinen Verlag mehr. Helge Malchow hat einmal gesagt, die Hauptaufgabe von Verlagen sei es, „zu filtern und zu veredeln“. In Richtung Endkunde übernehmen diese Filterfunktion heute in erster Linie soziale Medien – kaum ein Leser weiß noch, in welchem Verlag das Buch erschienen ist, das er gerade liest. Und die Veredelung kann ein Autor über freie Dienstleister auch selbst organisieren. Die einzigen, die den Verlagsfilter wirklich noch brauchen, sind stationäre Buchhändler, vor allem Unabhängige, die sich auf Verlagsmarken verlassen müssen. Und deshalb brauche ich als Autor auch noch einen Verlag, wenn ich die erreichen will. Fällt diese Notwendigkeit weg, werden Verlage – so bitter das klingt – überflüssig.

Wäre das nicht für einen Autor die perfekte Welt?

Nein. Wie gesagt, ich habe schon erlebt, was passiert, wenn ein Beinahe-Monopolist seine Muskeln spielen lässt. Mir liegt als Autor sehr viel an der literarischen Vielfalt, und diese kann nur in einer vielfältigen Handelslandschaft gedeihen, wie wir sie – noch – haben. Das ist auch ein Grund dafür, dass ich mit einem kleinen Team Papego entwickelt habe, eine App, mit der man gedruckte Bücher kostenlos auf dem Smartphone oder Tablet weiterlesen kann. Damit muss sich der Leser vor dem Kauf nicht mehr zwischen gedrucktem Buch und digitalem Lesen entscheiden, denn viele wollen gern beides. Wenn wir das digitale und gedruckte Lesen geschickt miteinander verknüpfen und so das gedruckte Buch stärken, kann es uns gelingen, die bestehenden Strukturen in ihrer Vielfalt zu erhalten. Aber ein Selbstgänger ist das nicht, denn der Buchmarkt ist in meinen Augen alles andere als „stabil“, und die digitale Revolution ist noch lange nicht vorbei – sie fängt gerade erst an.

Glauben Sie ernsthaft, Sie können mit Papego die digitale Revolution aufhalten?

Nein, ganz im Gegenteil. Ich möchte den Nutzen des Digitalen mit dem Analogen verknüpfen und so dafür sorgen, dass die bestehenden Akteure – Leser, Buchhändler und Verlage – alle davon profitieren. Dahinter steckt auch mein Eigeninteresse als Autor. Untersuchungen australischer Wissenschaftler zeigen, dass Menschen beim Gedanken an eine digitale Datei, z.B. ein E-Book, ganz andere Hirnareale aktivieren als bei einem gedruckten Buch. Das führt dazu, dass sie weniger Skrupel haben, ein digitales Buch zu stehlen. Das erklärt auch, warum E-Books immer mehr unter Preisdruck geraten. Im Umkehrschluss heißt das, das gedruckte Buch ist „gefühlt“ viel mehr wert als ein E-Book. Ich würde mir zwar als Autor wünschen, dass die Leser in erster Linie bereit sind, für das Leseerlebnis bezahlen und nicht für die Form, aber das scheint nicht der Fall zu sein.

Warum, glauben Sie, unterschätzt die Branche den digitalen Wandel immer noch?

Bill Gates hat einmal gesagt: „Jede neue Technologie wird in ihren Auswirkungen in zwei Jahren überschätzt, in den Auswirkungen in zehn Jahren aber unterschätzt“. Das liegt daran, dass unser in grauer Vorzeit entwickeltes Gehirn auf lineares Denken ausgerichtet ist, technische Veränderungen aber exponentiell verlaufen. In Vorträgen verwende ich dafür immer gern das Bild eines Säbelzahntigers. In der Steinzeit waren unsere Vorfahren sehr gut in der Lage, einzuschätzen, wie viel Fluchtzeit ihnen noch blieb, wenn so ein Tier aus hundert Metern Entfernung auf sie zu rannte – weil ein Säbelzahntiger sich mehr oder weniger linear bewegt und bei einer konstanten Geschwindigkeit von 10 m/sec nach zehn Sekunden sein Ziel erreicht. Würde er den Gesetzen der digitalen Revolution folgen, sähe seine Bewegung allerdings ganz anders aus: In den ersten fünf Sekunden – der Hälfte der Zeit, die er braucht, um unseren armen Vorfahren zu erreichen – bewegt er sich gerade einmal dreieinhalb Meter weit, aus der Entfernung kaum wahrnehmbar. Doch sein Tempo verdoppelt sich mit jeder Sekunde. Nach acht Sekunden merkt der Steinzeitmensch, dass er ein Problem hat. Nach neun Sekunden – der Säbelzahntiger ist immer noch fünfzig Meter entfernt – reagiert er. Viel zu spät, denn eine Sekunde später trifft ihn das Raubtier mit der Wucht eines Formel-1-Wagens. So ungefähr ist es dem deutschen Versandhandel ergangen, der das Internet lange nicht ernst genommen und bloß als zusätzlichen „Bestellkanal“ angesehen hat, und ich fürchte, auch die Buchbranche unterschätzt den Handlungsbedarf trotz vieler guter Initiativen immer noch.

Ist das auch ein Thema in Ihren Büchern?

Ja, der rapide technische Wandel mit all seinen Problemen bietet mir als Thriller-Autor natürlich viele Möglichkeiten. In meinem neuen Roman „Mirror“ zeige ich ein paar Schattenseiten der ständigen technischen Optimierung unseres Lebens auf. Er ist quasi der Nachfolger zu meinem ersten Buch „Das System“, das heute, nicht einmal neun Jahre nach seinem Erscheinen, bereits hoffnungslos veraltet ist. „Mirror“ erzählt jedoch eine völlig neue und eigenständige Geschichte, sehr viel näher an dem, was bereits technisch möglich ist. Vielleicht sogar allzu nah. Seit November letzten Jahres, als ich mit der Arbeit an dem Roman begann, ist das darin beschriebene Szenario von der realen Entwicklung fast schon eingeholt worden – künstliche Intelligenz ist auch so ein exponentieller Säbelzahntiger. Interessante Zeiten kommen auf uns zu – alllerdings nicht nur auf die Buchbranche.

Die Fragen stellte Christian von Zittwitz. Durch Klick auf das Foto geht es zur Webseite von Karl Olsberg

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