Stellen Sie sich vor, Charles Darwin und Karl Marx hätten sich getroffen „Die Leser werden staunen, welcher Charakter sich da offenbart“

Immer freitags hier in Autorengespräch. Heute mit Ilona Jerger über ihr neues Buch „Und Marx stand still in Darwins Garten“ (Ullstein, ET 11.08.2017):

Ilona Jerger ist am Bodensee aufgewachsen und studierte Germanistik und Politologie in Freiburg. Von 2001 bis 2011 war sie Chefredakteurin der Zeitschrift natur in München. Seither arbeitet sie als freie Journalistin. Als Sachbuchautorin hat sie bei C.H. Beck und Rowohlt veröffentlicht.  Und Marx stand still in Darwins Garten (Ullstein) ist ihr erster Roman. Dies war Anlass für Fragen an die Autorin:

BuchMarkt: Frau Jerger, worum geht es in Ihrem Roman?

Ilona Jerger

Ilona Jerger: Um zwei ältere Herren des 19. Jahrhunderts mit rauschenden Bärten und bei sehr schlechter Gesundheit. Das könnte deprimierend sein, zumal sie auch noch sterben! Ist es aber nicht. Mein Roman handelt von den beiden sehr unterschiedlichen Genies Charles Darwin und Karl Marx. Wobei es mir weniger um ihre Theorien geht als um die Menschen hinter den Werken. Mich hat interessiert: Wie leben sie? Worüber denken sie nach? Wie arbeiten sie? Wen lieben sie? Ich habe versucht, sie erzählerisch zum Leben zu erwecken, so dass der Leser am Ende des Buchs im besten Fall das Gefühl hat, sie zu kennen. Der Leser ist dabei, wenn Darwin im Wohnzimmer Experimente mit Regenwürmern macht oder Marx Milch mit Opium und Brandy trinkt und sich derart verzettelt, dass er über Band I von Das Kapital nicht hinauskommt.

Warum haben Sie gerade Marx und Darwin zusammengeführt?

Weil ich von der Erkenntnis elektrisiert war, dass die beiden zur selben Zeit nur rund 20 Meilen voneinander entfernt gelebt haben und Werke schrieben, die die Welt für immer verändern sollten. Außerdem berühren sich ihre Theorien an einigen Stellen, was im Buch eine Rolle spielt. Marx war glücklich, nachdem er Darwins Buch über die Evolution gelesen hatte. Endlich gab es den naturwissenschaftlichen Beweis, dass sich die Natur aus sich selbst heraus schafft, dass es also keinen Schöpfer mehr braucht. Marx war jeder Tritt gegen die Kirche lieb und teuer, denn er wollte, dass die Menschen um ihr irdisches Glück kämpfen und nicht auf eine Belohnung im Himmel hoffen. Sie sollten für ein gerechtes Leben hinieden auf die Barrikaden gehen und nicht geduldig Armut und Ausbeutung ertragen. Darwin allerdings  war diese Verknüpfung gar nicht recht. Er wollte ausschließlich Naturforscher sein und wehrte sich vehement gegen jegliche politische Vereinnahmung. Zumal er schon genug mit Schuldgefühlen zu kämpfen hatte, er wollte ja ursprünglich Priester werden. Aus diesem Plan wurde nichts, weil er – quasi als Kollateralschaden seiner Naturbeobachtung – den Schöpfer abschaffte und so seinen christlichen Glauben verlor. Diese schuldhafte Verstrickung war für einen zartbesaiteten Mann wie ihn nicht leicht zu verkraften. Und von linken Revolutionären vereinnahmt zu werden, war dem eher konservativen Gentleman ohnehin ein Graus.

Mit welchem Argument kann der Buchhändler das Buch am besten verkaufen?

Es gibt ein brandaktuelles Argument: Gerade warf die türkische Regierung Darwin aus den Lehrplänen. Auch in Polen droht eine Schulreform, die die Evolutionslehre an den Rand drängen will. Von den USA wissen wir ja schon länger, dass fundamentale Christen um ihren Einfluss auf den Biologieunterricht kämpfen. Der Disput in meinem Buch könnte zeitgemäßer kaum sein. Ein weiteres Argument ist sicherlich das Marx-Jahr, denn 2018 wird der 200. Geburtstag von Karl Marx gefeiert, mit Ausstellungen, Artikeln und neuen Büchern. Doch soweit ich weiß,  ist mein Buch das einzig belletristische. Und ein Roman hat ja gegenüber einer Biografie einen immensen Vorteil. Der Schriftsteller darf, was für einen Biografen unlauter wäre: Er beschreibt und analysiert die entsprechende Person nicht nur, er erweckt sie zum Leben, er darf sie reden lassen, sie in Szene setzen. Allerdings habe ich meiner Fantasie, was das betrifft, Grenzen gesetzt, denn ich wollte den realen „Helden“ so nahe wie möglich kommen. Marx spricht so, wie er mir in seinen Briefen und Notizen entgegenkam. Die meisten Leser werden übrigens staunen, welcher Charakter sich da offenbart.

In welchem literarischen Umfeld kann das Buch am besten platziert werden?

Durch Klick aufs Cover geht’s zum Buch

Ich sehe meinen Roman im Umfeld von Büchern wie Und Nietzsche weinte, Die Vermessung der Welt, Das Spinoza-Problem, Das Buch von Blanche und Marie, Zwei Herren am Strand oder der Robert Harris-Trilogie über Cicero – allesamt Bücher, die historische Personen und Stoffe behandeln.

Welche Leserschaft wollen Sie ansprechen?

Menschen, die Bücher mit realen Personen oder einem bestimmten sachlichen Hintergrund mögen – oder sogar lieber mögen als rein fiktionale Romane. Ich spreche auch Leser an, die sich vor Theoriegebäuden wie der Evolutionstheorie fürchten, aber gerne mehr darüber erfahren wollen. Vielleicht sogar lernen möchten, wenn das Wort nicht so pädagogisch klingen würde. Ich hatte große Freude daran, so zu schreiben, dass auch Szenen, die von Philosophie, Religion oder Wissenschaft handeln, leichten Fußes daherkommen, so dass man staunen, lachen und weinen kann. Das Buch spricht sicherlich auch Leser an, die Lust haben, gerade wegen der aktuellen Geschehnise, an der Schnittstelle von Glauben und Wissenschaft zu diskutieren, denn Gott und Wissenschaft müssen sich beileibe nicht ausschließen. Das Buch liefert hierzu eine Menge Stoff.

Was haben Sie selbst gerade gelesen?

Die Geschichte der Bienen von Maja Lunde, Unter Freunden von Amoz Os und Bühlerhöhe von Brigitte Glaser. Davor habe ich die Cicero-Trilogie von Robert Harris verschlungen, der offenbar akribisch historische Quellen auswertet und daraus spannende Romane spinnt. Ich selbst gehöre zu den Lesern, die es gerne mögen, wenn Bücher nicht nur der Fantasie entsprungen sind.

 

 

 

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