Tim Erzberg über sein neues Buch "Totenfels" „Die Corona-Krise hat gezeigt, wozu der gute alte Sortimentsbuchhandel in der Lage ist“

Krimiautor (und Literaturagent) Tim Erzberg auf Helgoland vor der Langen Anna

 

In seinem neuen Roman „Totenfels“ wird ein Blindgänger gefunden und eine ganze Insel evakuiert: Tim Erzberg legt mit seinem Helgoland-Krimi eine erschreckend aktuelle Parabel auf die Corona-Situation vor.

Tim Erzberg, Sie sind ja im realen Leben Literaturagent. Eine ziemlich miserable Planung, ausgerechnet jetzt mit einem neuen Krimi rauszukommen, oder?

Allenfalls Künstlerpech. Die Schließung des stationären Buchhandels konnte ja keiner vorhersehen. Aber für manchen meiner Autoren ist es natürlich auch ein Trost, dass ich nicht nur Kollege, sondern auch Leidensgenosse bin. Ich freue mich jedenfalls für alle, an denen der Lock-down vorübergeht.

Apropos Lock-down. Während wir alle zu Hause bleiben sollen, müssen die Menschen in Ihrem Krimi ihr Zuhause verlassen.

Ja, das ist in der Tat eine bizarre Parallele. Es ist ja nicht so, dass die Helgoländer nicht gewöhnt wären, ihre Insel von Zeit zu Zeit räumen zu müssen. Das kommt tatsächlich immer mal wieder vor. Aber für Nichtinsulaner ist das in solcher Totalität schwer vorstellbar. Zumindest war es das für mich – bis Corona. Plötzlich wird etwas, was man als Fiktion denkt, ganz real. Du darfst nicht sein, wo du möchtest. Die Insulaner dürfen nicht bleiben, wir dürfen nicht weg.

Ein riesiger Blindgänger wird gefunden, der die halbe Insel ins Meer sprengen könnte. Dazu Leichen und viel blutige Vergangenheit. Ist das nicht ein bisschen dick aufgetragen?

Überhaupt nicht! Immer noch und immer wieder werden auf Helgoland Blindgänger gefunden. Es sind ja mehr Bomben auf diese Insel gefallen als auf jeden anderen Flecken des Planeten. Darunter einige der größten Kaliber, die je gebaut wurden. Das Szenario ist alles andere als abseitig. Und die Vergangenheit in der Gegenwart ist ein wichtiges Element in meinen Helgoland-Krimis. Das hat nicht nur damit zu tun, dass ich die Wechselwirkung von Gegenwart und Vergangenheit immer wieder faszinierend finde, es liegt auch in der Natur der Sache, also des Ortes.

Zurück zum Agenten Erzberg alias Thomas Montasser und damit in die Zukunft: Sehen Sie optimistisch oder pessimistisch auf die Entwicklung des Buchmarkts?

Es gibt immer Grund für Optimismus. Die Corona-Krise mit all ihren Härten hat ja gezeigt, wozu der gute alte Sortimentsbuchhandel in der Lage ist. Eine befreundete Buchhändlerin in München hat plötzlich 45 % Neukunden und musste Leute einstellen, um die Bestellungen zu bewältigen. Eine andere Buchhändlerin in NRW berichtet von 700 % Umsatzzuwachs im Onlinegeschäft. Sicher ist auch mit solchen Entwicklungen nicht automatisch mehr Ertrag verbunden, weil das alles hart erkämpft und mit enormen Kosten verbunden ist. Aber es wird etwas von Wert bleiben: neue Stammkunden, ein gestärktes Online-Geschäft … Trotzdem werden etliche unter die Räder kommen, und es ist um jeden einzelnen schade. Aber das Buch wird bleiben, der stationäre Buchhandel, die Verlage, das alles wird bleiben. Ich glaube, dass in dieser Zeit viele Leserinnen und Leser überhaupt das Buch wiederentdeckt haben! Und das kann uns helfen, gestärkt aus der Krise hervorzugehen.

Ist da nicht der Wunsch ein bisschen sehr Vater des Gedanken?

Wenn Sie dringend auf klassisches Wachstum setzen, vielleicht. Wenn es Ihnen darum geht, gute Bücher und einen guten Job zu machen und damit ein anständiges Auskommen für alle Beteiligten zu erzielen, dann sicher nicht. Wir müssen uns eben noch mehr darauf konzentrieren, nur das zu tun, wofür man uns auch braucht. Für die Agenten und Verlage bedeutet das: die interessantesten, spannendsten, reizvollsten und relevantesten Bücher auf den Weg zu bringen, für die Sortimenter, sich auf ihre Beratungs- und Servicekompetenz zu konzentrieren. Unsere Branche hat ja die Besonderheit, dass sie nicht nur einerseits riesig ist, sondern auch sehr kleinteilig. Die Umsätze in der Buchbranche sind immer noch gewaltig, aber gute Geschäfte macht man am Ende mit der attraktivsten Auswahl. Da gilt das Boutique-Konzept.

Das klingt, mit Verlaub, naiv: Der größte Gewinner der Corona-Krise ist doch ganz klar Amazon.

Generell mag das sein. Aber im Buchbereich hat der stationäre Buchhandel dem Riesen gezeigt, was eine Harke ist. Das reine E-Book-Konzept von Amazon ist nicht aufgegangen, viele haben nicht mehr beim Großkonzern aus Seattle bestellt, sondern in der kleinen Buchhandlung um die Ecke. Und die hat auch geliefert. Anders als Amazon. Ich hoffe, dass die Leute auch nach der Krise so klug sind, diesen Gedanken des regionalen Zusammenhalts und des lokalen Handels im Kopf zu behalten. Denn wenn der kleine Buchladen von nebenan erst einmal weg ist, wird kein neuer kommen.

Sonst geht es wie in Ihrem Krimi: Ein Blindgänger kann die ganze Insel ruinieren?

Ohne zu viel zu spoilern: Helgoland steht noch!

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