Das Sonntagsgespräch Detlef Bluhm zur Odyssee des Buches im digitalen Zeitalter

In der kommenden Woche veranstaltet der Landesverband Berlin-Brandenburg zusammen mit dem Bundesbüro Berlin des Börsenvereins den Berliner Fachkongress Homer 3.0 – Die Odyssee des Buches im digitalen Zeitalter [mehr…]. Zwei Tage lang, am 4. und 5. November, soll im Harnack-Haus der Max-Planck-Gesellschaft in Dahlem die Zukunft der Branche ausgelotet werden.

Das war Anlass für Fragen an Detlef Bluhm, den Geschäftsführer des Landesverbands. Er ist mit dem Thema vertraut, hat auch darüber geschrieben und vertritt in seinem Buch Von Autoren, Büchern und Piraten ([Artemis & Winkler die These, dass „Drei Medienrevolutionen … die europäische Geschichte geprägt hätten: Der Übergang von der mündlichen zur schriftlichen Überlieferung, die Entwicklung von der Papyrusrolle zum gebundenen Buch und schließlich Gutenbergs Buchdruck. Inzwischen habe uns die vierte Medienrevolution erreicht, die Digitalisierung.]

Herr Bluhm, die Auswirkung der Digitalisierung auf die Buchbranche wurde auf der vergangenen Frankfurter Buchmesse gelassener diskutiert als noch vor einem Jahr, dennoch

Detlev Bluhm:
„Die vierte Medienrevolution
hat uns erreicht“

war sie eines der großen Themen. Wie haben Sie die Stimmung wahrgenommen?

Detlef Bluhm: Ich habe die Stimmung ganz ähnlich erlebt. Das hat mich aber nicht gewundert. Denn im letzten Jahr war die Vorstellung der Reader Neuland. Endlich konnte man die Geräte sehen, die man aus Amerika nur vom Hörensagen kannte. Das war auch für die Medien ein gefundenes Fressen. In diesem Jahr waren die Diskussionen ruhiger, die anfänglichen großen Hoffnungen auf Umsätze haben sich reduziert.

Aber sie sind nicht verstummt.

Ja, denn die Digitalisierung ist eines der zentralen Themen unserer Branche und ich bin sicher, dass das in den nächsten Jahren so bleiben wird, denn der E-Book-Markt ist in einem gewaltigen Umbruch. Es werden weiter neue Geräte auf den Markt kommen und auch das E-Book wird sich verändern. Wir haben in diesem Herbst das enhanced E-Book erlebt. Das Thema bleibt also auf der Tagesordnung.

Es gab und gibt etliche Seminare und Veranstaltungen über Geschäftsmodelle der Zukunft. Brauchen wir einen weiteren Kongress zu dem Thema?

Als Mitveranstalter sage ich natürlich eindeutig: Ja. Und das aus zwei Gründen: Zum einen mangelt es immer noch an Gelegenheiten, sich über den Tellerrand des eigenen Unternehmens hinaus mit dem Thema zu beschäftigen. Wir könnten noch viel mehr Seminare und Foren brauchen, weil ständig neue Formate erfunden und eingespielt werden, so dass man immer Diskussionsbedarf hat. Und zweitens zeigen die Anmeldungen sehr deutlich, dass der Kongress angenommen wird. Wir werden fast 150 Menschen aus den unterschiedlichsten Unternehmen sein. Damit sind wir an der Kapazität des Raumes angelangt. So viele Teilnehmer hatten wir nicht erwartet, sogar aus dem Städel Museum in Frankfurt haben sich vier Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angekündigt. Das Interesse geht also auch über unsere Branche hinaus. Sie sehen, dieser Kongress hat nicht nur seine Berechtigung, er ist geradezu notwendig.

Wie erklären Sie sich das große Interesse? Was ist das Besondere von Homer 3.0., wie Sie den Kongress nennen?

Wir konzentrieren uns nicht auf ein Thema, sondern behandeln das ganze Spektrum der Auswirkung der Digitalisierung auf unsere Branche. Wir werden in immerhin 25 Vorträgen und Podien, in drei vertiefenden Specials und in zwei Publikumsrunden die Möglichkeit haben, uns über fast alle Themen, die uns derzeit beschäftigen, zu informieren und auszutauschen. So intensiv hat man sich meines Wissens bisher nur auf den Buchtagen mit dem Thema Digitalisierung, seinen Rand- und Begleiterscheinungen befassen können.

Diese Vielfältigkeit war wohl für viele ein Anreiz sich anzumelden. Hier bekommt man einen Überblick über den Stand der Dinge, aber darüber hinaus auch Einblicke in die Zukunft. Es werden auch Modelle präsentiert, die zukunftsträchtig sein können.

Zum Beispiel?

Ich denke da an Jürgen Neffe, der mit seinem Libroid ja in den Medien für Furore gesorgt hat [mehr…]. Er wird sein Modell vorstellen und wir sind gespannt auf die Reaktion der Verlage. Auch pubbles wird wohl für große Aufmerksamkeit sorgen, Thalia wird über den Buchhandel der Zukunft reden, aber das sind nur einige Punkte aus dem umfangreichen Programm.

Wie werden wir denn in Zukunft, sagen wir in 10, 15 Jahren, lesen?

Wir werden selbstverständlich mehr elektronisch lesen. Im Wissenschaftsbereich wird es in ein paar Jahren kaum noch gedruckte Bücher geben. In der Belletristik wird das Lesen in gedruckten Büchern einen hohen Stellenwert behalten. Dazwischen gibt es unterschiedliche Bereiche wie Hobby und Freizeit, in denen das elektronische Lesen viel stärker werden wird.

Auch im Bereich Kinder- und Jugendbuch?

Da wird beides interessant sein. Wir haben ja aus Amerika gehört, dass erstaunlicherweise gerade in diesem Bereich das E-Book hohe Zuwachsraten hat, was wir uns vor einem halben Jahr noch gar nicht vorstellen konnten. Da kann man sehr gespannt sein auf die Entwicklung in Deutschland. Grundsätzlich kann ich mir vorstellen, dass es ein Mischleseverhalten gibt. Die Leser könnten sich, ähnlich wie beim Hörbuch, beide Versionen anschaffen, also eine gedruckte und eine digitale Version.

Gibt es denn dazu bereits Geschäftsmodelle?

Nein, so wie ich es überblicke, gibt es dazu noch keine vernünftigen Angebote. Schon seit geraumer Zeit schlage ich folgendes Modell vor: Der Kunde kauft einen gebunden Roman und bekommt, wenn er denn will, und nicht für 80 Prozent sondern für 10 Prozent des Verkaufspreises, die digitale Version dazu. So hat er einen echten Mehrwert. Damit können sich aber viele noch nicht anfreunden. Es gibt dafür auch noch keine wirklich überzeugenden technischen Lösungen, aber die Firma textunes hat bereits angefangen, die Idee umzusetzen.

Was bedeutet die Digitalisierung für die Buchhandlungen?

Die einen sagen, wozu brauche ich eine stationäre Buchhandlung für ein digitales Produkt? Andere meinen, dass gerade im digitalen Bereich die Unübersichtlichkeit noch viel größer wird. Es kommen immer mehr E-Books auf den Markt, da ist wie im analogen Bereich die sortierende Funktion des Buchhändlers gefragt. Und Buchhändler, auch in kleinen Sortimenten, in denen Beratung großgeschrieben wird, haben eine gute Chance, wenn sie sich auf die digitale Welt einstellen. Allerdings sehe ich bisher nur eine geringe Bereitschaft dazu. Es wäre fatal, wenn das so bliebe.

Wie können sich Buchhandlungen auf die Veränderungen, die Sie voraussagen, vorbereiten?

Buchhändler müssen von sich aus Kompetenz signalisieren. Sie dürfen nicht warten bis der Kunde in den Laden kommt. Das Argument „Da hat noch keiner nach gefragt“ lasse ich nicht gelten. Das kann ja auch bedeuten, er hat woanders danach gefragt. Viele trauen dem stationären Buchhandel die digitale Kompetenz nämlich gar nicht zu. Für alle, die abwarten und erst reagieren, wenn nachgefragt wird, könnte es dann längst zu spät sein.

Und auf welche Umbrüche müssen sich die Verlage einstellen?

Für Verlage ist die Entwicklung nicht so grundsätzlich gefährdend wie für den Buchhandel. Verlage bringen das Buch in einer weiteren Form auf den Markt. Buch und Hörbuch werden um ein zusätzliches Format, das E-Book, ergänzt.

Es kommt also auf allen Ebenen eine spannende Zukunft auf uns zu….

Ja, sowohl bei der Produktion als auch im Vertrieb von Texten. Ich kann mir auch neue literarische Formen vorstellen, die gar nicht mehr gedruckt auf den Markt kommen, andererseits können literarische Formen, die in der digitalen Welt entstehen, später gedruckt werden. In Japan ist das schon seit Jahren beim sogenannten Handy-Roman zu beobachten.

Noch sieht man selten jemanden in der U-Bahn mit einem Reader oder iPad. Wie lange wird es noch dauern, bis ein Lesegerät auf dem Markt ist, das die Bedürfnisse der Nutzer befriedigt und erschwinglich ist?

In Amerika hat der Kindle einen großen Teil vom Markt an sich gerissen und fast monopolartig in relativ kurzer Zeit einen breiten Kreis an Lesern gewonnen. Wir sind in Europa nicht so zukunfts- und technikbegeistert. Wir haben hierzulande noch keinen homogenen Markt. Da will ich keine Prognose abgeben.

Allgemein ist mein Eindruck, dass Leute die professionell oder sehr viel lesen, Reader bevorzugen, weil das professionelle Lesen dabei komfortabler ist.

Ich sehe es einen Hauch differenzierter. Auch Menschen, die privat gerne lesen und alle, die sich in E-Books schnelle Informationen holen wollen, werden Tablet-Computer nutzen. Die Marktentwicklung hängt aber sicher auch von den Preisen ab. Inzwischen werden die ersten Reader für unter 100 Euro angeboten. Davon ist das iPad noch meilenweit entfernt. Aber andererseits war der iPod bei seiner Einführung fast ebenso teuer wie heute das iPad. Die Preise von Readern und Tablet PCs werden sich in den nächsten Jahren stark angleichen.
Die Fragen stellte Margit Lesemann
Zum vorigen Sonntagsgespräch mit Karina Schmidt [mehr…]

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