Das Sonntagsgespräch Daniela Völker über das „vernachlässigte“ Taschenbuch

Dr. Daniela Völker (stellvertretende Presseleiterin der Ratgeberverlage Südwest und Bassermann) hat sich in den letzten Jahren eingehend mit dem Medium Taschenbuch beschäftigt – „auch und gerade, weil dieses bislang in der Wissenschaft vernachlässigt wurde und wenig Material hierzu vorhanden“ sei.

Ihre Dissertation Das Buch für die Massen. Taschenbücher und ihre Verlage erscheint Mitte September im Marburger Tectum Verlag, in der Reihe „Studien zu Literatur und Film der Gegenwart“, die von Prof. Stefan Neuhaus (Universität Koblenz) herausgegeben wird.

Daniela Völker mit ihrer Dissertation
„Das Buch für die Massen. Taschenbücher und ihre Verlage“

BuchMarkt: Wie sind Sie als Ratgeberpressefrau dazu gekommen, sich mit dem Medium Taschenbuch wissenschaftlich zu beschäftigen?

DV: Ich sammle seit vielen Jahren buchwissenschaftliche Literatur, Verlegerbiografien sowie Chroniken über die verschiedensten Verlagshäuser und habe festgestellt, dass es zum Medium Taschenbuch trotz der Allgegenwärtigkeit dieser Medienform keine umfassende und zeitnahe Darstellung des Mediums, seiner Historie und seiner Verlage im deutschsprachigen Raum gibt.

Die zuletzt zurückliegende Dissertation zum Thema stammt von Claudia Leonhardt aus dem Jahr 1982 zur Stellung und zum Einfluss des Taschenbuchs im deutschen Buchmarkt. Daneben gab es einige Veröffentlichungen des Kommunikationswissenschaftlers Patrick Rössler, kleinere und nicht wissenschaftliche Einzelpublikationen („Das Taschenbuchlexikon“) sowie einen Ausstellungsbegleitband („‚Macht unsre Bücher billiger!‘ Die Anfänge des deutschen Taschenbuchs 1946 bis 1963“, Eutin).

Einzelne Darstellungen des Mediums kann man teilweise auch in den Verlagsgeschichten und Chroniken der Verlagshäuser nachlesen, die – wenn vorhanden – zumindest einen Teil der Taschenbuchgeschichte aus Sicht des einzelnen Verlags beleuchten. Aber: Derartige Publikationen existieren nur bedingt; vor allem die belletristischen Unterhaltungsverlage ließen selten ihre Historie publizieren und wurden bislang von wissenschaftlichen Untersuchungen ausgeschlossen.

BuchMarkt: Eine eher stiefmütterliche Behandlung des Mediums Taschenbuch also …

DV: Ja, und nicht nur in der Wissenschaft, auch im Feuilleton und in der Presse spielte das Taschenbuch lange Zeit kaum eine Rolle – was wohl vor allem damit in Zusammenhang zu bringen sein dürfte, dass in den ersten Jahren und Jahrzehnten des Mediums meist solche Titel als Taschenbücher auf den Markt gebracht wurden, die bereits vorher als Hardcover herausgekommen und im Idealfall bei ihrem ersten Erscheinen schon rezensiert worden waren. Mit der Zunahme der Original¬ausgaben im Taschenbuch änderte sich dies: Heute werden natürlich auch zunehmend Taschenbücher in den Medien – und im Feuilleton besprochen.

Auch von den Lesern selbst wurde das Taschenbuch nicht von Anfang an geliebt: Das Taschenbuch galt als Notbuch nach dem Krieg, mit dem man günstig Literatur konsumieren konnte, aber nicht als „richtiges Buch“. Bis zum „beliebtesten Buchformat“, das das Taschenbuch laut einer Studie des Börsenvereins aus dem Jahr 2012 heute darstellt, war es ein langer Weg.

BuchMarkt: Was hat sich für das Taschenbuch neben der Akzeptanz noch verändert?

DV: Einiges! Es werden viel mehr Titel verlegt als zu Beginn des Mediums, wobei in den letzten Jahren dem unendlichen Wachstum ein Ende gesetzt wurde und der Markt stagniert bzw. leicht zurückgeht. Dennoch ist der Taschenbuchmarkt über Jahrzehnte hinweg rasant gestiegen. Je mehr Titel verlegt wurden, desto geringer wurden naturgemäß die Auflagen. Beliefen sich die Auflagen der Taschenbücher bis 1957 auf 50 000 Exemplare, sanken sie 1961 auf 35 000, 1971 auf 15 000 bis 20 000 – ein Wert, der auch für die 1980er-Jahre galt. Heute liegt die durchschnittliche Startauflage von Taschenbüchern bei 10 000 Exemplaren, aber auch 3 000 oder 4 000 und sogar 1 000 Exemplare sind keine Seltenheit mehr.

Inhaltlich betrachtet wurden in den ersten Jahren vor allem literarische und belletristische Titel im Taschenbuch verlegt, mit den Jahren kamen aber auch Sachbücher, Ratgeber, Kinderbücher etc. hinzu. Das Taschenbuch war ursprünglich eine reine Zweitverwertung für die Bücher – die meisten Titel waren Lizenzausgaben, also schon vorher als gebundenes Buch erschienen.

Eine ganze Weile hatte es sich dann am deutschsprachigen Taschenbuchmarkt – in Zeiten des starken Konkurrenzkampfes sowie der Jubiläumsjahre und -aktionen der großen Taschenbuchverlagshäuser – eingebürgert, so genannte Kurzlizenzen für Taschenbücher zu vergeben. So war es den Verlagen möglich, begehrte Texte für einen bestimmten Zeitraum zu publizieren. Deshalb konnten beispielsweise „Der kleine Prinz“ von Antoine de Saint-Excupéry oder „Die Kraft positiven Denkens“ von Norman Vincent Peale für eine gewisse Zeit bei Heyne als Taschenbuchausgabe erscheinen.

Im Laufe der Jahre erschienen dann immer mehr Originaltexte von Anfang an im Taschenbuch – heute hat sich das Verhältnis Lizenz- zu Originalausgaben nahezu angeglichen.

BuchMarkt: Und die Optik?

Da hat sich natürlich auch einiges getan. Das kleine Format, der günstige(re) kartonierte Umschlag, die im Rotationsverfahren bedruckten Seiten sowie die Klebebindung standen für die Grundidee des Taschenbuchs: günstige Bücher, die sich jeder leisten konnte. Mittlerweile haben sich die Zeiten gewandelt – und damit auch einige optische Komponenten.

Blickt man vom heutigen Standpunkt und den heutigen Möglichkeiten auf die Taschenbücher der 1950er- und 1960er-Jahre, waren diese herstellerisch gesehen schlechte Aushängeschilder. Mittlerweile bieten eigentlich alle Taschenbuchreihen Qualität, vom Satz, von der Ausstattung, auch vom Einband her. In allen Punkten hat sich sowohl die Qualität verbessert als auch die Vielfalt vergrößert, auch wenn ein Taschenbuch prinzipiell mit gleichbleibenden Fertigungsmethoden produziert wird. Der Ausstattung der Taschenbücher, aber auch der Vielfalt der Buchformate sind heute kaum mehr Grenzen gesetzt – solange sie für die jeweilige Zielgruppe praktikabel sind; es sei denn – und das gilt für heutige wie für ältere Taschenbuchtitel – ein Taschenbuch ist Bestandteil einer Reihe; dann ist es nicht erwünscht, dass einzelne Bücher „aus der Reihe tanzen“.

BuchMarkt: Apropos Reihe: Da gab es ja auch einige im Taschenbuch …

DV: Ja – und der Verleger Rolf Heyne war der König der Reihen. Wenn er einen Titel unbedingt verlegen wollte, dieser aber (noch) nicht ins Verlagsprogramm passte, dann schüttelte er eine neue Reihe aus dem Ärmel. Und genauso schnell wie sie entstanden, verschwanden diese Reihen wieder, ganz wie es der Markt erforderte. Die Reihen „Bestseller der Weltliteratur“ und „Mensch und Sexualität“ sind heute wohl weitestgehend in Vergessenheit geraten. Eine erste „Taschenbuch-Computer-Reihe“ im Jahr 1986 scheiterte, dafür prägten andere das Heyne-Programm umso stärker: Angefangen bei der „Allgemeinen Reihe“, den „Krimi“-Reihen, der „Heyne Science-Fiction“ über das „Heyne Sachbuch“, die „Heyne Biographien“, „Heyne Fantasy“, „Heyne Horror“ bis hin zu den „Heyne Minis“, den „Heyne Ratgebern“ oder dem „Heyne Kochbuch“, der ersten Taschenbuchreihe, die Kochrezepte herausbrachte.

Die Taschenbuchreihen, die in den Buchhandlungen teilweise komplett – vor allem auch durch den für das Taschenbuch üblichen Fortsetzungsbezug – vorlagen, prägten das Bild des Taschenbuchmarktes bis in die 1980er-Jahre hinein. Aufgrund der weiter steigenden Taschenbuchproduktion und der dann eben doch zunehmenden Unübersichtlichkeit, war schließlich die Sortimenterfunktion des Buchhändlers wieder mehr gefragt, und man löste die Reihen allmählich auf – zugunsten einer Organisation und Präsentation nach Sach-/Warengruppen.

BuchMarkt: Was lässt sich über die Taschenbuchpreise sagen?

An die 1,50 DM, die beispielsweise die rororo-Taschenbücher 1950 gekostet haben, kommen wir heute nicht mehr heran. Dennoch bleiben Taschenbücher trotzdem nach wie vor günstiger als gebundene oder Paperback-Ausgaben. Die einzige Buchform, die günstiger sein kann als das Taschenbuch, ist das E-Book – allerdings hängt der Preis des E-Books bei vielen Verlagen mit dem Preis der jeweils günstigsten lieferbaren gedruckten Ausgabe – in diesem Fall dann das Taschenbuch – zusammen.

BuchMarkt: Was hat sie bei Ihren Recherchen und Ihrer Arbeit überrascht?

Dass Rowohlt nicht der erste deutschsprachige Verlag nach dem Zweiten Weltkrieg war, der Taschenbücher verlegte. Denn bereits in den 1920-/1930-er Jahren gab es andere – wie beispielsweise Goldmann und Scherz –, und auch nach 1945 kamen ihm einige wenige Verlage zuvor. Zu diesen zählten beispielsweise die österreichischen „Bären-Bücher“ (Demokratische Druck- und Verlagsgesellschaft, ab 1949) oder die „Salamander-Bücher“ (Deutschland und Schweiz, ab 1949). Auch der Scherz Verlag (mit Sitz in Bern), der heute im Holtzbrinck-Konzern zu den Fischer-Verlagen gehört, publizierte weiterhin – und das schließt die letzten Kriegs- und die ersten Nachkriegsjahre mit ein – Taschenbücher. Das war möglich, weil die Verleger in Österreich und der Schweiz nicht an die strenge Lizensierungspolitik gebunden waren und sie so schneller wieder (Taschen)Bücher verlegen konnten.

Aber auch unter den deutschen Verlegern gab es nach 1945 andere, die die Taschenbuchidee bereits vor Rowohlt verwirklichten: Hierzu gehörte beispielsweise der Piper Verlag, dessen „Piper-Bücherei“, die ab 1946 (bis 1966) erschien, durchaus als Taschenbuchreihe gelten kann. Aber auch der Lux-Verlag aus Murnau („Orion-Bücher“) und der Lehrmittelverlag aus Offenbach und Mainz („Klassikerreihe“) publizierten unter Genehmigung der jeweiligen Besatzungsmacht schon im Jahr 1947 Taschenbücher.

BuchMarkt: Welche Verlage haben Sie untersucht?

Über 66 deutschsprachige Taschenbuchverlage (ausgenommen waren reine Kindertaschenbuchverlage sowie – bis auf die Ausnahme Aufbau Verlag – Verlage der DDR) – chronologisch nach dem Jahr sortiert, in dem der jeweilige Verlag das erste Mal Taschenbücher verlegt hat. Das war gar nicht immer so leicht herauszufinden. Blanvalet beispielsweise verlegte bereits 1954 Taschenbücher: Zwei Titel erschienen in der neu gegründeten Reihe „Blanvalet Sport-Taschenbücher“. Der erste Titel beschäftigte sich „mit der gewonnenen Fußball-Weltmeisterschaft“ und lautete „Wie wir Weltmeister wurden. Kampf und Sieg der deutschen Fußball-Nationalelf“. Nach einem zweiten Band über das Autorennen wurde die Serie allerdings mangels Erfolg wieder eingestellt.

Bis zu einem erneuten Vorstoß des Blanvalet Verlags auf dem Taschenbuchmarkt sollten 44 Jahre vergehen: Erst 1998 wagte man sich dann wieder an die Publikationsform Taschenbuch heran. Neben den großen Taschenbuchverlagen wie dtv, Suhrkamp, Insel, Blanvalet, Diogenes, Heyne, Goldmann, Droemer etc. finden sich auch viele kleine Taschenbuchverlage (und Taschenbuchreihen), die heute nicht mehr existieren und teilweise in Vergessenheit geraten sind: Lehning, Schaffer, Alsatia, Haffmans, Limpert sowie Buchfink sind nur einige der untersuchten Verlage.

BuchMarkt: Wie sind Sie an das aufgearbeitete Material gekommen?

DV: Mich haben viele Kollegen aus den einzelnen Verlagshäusern, aber auch Archive etc. unterstützt, denen ich an dieser Stelle noch einmal sehr herzlich danken möchte. Interessant waren für mich auch Sammlerforen im Internet wie www.trivialitas.de, ohne die meine Arbeit in der vorliegenden Form sicher nicht möglich gewesen wäre.

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