Bildgewaltig neuerzählt Arne Jysch: „Graphic Novels, die auf bestehenden Texten basieren, haben es im Buchhandel leichter“

Die Recherche zeigt es schnell: Wer nach Graphic Novels sucht, die dezidiert eine Kriminalgeschichte  oder einen Thriller zur Vorlage haben, bewegt sich auf einigermaßen dünnem Terrain. Da ist noch viel Luft nach oben, und den Verlagen lässt sich dabei nur raten, sich des Beispiels der Gereon-Rath-Reihe (KiWi) von Volker Kutscher zu bedienen. Dank der TV-Serie „Babylon Berlin“ ist  Kutschers Der nasse Fisch derzeit wieder in aller Munde.

Arne Jyschs Umsetzung des Textes als Graphic Novel ist dabei der geniale Zwischenschritt zwischen reinem Text und bewegten Bildern.  Carsten Tergast gibt im aktuellen BuchMarkt (ab Seite 48) einen Überblick darüber, was sich auf dem Markt im Bereich Krimi dazu finden lässt und sprach für unser Sonntagsgespräch mit dem Autor zu seiner Graphic Novel-Umsetzung des Nassen Fisches und seiner Einschätzung, ob und wieso Graphic Novels, die auf bestehenden Texten basieren, es im Buchhandel leichter haben:

Carsten Tergast: Herr Jysch, wie ist der Kontakt zwischen Volker Kutscher und Ihnen zustande gekommen? Wer hatte die Idee zur Graphic Novel-Umsetzung des „Nassen Fisches“?

Arne Jysch

Arne Jysch: Es war 2008, als ich eine Rezension zu „Der nasse Fisch“ im Radio hörte. Ich dachte: „Wow, jetzt gibt es so etwas!“ Ich besorgte mir sofort das Buch und habe zu Volker Kutscher Kontakt aufgenommen. Damals war ich – etwas größenwahnsinnig – von der Idee ausgegangen, den Stoff als Regisseur zu verfilmen. Aus dem Grund hatte ich schon Illustrationen für einzelne Szenen entworfen und Volker geschickt. 2009 haben wir uns dann in Köln getroffen. Nachdem meine Filmkarriere nicht in Fahrt kam erschien 2012 meine erste Graphic Novel „Wave and Smile“ und erregte einige Aufmerksamkeit. Während der Arbeit an „Wave and Smile“ haben Volker und ich uns gelegentlich getroffen, wenn er in Berlin war. Er ist begeisterter Comicleser und mochte meine Zeichnungen und meine Art zu erzählen. Als Ralf Kaiser, der damalige Programmchef der Comicredaktion bei Carlsen und selbst Fan der Kutscher Romane, nach meinem nächsten Projekt fragte, wurde „Der nasse Fisch“ zu meiner zweiten Graphic Novel auserkoren. Das war 2013 und kam mir sehr entgegen, denn nach meiner Erfahrung als alleiniger Autor von „Wave and Smile“ wollte ich jetzt lieber nach einer Vorlage arbeiten, damit ich mich mehr auf meine Fähigkeiten als Zeichner und Erzähler konzentrieren konnte.

Welche Aspekte des Textes waren Ihnen bei der graphischen Umsetzung besonders wichtig?

Es war vor allem Volkers Art, Szenen im Kopf des Lesers bildhaft entstehen zu lassen. Volker scheut sich nicht, bestimmte Genremomente in Szene zu setzen, die mich an alte Filmklassiker von Hitchcock, an James Bond oder Comics wie Tim und Struppi erinnern und verbindet diese mit unglaublich genau recherchiertem Realismus. Das spricht mich sehr an. Außerdem hat „Der nasse Fisch“ eine fantastische Dramaturgie mit mindestens zwei überraschenden Wendepunkten. Die Idee mit der vertauschten Patrone, mit der Rath einerseits seine Taten vertuscht, andererseits den eigentlichen Bösewicht entlarvt, ihn aber nicht überführen kann, weil Rath seine eigene Schuld zugeben müsste, ist einfach genial. Damit sich Rath „nicht nur“ vor dem Gesetz verantworten muss, habe ich seinen Vater als über ihm schwebende moralische Instanz noch stärker herausgearbeitet. Um diese Ideen, diesen Kernkonflikt herum, habe ich die gekürzte Version der Geschichte für den Comic aufgebaut. Es gibt da diese Szene beim Abendessen, die ich fast eins zu eins aus dem Roman übernommen habe: Die beiden Kontrahenten sitzen am Tisch, jeder scheint zu ahnen, was der andere im Schilde führt, es geht um Leben und Tod, aber es bleibt unausgesprochen, die Spannung liegt in der Luft. Diese Szene ist Dreh und Angelpunkt der Dramaturgie, und viele Erzählstränge arbeiten eigentlich nur daraufhin.

 Gab es Stellen, die Sie gerne umgesetzt hätten, die sich aber als zu schwierig erwiesen?

Volker schafft es auf raffinierte Weise, die Geschichte aus verschiedenen Perspektiven zu erzählen. Bei manchen Kapiteln weiß man als Leser erst gar nicht, wessen Gedanken wir überhaupt hören. Erst später fügt sich das Puzzleteil ein und erklärt sich. Das ist im Roman reizvoll, aber sehr schwierig in ein visuelles Medium zu übersetzen. Ich habe es versucht, aber die Stellen haben wir in der Skizzenfassung des Comics wieder geändert. Es hat nicht gut funktioniert, und es ist am Ende fast ausschließlich bei Gereon Raths Erzählperspektive geblieben. Der Roman beginnt ja beispielsweise mit der Gedankenwelt einer unbekannten Person, die eine Zyankalikapsel schluckt, um ein Geheimnis unter Folter nicht preiszugeben. Diese Szene gibt es im Comic nicht.

Welche Rolle spielte Volker Kutscher bei der Graphic Novel? War er während des Entstehungsprozesses in irgendeiner Form beteiligt?

Außer einer beratenden Funktion und der Freigabe, mir meine Version erschaffen zu dürfen, war er zunächst nicht beteiligt. Er sagte: „Nimm dir deine Lieblingsszenen und stricke es drum herum.“ Ich habe ihm das Szenario, also die schriftliche Vorabfassung des Comics geschickt und seine kleinen Korrekturwünsche umgesetzt. Auch Entwürfe der Figuren habe ich ihm vorgelegt und absegnen lassen. Später zeigte ich ihm die komplette 200seitige Skizzenfassung aber dazu hatte er wenige Anmerkungen.

 Lesen Sie generell Romane „graphisch“? Soll heißen: denken Sie häufig beim Lesen eine mögliche bildliche Umsetzung mit? Oder passiert das einfach zufällig bei bestimmten Texten?

Es war schon immer so, dass mir Romane gut gefallen haben, die sofort Filmszenen im Kopf entstehen lassen, Romane also, die man fast wie ein Drehbuch lesen kann. Wenn mir das in der Fantasie gelang oder ich tatsächlich bei Romanverfilmungen die Szenen sah, war das wie die Krönung des Erlebnisses für mich. Das hat sich mittlerweile geändert. Inzwischen genieße ich das Leseerlebnis für sich und kann Freude an schön formulierten Texten empfinden und daran, wie die Figuren einer Geschichte im Kopf lebendig werden. Die Situationen im Roman stelle ich mir gerne als real vor – mit allen Sinnen wahrgenommen, nicht nur bestehend aus guten Bildkompositionen oder dynamischen Bildfolgen.

 Glauben Sie, dass Graphic Novels, die auf bereits bestehenden Texten basieren, es beim Leser / im Buchhandel leichter haben?

Das kann ich nur mit „ja“ beantworten. Zumindest bei Vorlagen, die so populär sind, wie die Gereon Rath Romane. Tatsächlich haben Buchhandlungen die Graphic Novel „Der nasse Fisch“ in ihr Programm aufgenommen, die bis dato keine Comics verkaufen wollten. Auch Volker Kutscher berichtet solche Erfahrungen von seinen Lesungen, bei denen er den Comic mit auf den Bücherverkaufstisch legen lässt. Einige Buchhändler sind immer noch skeptisch gegenüber dem Medium, aber wenn die Graphic Novel dort neben den Romanen auf dem Tisch liegt, findet sie reißenden Absatz und erreicht eine Leserschaft über das übliche Comicpublikum hinaus. Das soll nicht heißen, dass Graphic Novels mit einer Originalgeschichte sich nicht auch gut verkaufen können, aber die Türen gehen leichter auf mit einem Synergieeffekt. Ähnlich erlebt es ja Reinhard Kleist mit seinen biografischen Büchern, die mitunter durch den Bekanntheitsgrad der portraitierten Musiker viel Aufmerksamkeit bekommen.

Abschließend die wichtigste Frage für alle Fans: Wann dürfen wir uns auf die Graphic Novel des zweiten Rath-Krimis, „Der stumme Tod“, freuen?

Leider ist eine Fortsetzung nicht in Planung, da ich nach der brotlosen Arbeit am ersten Buch erstmal meine finanzielle Situation wieder aufbessern muss. Aber wenn sich Der nasse Fisch weiter so gut verkauft, darf man vielleicht auf Der stumme Tod in etwa drei Jahren hoffen. Lust hätte ich jedenfalls. Und Volker Kutscher hat auch schon danach gefragt.

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