Veranstaltungen Zum Abschluss von literaTurm in Frankfurt: Martin Walser und Jakob Augstein

Am Sonntag Abend ging das einwöchige Festival literaTurm, das in diesem Jahr unter dem Titel Biografie! stand, in der Evangelischen Akademie Frankfurt mit einem Dialog zwischen Martin Walser und Jakob Augstein zu Ende. Beide – Vater (91) und Sohn (50) – trugen Auszüge aus dem Buch Das Leben wortwörtlich, 2017 bei Rowohlt erschienen, vor.

Festival- und Programmleiterin Sonja Vandenrath begrüßte zunächst die zahlreichen Gäste im Saal und bedankte sich bei ihrem Team.

Walser begann etwas verärgert mit der Feststellung, dass er seit 14 Uhr in Frankfurt warte, Augstein jedoch erst 19 Uhr aus London angereist und zum Veranstaltungsort geeilt sei. Augstein begründete die Verspätung; es habe eine Gewitterwarnung gegeben.

Das erste Thema waren die Frauen. Ein Zirkusmädchen spielte im Leben beider Männer wohl früh eine Rolle. Sie kamen auch auf die Pubertät zu sprechen, die Walser als „Zeit der höchsten Empfindlichkeit“ bezeichnete. Sie sei kein bisschen Erfüllung, sondern reines Leid. Walser führte die Alterspubertät an, über die Goethe mit Eckermann gesprochen habe. In Ein liebender Mann schildert Walser die schmerzliche Beziehung des 73-jährigen Dichters zur 19-jährigen Ulrike von Levetzow. „Die Kritiker reagierten zuversichtlich“, sagte er mit einem spöttischen Lächeln. Zum Stichwort Pubertät ergänzte der Autor: „Reifung bedeutet vor allem Verlust.“ Das Kindliche im Menschen müsse jedoch gerettet werden.

Nächstes Thema: Sex. „Sex ist nichts für die Literatur“, sagte Walser, „die Liebe der Körper ist nichts, wenn die Poesie fehlt.“ Jakob Augstein führte ein Zitat Walsers aus dem Jahr 1958 an, in dem ziemlich abschätzig Frauen gegenüber geurteilt wird. Die Worte verursachten Gemurmel im Saal. „Das kommt mir nicht bekannt vor, ich würde mich am liebsten davon distanzieren“, sagte der Schriftsteller.

Beide Pole des Denkmöglichen seien Walser durch Goethe und Jean Paul gezeichnet worden, ergänzte er.

Augstein spielt auf Walser-Bücher an: Jenseits der Liebe, Liebeserklärungen, Der Lebenslauf der Liebe, Der Augenblick der Liebe, Ein liebender Mann. „Die Titel klingen groschenromanhaft“, bemerkte Augstein. „Mit Titeln habe ich recht wenig zu tun. Mich erreicht deine Ansicht nicht“, sagte Walser auf die provozierende Bemerkung. Außerdem sei die Wirklichkeit des Lebens eine dauernde Provokation.

Jakob Augstein kam zu einer Passage, in der sich Martin Walser auf Augsteins Feststellung: „Martin, du bist vier Tage in Edinburgh und verliebst dich in zwei Frauen“, äußerte: Er gebe zu, dass er eine gewisse Verpflichtung empfand, sich einer Frau, die ihn verführen wollte, auf geschlechtlichem Wege dankbar zu erweisen. Diese Zeilen irritieren.

Über politisches Engagement von Schriftstellern sagte Walser: „Ich habe Engagement nie für ein Pflichtfach des Schriftstellers gehalten.“ Er selbst sei „kein politischer Schriftsteller, sondern ein mitfühlender Zeitgenosse“.

Vater und Sohn sprachen außerdem über Deutschland und über Auschwitz. „Auschwitz und die Teilung Deutschlands haben keine gemeinsame Kategorie. Auschwitz ist mit der Überwindung der Teilung nicht gesühnt“, erklärte Walser. Und weiter: „Die Ära Kohl halte ich für die gelungenste deutsche Epoche nach dem Zweiten Weltkrieg, denn Kohl überwand die Teilung.“

Die Zuhörer konnten sich ein Bild von dem zwölf Gespräche zwischen Vater und Sohn enthaltenden Buch machen, es anschließend erwerben und signieren lassen. Diese Gelegenheit nutzten viele.

JF

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