Kein & Aber-Verleger Peter Haag über seinen persönlichen KNV-Schock – und wie ein Insolvenzverwalter seine Vorstellung von Systemrelevanz für die Branche auf den Kopf stellte Wie ich vom Verleger zum Gläubiger wurde: Die Logik der Logistik

Kein & Aber-Verleger Peter Haag: Stimmt es, dass es „so weit kommt,  wenn Verlage immer mehr Leistung verlangen für immer weniger Geld“?

Peter Haag ist Verleger des Schweizer Kein & Aber-Verlags, der als KNV-Auslieferungsverlag direkter Betroffener der Insolvenz von KNV war. Hier beschreibt Haag, wie er die Nachricht von der Insolvenz aufgenommen hat und wie er im Verlauf mit der Erkenntnis zu hadern hatte, dass offenbar nicht Verlage, AutorInnen und Buchhandlungen „systemrelevant“ sind, sondern allein die Logistik. Der Artikel ist in der Oktoberausgabe von BuchMarkt erschienen (S. 20):

Manche Anrufe kommen so früh am Morgen, dass man gleich weiß, sie verheißen nichts Gutes. So war es dann auch am 14. Februar 2019, als mich die Chefin des Kundendienstes darüber informierte, dass KNV gerade Insolvenz angemeldet habe. Nachdem ich mich aus meiner anfänglichen Schockstarre gelöst und meiner Verwunderung Ausdruck verliehen hatte, schob sie hinterher: „So weit kommt es eben, wenn Verlage immer mehr Leistung verlangen für immer weniger Geld.“

Seltsam, rätselte ich in mich hinein, dabei steigen unsere Auslieferungskosten doch im Gegenteil durch einen einseitig eingebauten Automatismus stetig an. Aber geschenkt, galt es ja vielmehr, sich erst einmal nach dem Befinden der KNV-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter zu erkundigen, so dachte ich, schließlich waren sie die Leidtragenden an vorderster Front.

Auf meine Anteilnahme erwiderte die Kundendienstchefin: „Und wer denkt an mich?“ Dieser Einwand hatte natürlich ebenso seine Berechtigung, denn immerhin ist sie mit einem der Geschäftsführer von KNV verheiratet und damit sozusagen im „Klumpenrisiko“, ähnlich vielleicht wie jene Verlage, die zum Beispiel exklusiv über KNV ausliefern lassen.

Nun also sollte das zack, zack vorbei sein, finito la commedia, und dabei hatte doch alles erst kürzlich so vielversprechend angefangen: Europas größte Buchauslieferung sollte es werden, die Premiumklasse.

Ich war von Anfang an ein absoluter Befürworter der Stuttgarter Pläne für eine zentrale, moderne Logistik, bin es sogar immer noch. Es wollte mir nämlich nie richtig einleuchten, warum wir als Auslieferungsverlag täglich Bücher über den Hof an die Schwesterfirma, das Barsortiment, lieferten, wo diese Bücher in einem Zwillingsgebäude unter gleicher Firmenbeschriftung erneut eingelagert wurden.

Auch bekam ich als Verleger jedes Mal ein recht mulmiges Gefühl beim Abschreiten der vollen Lagergänge, welche sich einem, bedingt durch das Mandantenprinzip, wirkungsmächtig geballt präsentierten. Mir wurde mal berichtet, der vielleicht berühmteste deutsche Verleger hätte beim Anblick seiner Lagermassen beinahe einen Herzkaspar bekommen. Soweit wollte ich es auf keinen Fall kommen lassen.

So oder so, die Pläne für die neue Logistik waren ganz bestimmt richtig und auch zeitgemäß. Als es dann soweit war, wunderte ich mich zwar, wie viele Kollegen, darüber, warum der Umzug ausgerechnet in die so betriebsame Weihnachtszeit gelegt worden war, aber diese Entscheidung wurde ja von Logistikprofis gefällt, was hieß, es mussten wichtige Überlegungen dahintergesteckt haben.

Für unseren Vertrieb war das dennoch keine besonders besinnliche Zeit; dauernd riefen erboste Buchhändlerinnen und Buchhändler bei uns an und reklamierten, sie hätten etwa anstatt der bestellten zehn Elif Shafaks just einhundert Gerhard Polts ausgepackt. Aber das ging vorbei, wir konnten die Kunden beruhigen, schickten großzügig Freiexemplare raus, und irgendwie wohnt ja jedem Anfang auch ein gewisser Zauber inne.

Und jetzt, gerade mal zwei Jahre später, das – die schöne Zukunft ein Scherbenhaufen. Und die Vergangenheit – sie holte einen obendrauf in Form hoher unbezahlter BS-Rechnungen ein (bedauerlicherweise stammten auch die wieder aus der betriebsamen Weihnachtszeit).
Sofort liefen die Buschtelefone unter den Verlagskollegen heiß, und wie früher beim Quartettspiel verglich man untereinander die OP-Salden. Nicht zuletzt, um sich auch ein bisschen an dem Gedanken zu wärmen, dass man nicht der einzige Verlierer sei – getreu dem alten Trost-Motto „Geteiltes Leid ist halbes Leid“.

Viele praktische Fragen standen plötzlich im Raum: Wie soll es jetzt überhaupt weitergehen, wie kommt der Buchhandel an unsere Bücher, was passiert mit den offenen Rechnungen, wie bekommen wir die gelieferten und noch unverkauften Bücher wieder zurück, können Auslieferungsverlage überhaupt noch Bücher ausliefern oder ist das jetzt ein Schnitt durch die Aorta eines KNV-Auslieferungsverlags, wie wir einer sind? Eigentlich alles ziemlich existenzielle Fragen für Verlage, die exklusiv und unverschuldet einer solchen Situation ausgeliefert sind. Aber vielleicht hatte die Kundenberaterin ja recht, und wir Verlage sind tatsächlich an diesem Zusammenbruch selbst schuld, weil wir zu lange die Auslieferung geknechtet haben, ausgebeutet für billiges Geld.

Ich gebe zu, meine Wahrnehmung war bislang eine etwas andere, verortete ich das Verkaufs- und Produktionsrisiko unseres Handelsguts „Bücher“ doch eindeutig beim Verlag – und auch für Dienstleistungen, wie zum Beispiel die Auslieferungsgebühren, wurde und wird uns eine Rechnung geschickt.

Aber ein Schelm, der nun an die Verlage denkt, schließlich ist KNV in Gefahr, die Premiumauslieferung. Wo aber Gefahr ist, wächst bekanntlich das Rettende, und eben dafür gibt es im deutschen Recht die segensreiche Einrichtung für solcherlei brenzlige Situationen: den Insolvenzverwalter. In unserem Fall trat sogar ein brutal starker Insolvenzverwalter in Erscheinung, ausgestattet mit der alleinigen Lizenz zur Entscheidung.

Augenblicklich wurde daher in der Branche zur Solidarität aufgerufen, jetzt galt es zusammenzustehen, Flagge zu zeigen: eine Auslieferung, eine Branche, ein Insolvenzverwalter. Systemrelevanz hieß das Schlagwort der schweren Stunde. Wir lernten, nicht gute und verkäufliche Autoren, findige Verleger oder kenntnisreiche Buchhändler sind relevant für unser Buchsystem, sondern vor allem die Organisation. Klar, ohne Rangierbahnhof keine Züge, eigentlich nur logisch.

Auch ich wollte deshalb dabei sein und zuhören, sobald der Insolvenzverwalter in unsere Stadt käme, um zu berichten, was uns erwarten würde. Zusammen mit rund sechzig unterschiedlich geprellten Verlagskolleginnen und -kollegen lauschte ich dann aufmerksam dem soldatisch schnittigen Herrn, was das deutsche Insolvenzrecht von uns verlangt. Und damit wir uns keine falschen Hoffnungen machten, sagte er gleich zu Beginn, dass die Verlage auch im Konzert der Gläubiger gar nicht wichtig seien. Mit nurmehr 45 Millionen Verlagsschulden entspreche das nur einem Bruchteil der gesamten Schuldensumme. Von daher würde man sicher verstehen, dass für Verlage kein Platz im Gläubigerausschuss sei – man könne sich dort nicht mit Kinkerlitzchen aufhalten, es gehe um Größeres.

Die Autorinnen und Autoren, die ja ihres Geldes auch verlustig gingen, erwähnte er lieber gar nicht, aber die sind natürlich ebenso wenig systemrelevant, auch wieder logisch. Und mittels Flipchart bekamen wir ja tatsächlich genau aufgezeigt, was als nächstes passieren würde und wie ein Käufer für das KNV-System (Auslieferung und Barsortiment) gesucht und gefunden werden sollte. Ob das gelinge, wisse man selbstverständlich nicht, aber so lange könne man auf Verlage, die eventuell beabsichtigten, ihr künftiges Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen, keine Rücksicht nehmen. Mitgegangen, mitgefangen, hieß die Devise.

Als verantwortungsvoller Chef überlegte ich bereits, wie ich meinen Mitarbeitern erklären könnte, dass wir vielleicht gerade auf die Wand zuflogen, ohne dass es uns erlaubt war, abzudrehen. Jetzt bestimmte allein der Insolvenzverwalter die Richtung, nur er war ermächtigt, über das Schicksal von uns, den involvierten Auslieferungsverlage, zu entscheiden.

Wir mochten pekuniär unwichtig sein, aber als Substanz-Mitgift einer Verlagsauslieferung, die für die Brautschau geschmückt wurde, fanden wir dann doch noch unsere kleine Rolle.

Es kamen bei dieser Zusammenkunft noch einige Fragen aus dem interessierten Publikum, wie die, ob es denn vielleicht schon Erkenntnisse bezüglich der Verantwortung für die Insolvenz gebe? Doch der Insolvenzverwalter winkte müde ab und sagte, das gehöre jetzt gar nicht hierher. Mit viel neuem Wissen im Kopf, vor allem aber deutlich eines Besseren belehrt, gingen wir nach zwei Stunden ebenfalls erschöpft nach Hause.

Mir wurde damals klar, ab jetzt ist Zusammenhalten angesagt, wir müssen für eine gemeinsame gute Zukunft einstehen und das unfreiwillig in Not geratene Unternehmen KNV retten.

Also fing für uns im Verlag banges Warten und Daumendrücken an. Wie die Bescheuerten drückten wir solidarisch alle unsere Daumen.

Bis der Geschäftsführer von KNV erneut anrief und abermals meinte, das allein würde leider noch nicht ausreichen – es wäre angesichts der für KNV doch sehr schwierigen Situation allemal hilfreicher, wenn wir Verlage zugleich noch die Konditionen für das Barsortiment und gerne auch für die Auslieferung so verbessern könnten, dass das vom potentiellen Käufer als zusätzlicher Willkommensgruß verstanden werden könne: Nicht auszudenken, räsonierte der Geschäftsführer weiter, was das für den Verlag bedeuten könne, wenn wegen seiner Weigerung leider kein einziger Käufer anbeiße. Auch wieder wahr, dachte ich, allerdings sind die Verlagsmargen mittlerweile schon so dünn, letztlich liefe es wohl nur darauf raus, sich mit sich selbst auf die Methode zu einigen, mit der man sich lieber umzubringen gedenkt.

Doch dann, nach angstklammen Monaten, die Meldung: KNV ist gerettet! Gerettet, weil: Ein Käufer ist gefunden, Halleluja!

Ein hörbar entspannter Geschäftsführer ruft mich an, erzählt mir beschwingt, dass auch für ihn die Sache sehr positiv ausgegangen sei, werde er doch der Geschäftsführer der neuen Verlagsauslieferung und ab sofort auch noch der des neuen Barsortiments sein. Frohgemut macht er uns sogleich ein Angebot. Es ist ja so, führt er aus, dass der Insolvenzverwalter seinerseits – er solle mich übrigens schön grüßen von ihm –, unseren Auslieferungsvertrag jederzeit kündigen könne. Also er könnte, wenn er wollte, aber das will er natürlich gar nicht. Sondern uns lediglich vorschlagen, dass – wenn wir auf der Stelle einem neuen Auslieferungsvertrag zustimmen würden – mit Hilfe von ein bisschen deutlich besseren Konditionen für die Auslieferung –, dann also könnte der Insolvenzverwalter mit seinem Zauberwort „Masseverbindlichkeit“ dafür garantieren, dass unser Vertrag sicher übernommen werde. Sonst aber könnte es sein, dass wir innerhalb von zwei Wochen keine Auslieferung mehr hätten. (Ich habe schon seit einiger Zeit einen ungeklärten Schmerz im rechten Arm, bin jedoch überzeugt, dass der keineswegs davon kommt, dass mir jemand versucht hätte, den Arm kräftig auf den Rücken zu drehen. Wer denn? Ich sitze ja ständig am Schreibtisch.)

Da ich Schmerzen schon gewöhnt war, entschloss ich mich zur unveränderten Vertragsübertragung – und, oh Wunder und welch Glück, man hat sich in der Tat unseres Verlags erbarmt, und wir dürfen mit in die neue tolle Auslieferungszukunft.

Bis heute weiß ich zwar nicht, mit wem exakt wir diese Folgeehe eingegangen sind, ich bin aber zuversichtlich, dass wir einander noch irgendwann vorgestellt werden.

Ach, und die Systemrelevanz, die ist ja somit auch wiederhergestellt. Ich bin bereits sehr gespannt, was für grandiose wie verkäufliche Bücher demnächst bei KNV Zeitfracht kreiert werden. Der Insolvenzverwalter sagte mir jedenfalls, er hätte noch nie eine so großartige Branche kennengelernt. Er habe von der Arbeit ungeheuer profitiert. Das glaube ich ihm aufs Wort.

Peter Haag

Kommentare (2)
  1. @Kompliment Herr Haag, offene Worte!

    Ich stelle mal folgende Hypothesen in den Raum:
    Mit der Kundendienst“Chefin“ ist Frau Gabriele Raff gemeint – die Frau des Geschäftsführers Thomas Raff. Den Ausspruch „wer denkt an mich?“ könte ich mir sehr treffend bei ihr vorstellen. Komisch nur, eigentlich ist sie keine Chefin sondern „normale“ Angestellte im Vertrieb, der Verlagsbetreuung.
    Die Schuld der Insolvenz bei anderen (bspw. den Verlagen) suchen !? … ohne Worte.
    Was ich mich seit der Übernahme von Zeitfracht frage: Wie kann ein Geschäftsführer, der massgeblich an den Entscheidungen vor der Insolvenz beteiligt war, Geschäftsführer danach bleiben?

    @Herr Haag, wird es das wirklich geben: „die neue tolle Auslieferungszukunft“ ? Immerhin, KNO ist nicht die einzigste Verlagsauslieferung…

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