Veranstaltungen Weltempfänger-Salon in Frankfurt mit doppelter Besetzung

Anita Djafari, daneben Jochen Nix

Anita Djafari, Geschäftsführerin von Litprom, freute sich, dass der gestrige Weltempfänger-Salon, der zweite in diesem Jahr, im Haus des Buches in Frankfurt doppelt besetzt war: Sie begrüßte die Autorin Madeleine Thien, LiBeraturpreisträgerin 2015, und ihren Partner, den Schriftsteller Rawi Hage.

Hage, der zudem Fotograf ist, stand mit seinem Roman Als ob es kein Morgen gäbe, erschienen 2008 bei DuMont (Übersetzung: Gregor Hens) im Frühjahr 2009 auf der Weltempfänger-Bestenliste. Das Buch (Original: De Niro’s Game) wurde 2008 mit dem begehrten International IMPAC Dublin Literary Award ausgezeichnet.

Das Schriftstellerpaar lebt in Montreal und hat zurzeit die 41. Samuel-Fischer-Gastprofessur am Peter Szondi-Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der Freien Universität Berlin inne. Ihr Thema lautet: Insinuation and Double Exposure: Appropriation as Literary Response. 42 Studierende besuchen die Vorlesungen. So war es für die beiden Autoren von Berlin nach Frankfurt nicht so weit.

„Wir stellen in diesem Salon keine aktuellen, sondern ältere Bücher vor, denn gute Literatur hat kein Verfallsdatum“, betonte Djafari in ihrer Einleitung.

Dann sprach Moderator und Weltempfänger-Juror Ruthard Stäblein mit den Gästen, Marcella Melien von Litprom übersetzte  – eine Premiere für sie.

Hage, 1964 in Beirut geboren, über New York weiter nach Montreal gezogen, bemerkte zur Gastprofessur in Berlin: „Es ist schön, wenn sich junge Leute für Literatur und Kunst interessieren. Ziel des Kurses ist es, sich in das Denken eines Romanciers hineinzuversetzen, Strukturen zu entdecken. Dazu wird internationale Literatur besprochen.“

Über die 1974 in Vancouver als Tochter malaysisch-chinesischer Einwanderer geborene Madeleine Thien sagte Stäblein: „Thiens Romane sind mit ihrer Familie verbunden, in ihren Büchern überlagern sich Phnom Penh und Montreal.“ In Flüchtige Seelen, übersetzt von Almuth Carstens und 2014 im Luchterhand Literaturverlag erschienen und ein Jahr später mit dem LiBeraturpreis für die Autorin ausgezeichnet, werde das besonders deutlich. Ebenfalls bei Luchterhand erschien 2017 Sag nicht, wir hätten gar nichts, übersetzt von Anette Grube. Aus diesem Buch trug Sprecher Jochen Nix vor.

Madeleine Thieß und Ruthard Stäblein

Anschließend fragte Stäblein die Autorin: „Sieht man aus der Ferne besser, was in China passiert?“ Thien bemerkte: „Abwesenheit und Anwesenheit sind beide wichtig.“ Geheime Fakten über das Massaker auf dem Tian’anmen wurden aus China herausgeschmuggelt, später veröffentlicht, kommentiert und verbreitet.

Abwesenheit und Anwesenheit sind auch in der Musik, die im Buch eine wichtige Rolle hat, von Bedeutung. So hört man ein Stück, der Komponist ist nicht anwesend aber doch aufgrund seiner Musik präsent. Auch Kaligrafie ist ein Beispiel: Bevor man selbst kaligrafisch tätig wird, muss man immer wieder abschreiben und üben.

Das im Roman erwähnte Buch der Aufzeichnungen ähnelt dieser Prozedur, es wird immer wieder abgeschrieben und ist ein gut gehüteter Familienschatz.

Noch heute, unterstrich Thien, dürfe in China nicht über das, was auf dem Platz des Himmlischen Friedens passierte, gesprochen werden – 30 Jahre nach den erschütternden Ereignissen. „Die Geschichte ist nicht aufgearbeitet“, sagte Thien.

Anschließend stand Rawi Hages Buch Spinnen füttern, wieder von Gregor Hens übersetzt und 2013 bei Piper erschienen, im Mittelpunkt. Hage, der selbst als Taxifahrer tätig war, schrieb über den Taxifahrer Fly, der nicht wie eine „Spinne“ am Halteplatz auf Kundschaft wartet, sondern wie eine „Fliege“ auf Kundenfang ausschwirrt. Dabei vermischte der Autor orientalische Märchen mit westlichem Karneval – eine gewagte Balance und absurde Melange.

Nachdem Jochen Nix eine Passage vorgetragen hatte, bemerkte Hage: „Ich habe das Auditorium beobachtet und eine Mischung zwischen Lächeln und Unbehagen erkannt. So soll es sein, genau das will ich erreichen.“

Madeleine Thien, Ruthard Stäblein, Marcella Melien, Rawi Hage

Stäblein sprach anschließend noch die im Buch beschriebene Racheszene an; ein Psychiater muss Heinrich Bölls Ansichten eines Clowns und James JoyceFinnegans Wake vorlesen. Ist Literatur als Racheplan gut? Sie könne durchaus helfen, war man sich einig.

Am Tisch der Büchergilde bei Lisa Stöhr konnten Interessierte die besprochenen und weitere Bücher erwerben.

JF

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