Veranstaltungen Was glaubt ihr denn – ein Buch zur Toleranz, das genau zur richtigen Zeit erscheint

Am Montagabend wurde der Autor und Dramaturg Björn Bicker im rappelvollen Saal des Münchner Literaturhauses für Was glaubt ihr denn mit dem Tukan-Preis 2016 ausgezeichnet. Muss man diesen Preis kennen, beachten? Stellen Sie sich vor, die Abgeordneten des Deutschen Bundestags träfen sich regelmäßig von Februar bis Oktober mit Autoren und Kritikern, um über das ihrer Meinung nach beste belletristische Buch des Jahres eines deutschen Autors zu befinden. Das könnte ein Preis sein! So etwas gibt es seit fast fünfzig Jahren in München: Der Tukan-Preis wird jährlich verliehen und ist mit 6.000 Euro dotiert; der Jury gehören sechs Fachjuroren und fünf Mitglieder des Münchner Stadtrats an.

Stadtrat Klaus Peter Rupp machte deutlich, dass das ausgezeichnete Buch weit mehr als die vorgeschriebenen Kriterien erfülle (eine „sprachlich, formal und inhaltlich herausragende literarische Neuerscheinung eines Münchner Autors/einer Münchner Autorin“) – es geht um das „wohl wichtigste Thema unserer Zeit in den sogenannten postsäkularen Gesellschaften“, also die Religion in unserem gesellschaftlichen Alltag. Zunächst ein Theaterprojekt der Münchner Kammerspiele 2013, dann auch bei der Ruhrtriennale in diesem Jahr, machte der Kunstmann Verlag ein ungewöhnliches Buch daraus (ausgezeichnet als eines der schönsten Bücher 2016). Viele Aussagen sind als einzelne Sätze wie in einem Gedichtband gesetzt, dazwischen Fotos von Orten, an denen Religion praktiziert wird, Aussagen vom DHL-Boten bis zum Architekten, ein „Chor der gläubigen Bürger“.

Dr. Hans-Dieter Beck, Seniorchef von C.H. Beck, stellte als „Ober-Tukan“ und Sponsor in seiner launigen Art fest: „So ein Werk ist noch nie geschrieben worden.“ Er bezeichnete es als ein „Werk zur Toleranz, das genau zur richtigen Zeit erschienen ist“.

Bewunderung für ein solch ungewöhnliches Buch kann man auch völlig anders ausdrücken, wie es der Laudator Alex Rühle tat. Nachdem er rhetorisch ins Auditorium gefragt hatte, ob wir nicht in unserer unübersichtlichen gesellschaftlichen Situation eher endlich Antworten statt weiterer Fragen bräuchten, verwendete er in seiner sehr persönlichen Laudatio die Form der vielen kurzen Fragesätze, wie sie Björn Bicker in seinem Buch einsetzt. Und zu großen Teilen bestand sie aus Äußerungen, die Rühle von Menschen eingesammelt hat, die Bickers Arbeit kennen und schätzen.

Die Dankesrede von Björn Bicker war inhaltlich und von der Vortragsweise her das Fulminanteste, das seit langem in München zu hören war. „Ich treffe Menschen“ ist der einfache zentrale Satz, mit dem er ausdrückt, dass er nicht über die Menschen reden will, die neu in unserer Gesellschaft ankommen, sondern mit ihnen – „auf die Gefahr hin, dass wir uns durch Begegnung mit ihnen verändern.“ Mit der leidenschaftlichen Anklage „Die Menschenfeinde sind am Werk – auf allen Seiten“ rief er zur Bildung einer neuen Gegenöffentlichkeit auf, die mit Optimismus und ohne Angst vor gelegentlichem Scheitern sich für Freundschaft und gelingendes Miteinander ausspricht. „Wir haben keine Mehrheitsgesellschaft mehr, sondern nur noch Minderheiten.“

Begleitet wurde der Abend durch die unglaubliche Stimme von Wiebke Puls, begleitet auf der Gitarre von Ivica Vukelic, mit auf Deutsch vorgetragenen Liedern von Leonard Cohen, darunter „Hallelujah!“, zum Mitsummen schön.

Ulrich Störiko-Blume

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