Veranstaltungen Spielen Religion und Religiosität wieder eine größere Rolle in die Kinder- und Jugendliteratur? Die „Kontrovers“-Debatte in der Münchner Stadtbibliothek

Am Abend des 8. November, während die Welt dem Ergebnis der US-Präsidentenwahl entgegenbangte, nachdem bei „Anne Will“ am Sonntagabend eine veritable, originalvermummte Salafistin auftreten konnte, wurde im Kulturzentrum Gasteig gute zwei Stunden lang debattiert, ob und wie Glauben und Religion heute wieder im Kinder- und Jugendbuch Antwortgeber auf die großen Sinnfragen sind oder sein können.

Im Fokus der Debatte standen so unterschiedliche Bücher wie das Kinderbuch An der Arche um Acht von Ulrich Hub (Fischer Sauerländer), der Jugendroman Dschihad Calling von Christian Linker (dtv-junior) und Stadtrandritter von Nils Mohl (rororo-Rotfuchs). Mit der Fachjournalistin Christine Knödler und dem freien Lektor Frank Griesheimer diskutierten auf dem Podium die Religionswissenschaftlerin Dr. Anna-Katharina Höpflinger (Uni München) und Felicia Brembeck (genannt Fee), Poetry-Slammerin, Theologie-Studentin und Autorin (Mach Fehler bei Oetinger 34).

Knödler brachte den Geist der Veranstaltung auf den Punkt, indem sie sich gleich zu Anfang wünschte: „Ich hoffe, wir widersprechen uns schön.“ Zunächst mal keinen Widerspruch, aber große Heiterkeit gab es, als die 22-jährige Fee eine Kostprobe ihres Slammer-Talents zum Besten gab: Sie schilderte die Gesprächsverläufe, wenn sie sich auf Partys nicht als BWL-, sondern als Theologie-Studentin zu erkennen gibt. „Du glaubst an Gott?“ – „Oh Gott, das ist ja krass!“. Fee ist ein lebendiger Beweis dafür, dass man zugleich tiefgründig und witzig sein kann.

Das gleiche gilt, da war sich das Podium einig, für Ulrich Hubs Kinderbuch An der Arche um Acht – im Übrigen eines der erfolgreichsten Kinderbücher der letzten zehn Jahre. Man kann es als witzige Heranführung an große ethische Fragen genauso lesen wie als „Mogelpackung, in der Gott verhohnepiepelt wird“.

Ganz aktuell erschien Anfang 2016 Dschihad Calling von Christian Linker, begleitet von umfangreichem Unterrichts-Material. Geschickt an einer Liebesgeschichte aufgehängt, erzählt der Roman, wie schnell ein Jugendlicher, der auf der Suche nach Sinn und Halt im Leben ist, von dem einfachen, rigiden Weltbild der Salafisten fasziniert wird und am Ende gerade noch den Absprung schafft.

Stadtrandritter von Nils Mohl ist der (selbstständig lesbare) zweite Band der Trilogie Liebe-Glaube-Hoffnung, ein hochkomplexer Roman mit zahllosen literarischen und filmischen Anspielungen, mit etwas Mühe als „Hardcore-Religionssuche“ zu bezeichnen.

Im zweiten Teil des Abends entspann sich die Diskussion unter lebhafter Beteiligung des Publikums. Jugend wäre nicht Jugend, wenn sie nicht ihren eigenen Weg suchte, Verbotenes ausprobierte, sich Verpöntes (vorübergehend) zu eigen machte, sich auf die Suche nach Sinn begäbe und vom Wunsch beseelt wäre, die undurchschaubare Welt auf eine einfache Formel zu bringen. Wenn den Erziehungsverantwortlichen allerdings erst in der Pubertät auffällt, dass sie es versäumt haben, ihren Kindern glaubwürdige Werte zu vermitteln (was nur funktionieren kann, wenn man sie auch selbst lebt), ist es reichlich spät. Und kann im Extremfall zu einer gefühlten Befreiung von bisherigen Denk- und Lebensmustern führen, die tatsächlich eine Überidentifizierung verführerischem Sektierertum ist. Glauben ist nämlich nicht so etwas wie ein Ruck, den man sich einmal gibt, sondern „Glauben ist permanentes Suchen“, wie es Anna-Katharina Höpflinger ausdrückte.

Kontrovers – die Debattenreihe der Münchner Stadtbibliothek über aktuelle Tendenzen in der zeitgenössischen Jugendliteratur fand jetzt zum fünften Mal statt. Münchens Bibliotheksdirektor Dr. Arne Ackermann war persönlich anwesend und konnte stolz konstatieren: Das Konzept hat sich glänzend bewährt, denn Christine Knödler und Frank Griesheimer sorgen kontinuierlich für Abwechslung: Sie bringen stets neue, hochkompetente Fachleute aufs Podium und ins Gespräch mit dem Publikum.

Ulrich Störiko-Blume

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