Feridun Zaimoglu und Günter Senkel im Sonntagsgespräch über ihr ... … Open Air-Königsdrama „Siegfrieds Erben“ in Worms

Feridun Zaimoglu (l.) und Günter Senkel

Seit 2002 finden jährlich wieder jeden Sommer in Worms vor dem Dom die Nibelungenfestspiele statt. In diesem Jahr mit dem Stück „SIEGFRIEDS ERBEN“. von Feridun Zaimoglu und Günter Senkel (er war übrigens früher Buchhändler) . Harald Kiesel sprach unmittelbar vor der Premiere mit den Autoren:

BuchMarkt: Im Vorfeld der diesjährigen Nibelungenfestspiele hieß es: Mit dem Autorenduo Feridun Zaimoglu und Günter Senkel schreiben „zwei der radikalsten Stimmen Deutschands das neue Stück“. Wieviel Radikalität ist in „Siegfrieds Erben“?

Feridun Zaimoglu: Es ist etwas peinlich, wenn man eine Art Selbstverortung vornehmen soll. Das entscheiden ja immer die anderen, aber in diesem Fall glaub ich nicht, dass es eine Zuschreibung ist, mit der wir nichts anfangen können – im Gegenteil. Es stellt sich natürlich die Frage, was mit „radikal“ gemeint ist? Beziehen wir uns auf das Urteil des Publikums, der Experten, der Theaterkenner auf unsere Stücke, so werden wir von denen als harte Realisten, als düstere Autoren bezeichnet, die jetzt nicht unbedingt postmodern angehaucht sind. Was bedeutet das im Klartext? Für uns sind die Schauspieler auf dem Papier beim Schreiben und später auf der Bühne keine Personen, die mit ihren Sprechanteilen Ideengefässe füllen, die Ansichten, Urteile oder Meinungen vertreten. Sondern wir schreiben Geschichten und bemühen uns immer darum, dass diese Frauen und Männer auf der Bühne aus Fleisch und Blut sind. Dabei wissen wir, dass die Düsternis ein Existenzial des menschlichen Daseins ist. Kurz: wir sind keine Harmoniehäschen.

Was hat sie an dem Stoff begeistert? Warum haben sie zugesagt?

Günter Senkel: Die Nibelungensage ist ja ein großartiges Teil der deutschen Kultur. Wir sind schon als Kinder damit groß geworden. Diese ganzen Gestalten wie Siegfried, der Drachen, oder der böse Hagen haben uns über Jahrzehnte begleitet. Und allein das Angebot zu bekommen, den Stoff, die Geschichte mit einer eigenen Arbeit weiterzuschreiben … da muss man nicht lang überlegen, um ´Ja´ zu sagen.

Mit welcher Intention sind sie an die Arbeit gegangen?

Feridun Zaimoglu: Wir wollten uns nicht von der Geschichte lösen, wir wollten sie nicht ´Verheutigen´, wir wollten nicht auf Biegen und Brechen einen Gegenwartsbezug herstellen. Wir setzen ja immer auf die Sprache, und insofern wollten wir eine Geschichte erzählen, in der ALLES enthalten ist. Man könnte einwenden, die Nibelungensage sei eine Erzählung von Königshäusern – aber nein, mit der Nibelungensage haben wir im wahrsten Sinne des Wortes ein Shakespearsches Königsdrama. Darin ist so viel vom Menschen und seinem Leben enthalten, ALLES eben – Lug und Trug, List und Täuschung, Hybris und Anspruch auf Herrschaft, Aufstieg und Fall, Liebe, Hass und Verrat. Daraus ein Stück zu machen, aus all dem eine neue Geschichte zu erzählen im Sinne des Originalepos, das bedeutete für uns auch, eine Sprache der Bilder und Gleichnisse zu finden, also keine akademischen Floskeln, kein WG-Geschwätz, kein Literaturinstitutsabsolventendeutsch, kein `Ich meine´, kein `ich denke´ oder `ich spüre´. Die Menschen lassen sich aus ihrem Fleisch heraus, durch ihren Willen zu bestimmten Handlungen mit allen Konsequenzen hinreißen. Ihrem Handeln inne wohnt eine Logik. Es ist nicht so, dass sie einfach nur zerrissen sind, wir es heute so oft heißt. Also stellten sich für uns beim Schreiben die Fragen: Finde die Sprache! Finde die Geschichte! Schreibe die Geschichte fort! Behaupte nicht! Erzähle die Geschichte! Darum haben wir uns ein Jahr lang bemüht.

Sie haben ein „Königsdrama im Shakespearschen Sinne“ in Aussicht gestellt. Es gehe um Lug und Trug, Hass und Niedertracht, Liebe und Verrat. Das sind ja Koordinaten menschlichen Daseins, menschlicher Existenz seit je her. Wieviel Gegenwartsbezug und Aktualität steckt dann doch in ihrem Stück?

Feridun Zaimoglu: Der Bezug muss nicht vordergründig oder plakativ hergestellt werden. Indem die Geschichte auserzählt wird, wird dies, als Mehrwert gewissermaßen, erwirkt, so dass die Menschen erkennen. Ja, so ist es heute auch. Wir haben es ja heute auch mit solchen Männern zu tun, mit Despoten, mit Tyrannen, mit Besatzungsdemokraten, mit Bestochenen und Korrupten, die über eine enorme Machtfülle verfügen, und es gibt keinen Zweifel, dass sie fallen werden. Das ist das Gesetz dieser Welt, großartig! Und daneben gibt es, auch diese Geschichte haben wir geschrieben, die große Sehnsucht der Armen, deren große Freude der Sturz der Mächtigen ist. Aber leider Gottes werden viele auch bei diesem Sturm zermalmt.

Und zu den Mächtigen gehören in unserer Welt heute nicht nur Könige, sondern auch Königinnen …

Feridun Zaimoglu: Ja, ganz genau.

Wie funktioniert eigentlich Ihre Zusammenarbeit im Autorenduo ganz praktisch?

Günter Senkel: Die funktionert so, dass wir zunächst sehr viel miteinander sprechen. Da haben wir es einfach, weil wie Tür an Tür wohnen. Dann beginnt die Arbeit am Text, bis er fertig ist. Jeder bringt seine Teile auf Papier dem anderen. Wir mailen uns auch nichts zu …

Feridun Zaimoglu: … denn ich habe gar keinen Computer. Theaterstücke und Prosa schreibe ich auf der elektrischen Schreibmaschine.

In dem Stück geht es auch um Glauben und Hoffnung. Sie sprechen vom zwangsläufigen Sturz der Mächtigen. Ist das nicht auch eine Tragik? Wieviel Glauben und Hoffnung haben Sie?

Feridun Zaimoglu: Die Götzen werden fallen. Es ist natürlich eine Tragik, weil die Mächtigen es verstehen, Männer und Frauen einzubinden, die ohnmächtig sind. Und oft genug können sie ja gebieten und herrschen und erobern, indem sie andere Menschen in den Tod schicken. Dabei werden die Menschen auf eine Flagge, auf Gott und Kaiser und Vaterland eingeschworen, die Worte aber verwehen und was bleibt ist das Blut der einfachen Leute, das in den Boden sickert. Für das Herrschen der Mächtigen ist immer ein Blutzoll zu entrichten. Die neuen Herrscher, die nach dem Fall der alten an die Macht kommen, reden am Anfang viel von Freiheit, was aber folgt ist die Guillotine, der Gulag. Nach jedem Aufbruch und Ansturm kommen die Kerkermeister der Revolution. Und vor denen hab ich schon auch Angst.

Also keine Hoffnung?

Feridun Zaimoglu: Doch. Ich bin ein gut gestimmter Mensch. Ich glaube an den Allmächtigen, ich glaube an einen Gott, ich glaube nicht an die Pfaffen, ich glaube nicht an die Religion, ich glaube nicht an das Opium für das Volk. Aber ich glaube an die Stoßseufzer der Bedrängten und an die Seligpreisung. Genau übersetzt heisst der Satz doch: Selig sind die Armen. Und es heißt nicht im Geiste … Das haben die Pfaffen dahin gedichtet. Nein: Selig sind die Armen, denn ihnen gehört das Land. Meine Hoffnung ist: Wir alle sind sterblich, und die Paläste sind morgen Ruinen. Wer daran zweifelt, schaue sich die Paläste von gestern an. Es ist so lächerlich, Macht geltend machen zu wollen, so lächerlich. Also gehöre ich zu den Menschen, die nicht an Ideologien glauben, sondern daran, dass man den Armen helfen sollte. … Wenn man das tut darf man nicht scheuen, eine lächerliche Figur abzugeben. Scheiss drauf.

Das Lächerliche klingt vielen wohl eher als das Wahrhaftige und das Ehrliche …

Feridun Zaimoglu: „Friede den Hütten! Krieg den Palästen!“ (lacht) Den Humor mag ich sehr.

Für die Bedrängten, die Masse also, gibt es heute noch ein ganz anders populäres Medium, die TV-Serien, die über alle möglichen Anbieter gestreamt werden können. Welche Serien mögen Sie?

Feridun Zaimoglu: Da fragen sie den Meister neben mir, der sich noch besser auskennt bei Serien.

Günter Senkel: Ich finde dieses Serienformat großartig. Da werden Geschichten grandios über mehrere Staffeln erzählt. Manchmal guckt man sich sechs Folgen hintereinander an, voll begeistert. Ich habe im Prinzip keinen Fernseher mehr, ich kauf mir ´ne Staffel und guck mir die an und hab die Freiheit, wann ich die schaue und wann nicht, und ich muss mir die Werbung nicht ansehen. Eine schöne Freiheit, die kann ich geniessen. Gerade schaue ich „The Following“ mit Kevin Bacon in einer Hauptrolle, sehr boshaft und spannend. Und meine zwei Lieblingsserien sind „The Shield – Gesetz der Gewalt“, eine Cop- und Krimiserie, und natürlich „Game of Thrones“.

Feridun Zaimoglu: Ja, großartig.

Günter Senkel: Das ist einfach ein Meilenstein. Da stimmt die Story und man

Regie führt Roger Vontobel unter der Intendanz von Nico Hofmann. Das Stück beginnt da, wo die Geschichte der Nibelungen eigentlich aufhört. Am Tag nach dem Gemetzel am Hofe des Hunnenkönigs Etzel (gespielt von Jürgen Prochnow).

sieht, mit viel Geld und unfassbar genialen technischen Mitteln, die es heute gibt, lässt sich eine außergewöhnlich gute Filmproduktion machen. Ein Glück auch für den unglaublich guten Fantasy- und Science Fiction-Autor George R. R. Martin.

Ihre Erwartungen an die Zuschauerreaktionen auf ihr Stück?

Feridun Zaimoglu: Um Gottes Willen. Wer bin ich, dass ich da Erwartungen hätte. Ich kann nur sagen, ich werde zur Premiere sehr aufgeregt sein, deshalb sitze ich auch nicht bei den Zuschauern. Den Fehler habe ich ein einziges Mal begangen, bei einer Premiere im Publikum zu sitzen, ich bin da fast eingegangen, Herzklopfen, nasse Handinnenflächen. Eigentlich völlig bescheuert, denn ich könnt ja sagen: die Arbeit ist getan, ich könnte mich doch zurücklehnen – leider nicht. Also bin ich gespannt. Und ich hoffe und bin mir eigentlich sicher … es ist nichts für schwache Nerven, die Zuschauer werden so oder so angefasst sein. Das liegt an der großartigen Regiearbeit und der großartigen Schauspielkunst auf der Bühne.

Danke für das Gespräch!


Das Stück „Siegfried Erben“ wird bis 5. August täglich 20:30 Uhr in Worms gezeigt. Restkarten an der Abendkasse. Flanieren und Dinner im idyllisch beleuchteten Park sind möglich.
Infos u. Tickets: www.nibelungenfestspiele.de

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