Gedanken über "150 Jahre Philosophische Bibliothek" Manfred Meiner: Wovon und wie Wissenschaftsverlage (wirklich) leben….

„Es kommt selten vor, dass eine Buchreihe über einen Zeitraum von 150 Jahren Bestand hat und länger als 100 Jahre von ein und demselben Verlag herausgegeben wird. Aber interessiert das heute noch irgendjemanden?“ Diese Frage hat Manfred Meiner (Verleger Felix Meiner) mit dem Versand seiner aktuellen Vorschau aufgeworfen.  An Stelle eines an dieer Stelle gewohnten „Sonntagsgespräches“ veröffentlichen wir heute hier seine Gedanken über 150 Jahre Philosophische Bibliothek, die er seiner Vorschau vorangestellt hat. Ihm ist sichtlich auch wichtig deutlich zu machen, dass es nicht stimmt, „Wissenschaftsverlage würden blendend davon leben, dass die öffentliche Hand zunächst die Gehälter der AutorInnen bezahlt und dann für viel Geld deren Veeöffentlichungen kaufen müsse …, ganzs so einfach ist es nicht“, wie er uns schrieb:

Manfred Meiner: „Die Ökonomie des gegenwärtigen Wandels kommt den traditionell kleinen und mittelständischen Betrieben des herstellenden und verbreitenden Buchhandels, insbesondere im Bereich der Geisteswissenschaften, nicht gerade entgegen“

 

Als wir 1968 den 100sten Geburtstag der Philosophischen Bibliothek feierten, gab es daran keinen Zweifel: Carl Friedrich von Weizsäcker hielt eine viel beachtete Festrede zum Thema »Die Rolle der Tradition in der Philosophie«; Friedhelm Nicolin referierte über »Hegels Werke und die hundertjährige Philosophische Bibliothek«; der Hamburger Senat, Vertreter der Bürgerschaft, Spektabilitäten der Universität sowie Autoren und Herausgeber überbrachten Glückwünsche. An diesem Fest durfte ich als sechzehnjähriger Knabe teilnehmen, und ich erinnere mich gern daran.
50 Jahre danach mischt sich Skepsis in die Feierlaune. Hat sich die Idee einer solchen Reihe überlebt? Sind die Aufgaben eines geisteswissenschaftlichen Verlages andere geworden? Ist auf dem Büchermarkt kein Platz mehr für veritable Studienausgaben philosophischer Texte?
Fest steht, dass es 1968 in der Philosophischen Bibliothek 116 lieferbare Bände gab; heute sind es rd. 500. Waren damals Werke von 26 »kanonischen« Philosophen vertreten, sind heute 161 mit einzelnen Textausgaben präsent. Neben den Klassikern der Philosophiegeschichte stehen inzwischen auch weniger bekannte bzw. bisweilen marginalisierte Texte in Form von Studienausgaben im Original, als Übersetzung oder zweisprachig, sorgfältig herausgegeben und aufwändig produziert zur Verfügung, weit überwiegend auch in elektronischer Form. Dabei ist nicht museale Rückschau auf geistesgeschichtliche Antiquitäten das Ziel; vielmehr geht es um einen Brückenschlag zwischen aktueller Forschung und philosophischem Studium.
In den zurückliegenden 50 Jahren ist allerdings neben dem kontinuierlichen Auf- und Ausbau der Philosophischen Bibliothek noch einiges mehr passiert. Verlage wie Felix Meiner sind heute offensichtlich eher die Ausnahme als die Regel. Sortiments- und Verlagsbuchhandel haben einen tiefgreifenden Wandel erlebt. Um nur ein Beispiel zu nennen: Wo in Innenstädten und in Universitätsnähe früher ein Dutzend Buchhandlungen zu finden war, haben wir heute die Wahl zwischen Coffee-Shops, Hair-Stylisten und SushiBars. Dafür bieten der größte Versandhandelsstrom der Erde und andere Eingeborene des Internet-Zeitalters so gut wie jedes je veröffentlichte Druckwerk an, mit dem klaren Ziel der Monopolisierung (nicht nur) des Buchhandels.
Wäre dies die einzige Baustelle gewesen, die sich in den vergangenen Jahrzehnten vor uns aufgetan hat, wir wären ohne zu pfeifen weiter durch den grünen Wald gegangen. Um Sie nicht zu erschrecken, nur einige wenige Stichworte aus dem Umfeld der täglichen Verlagsarbeit: Reformaktionismus an den Universitäten und deren Auswirkungen auf Forschung und Lehre; Neuausrichtung des bibliothekarischen Selbstverständnisses und die Kürzung und Umschichtung von Anschaffungsetats; Ideologisierung der Bildungs-, Wissenschafts- und Forschungspolitik: digital first and open access for everyone; Kampf um die Ressourcen: Natur- und Geisteswissenschaften im Wettstreit; Entwicklung des Urheberrechts: zur (Gebühren-)Freiheit verurteilt. Gottlob haben wir auch noch andere Sorgen: Wie können wir z.B. die Fertigstellung der historisch-kritischen Gesamtausgabe der Werke von G.W.F. Hegel finanzieren, nachdem die Düsseldorfer Akademie die Förderung eingestellt hat? Oder: Wie sollte Schopenhauers »Vorlesung über Die gesamte Philosophie« ediert werden?
Die Ökonomie des gegenwärtigen Wandels kommt den traditionell kleinen und mittelständischen Betrieben des herstellenden und verbreitenden Buchhandels, insbesondere im Bereich der Geisteswissenschaften, nicht gerade entgegen. Umso erfreuter begehen wir also das 150jährige Bestehen der Philosophischen Bibliothek. Denn immerhin gibt es sie noch!
Es ist kein Geheimnis: Beim Überleben hat uns eine konservative Grundeinstellung (Maßhalten) geholfen; ferner der Verzicht darauf, stets als Erster am Start zu sein (Gefahren warten nur auf jene, die nicht auf das Leben reagieren), und die Einstellung, Wachstum nicht in den Mittelpunkt unseres Interesses zu stellen (alle großen Reiche sind zerfallen); vor allem aber die Liebe zu den Lehren der Weisheit, wie etwa der, Dinge hinzunehmen, die wir nicht ändern können, und den Willen aufzubringen, dort an Veränderungen zu arbeiten, wo es in unserer Macht steht.
In diesem Sinne lauten die Antworten auf die eingangs gestellten Fragen:
Die Aufgabe der Philosophischen Bibliothek ist auch nach 150 Jahren nicht erfüllt, das würden wir auch in noch einmal fünfzehn Jahrzehnten nicht schaffen. Oder wie es die nächste Generation Meiner kürzlich ausdrückte: Wir leben ja nicht von der Lösung philosophischer Probleme, sondern von deren Existenz.
Unsere verlegerische Funktion verstehen wir primär als Berater (Coach, ndt.) unserer AutorInnen und HerausgeberInnen und manchmal auch von philosophischen Gesellschaften; außerdem als deren Secretarius (Schriftführer); jedenfalls nicht als Auftragnehmer von irgendjemandem, sondern als bewegte Beweger von vielen. Philosophen sollten philosophieren und Verleger verlegen. »Nur gemeinsam sind wir stark«, sagt die Hirnforschung, wir müssten uns als Subjekte begegnen, was nur in nicht-hierarchischen Strukturen möglich sei (Gerald Hüther). Das war schon immer unser Ansatz, auch ohne Hirnforschung.
Schließlich: Ob auf dem Büchermarkt auch künftig Platz für anspruchsvolle Studienausgaben philosophischer Texte sein wird, hängt nicht allein von uns ab. In dieser Hinsicht sind Sie, liebe Leserinnen und Leser, an der Reihe; denn wenn Sie unsere Bücher nicht mehr kaufen, können wir uns um deren Entstehung nicht mehr kümmern (Wegfall der Geschäftsgrundlage). Schon der Verlagsgründer, mein Großvater Felix Meiner, hat keinen Hehl daraus gemacht, dass Grundvoraussetzung eines unabhängigen »privaten« Verlages dessen ökonomische Souveränität ist; d.h.: alles benötigte Geld muss auf dem Markt verdient werden. Auf Drittmittel, die immer mit Risiken und Nebenwirkungen verbunden sind, sollte nach Möglichkeit verzichtet werden.
Wenn auch oftmals anders vermutet, elektronische Publikationen werden – in unserem speziellen Bereich – bisher nur wenig nachgefragt. Wir investieren zwar massiv in digitale Angebote, der Wunsch nach Digitalveröffentlichungen besteht jedoch offenbar weniger bei den eigentlichen Rezipienten oder gar Autoren, sondern eher bei den Bibliotheken, den Forschungsgesellschaften und der Politik. Gleichzeitig wird das Digitalgeschäft wie auch unser Angebot an Büchern durch den Gesetzgeber hintertrieben (Stichwort: Urheberrechtsreform). Dennoch: Wir geben unser Bestmögliches, um veränderten Lesegewohnheiten und neuen technischen Rezeptionsmöglichkeiten mit entsprechenden Angeboten entgegenzukommen.
Den folgenden Seiten entnehmen Sie bitte, worauf wir uns für Sie und das Jubiläumsjahr eingelassen haben. Ich kann der Versuchung nicht widerstehen, Sie auf einen besonderen Titel auf der folgenden Seite hinzuweisen: Zum ersten Mal in der Philosophischen Bibliothek bringen wir ein Werk in einem größeren Buchformat: Johann Georg Hamanns »Fliegenden Brief«. Das große, als Hauptwerk angelegte Schreibprojekt des Königsberger Herder-Freundes und Kant-Vertrauten hat Janina Reibold nach allen Regeln der Kunst erstmals schlüssig ediert, sämtliche Quellen enträtselt und die Entstehungsgeschichte rekonstruiert.
Ich vertraue weiterhin auf Ihr Interesse an unserem Programm und hoffe darauf, dass Sie uns und unseren Bemühungen um die Philosophie gewogen bleiben.

Manfred Meiner, Hamburg, im Januar 2018     

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