Gerhard Beckmanns Meinung – „Wenn einer eine Reise tut…“ Autorenlesungen!

Liegt’s an der Vorweihnachtszeit, in der Buchhändler angesichts der – hoffentlich – vielen Kunden alle Hände voll zu tun haben? Wie ich in letzter Zeit höre, haben jedenfalls manche weder Zeit noch Personal, um zu Lesungen außerhalb ihres Geschäfts Büchertische noch aufzubauen und zu betreuen. Oder lohnt vieles davon einfach nicht mehr? (Etwa weil, selbst wenn dreissig oder mehr Zuhörer kommen, bloß zwei bis vier Exemplare verkauft werden?)

Natürlich, auch bei Lesungen in den eigenen Räumen ist der Aufwand groß. In einigen Fällen hat er im auslaufenden Jahr ganz bisher ungewohnte Dimensionen erreicht – mit Stars aus der Pop Lit-Szene, denen sich die eine oder andere Marketing- Vertriebsabteilung in Erinnerung der bis zu tausend Hörwilligen wie bei Stuckradt-Barre nicht gewachsen glaubten, so dass sie die Planung und Abwicklung Agenturen übertrugen, die auf poppige Events spezialisiert sind, aber natürlich wenig Ahnung haben von den Möglichkeiten und Usancen bei Buchhandlungs-Lesungen.

Von einer Großbuchhandlung hat so eine im letzten Sommer nicht nur die bescheidene Summe von 1750 Euro „Produktionskosten“ verlangt plus einer 70prozentigen Beteiligung ab einer Netto-Eintrittseinnahme von 2250 Euro, nein, der Sortimenter sollte vertraglich u.a. auch zur Verfügung stellen eine Bühne von mindestens vier Meter Breite und drei Meter Tiefe mit einem rechteckigen, mit schwarzen Molton abgehängten stabilen Tisch (80×160 cm), einem gepolsterten Stuhl, sowie eine Lichtanlage bestehend aus mindestens 4 x 1kw Stufenlinse, Torblenden, Stativen, Dimmer, Lichtpult und kompletter Verkabelung etc etc; den Auf- und Abbau einer Ton- und Lichtanlage besorgen sowie der „Tourneeleitung „die „vollständige Kontrolle über Stromversorgung, Haus und Bühnenlicht “ übergeben.

Und am Veranstaltungsort sollte vor Aufbaubeginn folgendes Catering bereitgestellt werden:

„ 4x 15, l Mineralwasser ohne Kohlensäure (Evian, gekühlt)
3x 1 l Coca Cola, 3x 1 l Fanta (gekühlt)
Kaffee, Milch, Teebeutel, heisses Wasser und Porzellantassen (bitte keine Plastikbecher)
2x 0,7l Qualitätsfruchtsaft
Sechs Flaschen gut gekühltes Bier (z.B. Beck’s, Corona, Heineken)
Eine Schale mit Obst (bitte gewaschen)
Je eine regionale und eine bundesweit erscheinende Tageszeitung
Zwei freie Postkarten des jeweiligen Auftrittsortes.
Vollkornbrot, Becel-Margarine, Käse, Schinken, Rohkost. Ausreichend für max. 3 Personen.“

Wohl bekomm’s.

Vielleicht sollte man einmal Geschichten des Sortiments über Erfahrungen mit Lesungen sammeln.

Nun darf man freilich nicht glauben, dass sie für Autoren ein Zuckerschlecken sind. Die ärmeren unter ihnen müssen so viele wie möglich ergattern, weil sie von Buchhonoraren nicht leben können und das Geld brauchen. Für die bekannteren ist es eine Strapaze, zu der sie von den Verlagen mit jedem neuen Buch verdonnert werden; ihr Mitwirken beim Marketing gilt als unentbehrlich. Was das für Schriftsteller bedeutet, hat Martin Walser schon vor längerer Zeit in einem Essay dargestellt. Henning Boëtius hat sogar höchst lesenswertes Buch darüber geschrieben, was er auf da alles erlebt hat („Der Lesereiser“. Merlin Verlag).

Ein besonderes Glanzstück deprimierenden Humors ist in England unter dem Titel „Mortification: Writers’ Stories of Their Public Shame“ erschienen (beim Verlag Fourth Estate, herausgegeben von Robin Robertson). Es vereinigt 70 Berichte, u.a. von Margaret Atwood. John Banville, Julian Barnes, Louis de Bernieres, Irvine Welsh und Norman Mailer. Sie schildern sozusagen schlimmst mögliche Lesungs-Erlebnisse von Schriftstellern – Situationen, in denen sie vor Scham oder Demütigung am liebsten im Boden versunken wären.

Als beispielsweise zu einer Lesung, wie sich am Ende herausstellte, nur das abendlich noch diensthabende Personal der Buchhandlung anwesend war.

Oder als ein (nur) in England sehr berühmter Autor sich in der anschließenden Diskussion von einem nur mit Mühe, schwankenden auf die Beine kommenden älteren Mann in verlottertem Regenmantel die Frage gefallen lassen musste: „Warum sind Sie – äh – bloß so verdammt sicher, ,was Besonderes zu sein?“

Gerhard Beckmann sagt hier regelmäßig seine Meinung … und freut sich über Antworten an GHA-Beckmann@t-online.de. Natürlich können Sie diese Kolumne auch im BuchMarkt-Forum diskutieren. Einfach oben auf der Seite den Button „Forum“ anklicken, einloggen und los geht’s.

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